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Streitgespräch: Müssen wir Google zerschlagen?

Dr. Wolfgang Stieler, Robert Thielicke

Im Digitalzeitalter entstehen in rasender Geschwindigkeit gefährliche Monopole, warnen Kommentatoren deutscher Zeitungen. Muss der Staat Google, Amazon und Facebook in die Schranken weisen?

Im Digitalzeitalter entstehen in rasender Geschwindigkeit gefährliche Monopole, warnen Kommentatoren deutscher Zeitungen. Muss der Staat Google, Amazon und Facebook in die Schranken weisen?

Die Kontrahenten: Justus Haucap ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf und leitet dort das Institut für Wettbewerbsökonomie. Von 2008 bis 2012 war Haucap Vorsitzender der Monopolkommission, der er bis Juli 2014 angehörte. In der Öffentlichkeit ist er unter anderem als scharfer Kritiker des Leistungsschutzrechts aufgetreten.

Jan Philipp Albrecht sitzt seit 2009 für Bündnis90/Die Grünen im Europaparlament. Der Jurist, der stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses ist, setzt sich schwerpunktmäßig für den Schutz der Bürgerrechte ein. Zurzeit ist er Berichterstatter des Europäischen Parlaments für das in der Verhandlung befindliche Datenschutzrahmenabkommen zwischen der EU und den USA.

Technology Review: Die Position in den Google-Suchergebnissen entscheidet vielfach über den Erfolg von Unternehmen. Der Digitalkonzern erschafft sich ein Imperium von Smartphones über autonome Autos bis Smart-Home-Anwendungen, an dem immer weniger Menschen vorbeikommen – und mit ihren Daten bezahlen müssen. Herr Haucap, ist Google zu mächtig?

Justus Haucap: Speziell in Deutschland wird die Diskussion primär befeuert von den traditionellen Print-Häusern, insbesondere dem Axel-Springer-Konzern. Das hat weniger direkt mit Google zu tun, sondern mit dem Problem, dass die Digitalisierung das Modell der alten Zeitung kaputtgemacht hat. Die zahlenden Leser und die Anzeigen sind weg. Für die Presse ist das eine schreckliche Sache, und wenn es für die Presse eine schreckliche Sache ist, dann auch für Politiker. Das treibt die Diskussion momentan mehr als die Angst der Bürger.

Wenn ich meine Studierenden frage oder die Leute in der Eckkneipe, ob Google nicht ganz schrecklich ist, antworten die: "Sag mal, tickst du noch richtig? Das ist doch 'ne tolle Sache!" Google ermöglicht vielen Leuten Geschäfte, die sie in der Vergangenheit nie hätten tätigen können. Die Digitalisierung ist wunderbar für den Wettbewerb, weil die Eintrittsbarrieren auf vielen Märkten stark gesunken sind und Mini-Unternehmen plötzlich global agieren können. Es gibt sicherlich bestimmte Branchen, wo leicht eine gewisse Abhängigkeit entstehen kann. Die Gefahr wird aber gern übertrieben.

TR: Stimmen Sie zu, Herr Albrecht?

Jan Philipp Albrecht: Das Marktumfeld zeigt derzeit, dass Google einen sehr großen Einfluss besitzt. Das Unternehmen hat einen Markt geschaffen, von dem ganze Wirtschaftszweige profitieren. Daraus entsteht aber auch eine sehr große Abhängigkeit. Allein deshalb muss man reagieren. Es muss nicht zwangsläufig nach der Frage "Monopol oder nicht?" gehen, sondern danach, ob sich Unternehmen in diesem Marktumfeld überhaupt noch frei bewegen können.

Haucap: Man muss doch erst einmal identifizieren, wo genau diese Abhängigkeiten vorhanden sind. Robert Maier klagt in einem langen Beitrag in der "FAZ", dass seine im Wesentlichen zu Axel Springer gehörenden Shopping-Plattformen nicht überleben können, weil Google sie so weit hinten in den Suchergebnissen listet. Aber es gibt natürlich unzählige dieser Shopping-Plattformen, und jede wäre gern auf Seite eins. Jetzt sagt die Europäische Kommission: Okay, ihr dürft nicht nur Google Shopping anzeigen, sondern müsst direkt daneben noch drei andere Shopping-Portale stellen. Das fand ich gar keinen schlechten Kompromiss.

TR: Kompromiss oder neue Geldquelle für Google? Für die Plätze müssen die Anbieter schließlich bezahlen.

Haucap: Wie soll man denn die Plätze sonst zuteilen? Zufällig, ohne Rücksicht auf Beliebtheit? Oder abgestimmt mit so einer Art Rundfunkrat – mit Gewerkschaften, Kirchen und allen Beteiligten? Google hat sicherlich Anreize, sich selbst zu bevorzugen und mit eigenen Inhalten vorzudrängeln. Aber als Abhilfe ein behördliches Genehmigungsverfahren mit einer real existierