Stahlgewitter in der Telekommunikation

Die Telekommunikationsbranche geht offensichtlich schweren Zeiten entgegen. Von „Kostenkrieg“ und „Überlebenskampf“ der Großkonzerne ist die Rede. Unter den „Generälen“ herrscht eifriges Stühlerücken.

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Von
  • Raoul Rigault

Die Lage ist ernst: Wenn die Preise für Telefon, Internet und Mobilfunk in Deutschland weiter fielen, warnte die Unternehmensberatung McKinsey in einer Anfang Mai 2008 veröffentlichten, umfangreichen Analyse, könnten die Unternehmen nur schwer die nächste Generation der Breitband-Infrastruktur finanzieren. Es bedürfe neuer regulierender Rahmenbedingungen in Deutschland, meinten die Experten, und der öffentliche Sektor müsse große Infrastrukturprojekte vorantreiben.

Denn der von der EU forcierte Preiskampf hab sich „ruinös“ ausgewirkt – und die Märkte seien gesättigt. Zum ersten Mal seit über 50 Jahren würden deshalb die Umsätze und die Beschäftigung in der deutschen Telekommunikationsindustrie teilweise dramatisch schrumpfen. Bis 2006 waren die Umsätze noch auf 62 Milliarden Euro gewachsen, was einer Wertschöpfung von 34 Milliarden Euro entspricht. Falls es zu keinem Kurswechsel komme, sei mit einem Rückgang des Umsatzes auf 20 Milliarden Euro im Jahr 2020 zu rechnen, da sich das Festnetzgeschäft verringert und die Preise im Mobilfunk ins Bodenlose fallen.

Im Klartext: Der Staat soll Untergrenzen für die Preise festlegen und Steuergelder in Großprojekte investieren, um den Telekommunikationsunternehmen zu helfen. Andernfalls würden die Umsätze bis 2020 um mehr als ein Drittel schrumpfen. Auch hier also, ähnlich wie im Bereich maroder Finanzinstitute, eine Abkehr von der bislang vertretenen Ideologie des sich selbst regulierenden freien Marktes und die Forderung nach Staatsinterventionen.

Da politische Abhilfe so schnell nicht in Sicht ist, hatten gleich zwei europäische „Global Player“ der Telekommunikationsbranche in den vergangenen Tagen mit Umbesetzungen an der Unternehmensspitze versucht, gegenzusteuern: Am 2.September 2008 gab der französisch-amerikanische Telekomausrüster Alcatel-Lucent bekannt, dass Ben Verwaayen und Philippe Camus den Konzern wieder profitabel machen sollen. Alcatel-Lucent hatte zuvor sechs Quartale in Folge rote Zahlen geschrieben und mehrere Gewinnwarnungen ausgesprochen. Nur drei Tage später wurde bekannt, dass der Italiener Vittorio Colao anstelle des vor zwei Monaten zurückgetretenen Bill Morrow das Europa-Geschäft von Vodafone leiten soll und hinter Arun Sarin die neue Nr.2 in der Hierarchie des britischen Telekomkonzerns sein wird.

Dem „Manager-Magazin“ zufolge kommen auf Colao „große Herausforderungen“ zu. Der europäische Markt gelte als „besonders schwierig“. „Sinkende Mobilfunkpreise machen sich in Umsatzrückgängen bemerkbar. Auch die Gebühren gehen zurück, die die Mobilfunkanbieter zur Durchleitung von Gesprächen verlangen. Zudem ist eine Regulierung des Marktes geplant.“ Als Mann fürs Grobe wurde Michel Combes eingestellt, der sich 2005 bei der Umstrukturierung von France Telekom einen zweifelhaften Ruf als kurzfristiger Kostendrücker erworben hat. Dementsprechend titelte die „Financial Times“ am 9.September unter Berufung auf verschiedene Analysten: „Vodafone-Chef signalisiert Kostenkrieg“.

Verfolgt man die Entwicklung der Börsenindices so fällt auf, dass die 600 wichtigsten europäischen Unternehmensaktien im ersten Quartal 2008 insgesamt 16 Prozent einbüßten, die Hightech- und Telekommunikationswerte aber im Schnitt knapp 23 Prozent verloren. Ein Zeichen dafür, dass die Finanzjongleure die Krise in dieser Branche für noch tief gravierender halten. Da verwundert es nicht, dass Ericsson als Branchenführer im Bereich der Mobilfunknetze zur Verteidigung der Rendite 4.000 Entlassungen beschlossen hat. Nokia Siemens Network (das aus der Fusion der Netzsparten der beiden Konzerne hervorgegangene Joint Venture) schrieb im vergangenen Jahr ebenfalls rote Zahlen und geht davon aus, dass die Gewinnzone erst 2009 wieder erreicht wird. Bereits kurz nach der Gründung im April 2007 kündigte NSN an, bis zum Jahr 2010 weltweit etwa 9.000 der 60.000 Stellen zu streichen, 2.290 davon in Deutschland. Inzwischen sieht man „weiteren Handelungsbedarf“. Noch schlechter sieht es für Alcatel-Lucent aus. Die französisch-amerikanische Gesellschaft konnte die beim Zusammenschluss vor zwei Jahren eingegangenen Versprechen in keiner Weise erfüllen. Trotz einer Umstrukturierung, die zu 17.500 Entlassungen führte (einer von fünf Beschäftigten!) fuhr man 2007 einen Verlust von 3,5 Milliarden Euro ein.

Dabei sieht die internationale Entwicklung für die Branche doch eigentlich gar nicht so schlecht aus: Von 2001 bis 2007 stieg die Zahl der Festnetzanschlüsse weltweit von gut einer Milliarde auf 1,32 Milliarden. Allerdings konzentrierten sich 85 Prozent des Wachstums auf China, Indien, Afrika und Lateinamerika. Im gleichen Zeitraum stieg die zahl der Mobilfunkkunden von 960 Millionen auf 3,25 Milliarden. Dieser Sprung um fast 2,3 Milliarden fand zu 50 Prozent in den aufstrebenden Regionen statt. Auf einem Großteil des Planeten hat das Handy den Urbanisierungsprozess begleitet und vollzog sich mit derselben Dynamik.

Die düsteren Wolken, die im Gefolge der von den US-amerikanischen Subprime-Darlehen ausgelösten Kreditkrise über der Weltwirtschaft aufziehen, schrecken denn auch zumindest die Handyfabrikanten nicht, die die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt haben. Denn während Sony Ericsson einen Rückgang der Verkäufe seiner hochwertigen Produkte in Europa verzeichnet, ist Nokia höchst optimistisch: Der finnische Produzent, der auf den mittleren und unteren Modellbereich gesetzt hatte, vertritt die Einschätzung, dass der „Ersatzmarkt“ der aufstrebenden Länder in diesem Jahr zum ersten Mal volumenmäßig den Markt der entwickelten Staaten übertreffen wird.

Vodafones Nummer 1, Arun Sarin hatte auf dem Mobile World Congress in Barcelona Mitte Februar 2008 ein anschauliches Bild der Entwicklung des Sektors geliefert. Er erinnerte daran, dass vor einem Jahrzehnt in der Weltrangliste der zehn kapitalkräftigsten Telefongesellschaften sechs amerikanische, drei europäische und ein japanischer Konzern vertreten waren. Heute seien es neben nur noch zwei US-Telcos, vier europäische und zwei japanische Gesellschaften. Dafür gäbe es zwei Aufsteiger: China Mobil und die mexikanische América Movil. Nach Sarins Ansicht wird sich das Bild in den nächsten zehn Jahren erneut ändern und aller Wahrscheinlichkeit nach werden dann zwei Akteure für jeden der wichtigsten Märkte Afrika, China, Indien, Europa und Amerika unter den Top-Ten vertreten sein. Schon heute befänden sich außer China Telekom und der russischen Sistema-MTS auch die indischen Konzerne Reliance und Bharti (die kurz vor der Übernahme der südafrikanischen MTN steht) auf dem Sprung in die Spitzengruppe.

Insbesondere die Konkurrenz der chinesischen Newcomer-Konzerne setzt die etablierten Konzerne unter Druck: Ericsson-Chef Carl-Henric Svanberg erklärte gegenüber der „Financial Times“, dass die Aggressivität von Huawei und ZTE zu einer jährlichen Preissenkung von 10-15 Prozent bei den Telefonapparaten zwinge. Im Dezember vergangenen Jahres beispielsweise hatte Huawei im dritten Jahr in Folge einen bedeutenden Dienstleistungsauftrag der Saudi Telecom erhalten. Das in der Sonderwirtschaftszone Shenzen nahe Hongkong angesiedelte Unternehmen soll mit zusätzlichen Geräten für Entlastung zu den Spitzenzeiten des Telefonverkehrs sorgen, die alljährlich anlässlich der massenhaften Wallfahrt moslemischer Pilger nach Mekka für große Probleme sorgen. Während der traditionellen Hadsch zieht es eine Woche lang zwei bis drei Millionen Moslems aus Dutzenden Ländern der ganzen Welt in die Stadt.

Während dieser Zeit, schreibt die englischsprachige „China Daily“, erhöht sich die Zahl der Telefonate um das 19fache und der Austausch von SMS um das 137fache. „Ein Gebiet von nur zehn Quadratkilometern“ – ergänzt Huawei auf seiner Internetseite ]--] „wird zu einer der Zonen mit dem höchsten Telefonverkehr der Welt, womit wir eine wahrhaft einzigartige Herausforderung bewältigen müssen.“

Dennoch bleibt der Weg zur Internationalisierung der chinesischen Telekomkonzerne ein steiniger. Mitte Februar scheiterte der Versuch von Huawei zusammen mit dem US-Investmentfond Bain Capital für 2,2 Milliarden Dollar den amerikanischen Netzwerkausrüster 3Com aufzukaufen. Huawei sollte dabei lediglich einen Minderheitsanteil von 16,5 Prozent übernehmen. Das "Committee on Foreign Investment in the United States" (CFIUS) meldete jedoch erhebliche Bedenken an, weil die 3Com-Tochter TippingPoint unter anderem die Software liefert, mit der die Computer des Pentagon gegen Angriffe von außen gesichert werden. Cyberspionage ist derzeit ein großes Thema in Washington. Im vergangenen Jahr beschuldigte die US-Regierung das chinesische Militär, in die Rechner des US-Verteidigungsministeriums eingedrungen zu sein.

Die Tatsache, dass Huawei-Gründer Ren Zhengfei früher Offizier bei der chinesischen Volksbefreiungsarmee war und wohl noch immer über gute Kontakte zur Regierung in Peking verfügt, sorgte für zusätzliches Misstrauen. Selbst das Angebot von 3Com-Chef Edgar Masri TippingPoint zu verkaufen und die Versicherung von Huawei, auf Vorstandsposten zu verzichten, genügte nicht, um das von US-Finanzminister Henry Paulson geleiteten Komitee umzustimmen. Dem CFIUS gehören Vertreter von zwölf Regierungsstellen an, unter anderem vom Verteidigungsministerium, Außenministerium, Handelsministerium sowie dem Ministerium für Heimatschutz. Es wird weiterer Versuche und möglicherweise auch einer Verschärfung der US-amerikanischen Telekom-Krise bedürfen, bis die chinesischen Multis als Fleisch vom Fleische anerkannt und akzeptiert werden. (wst)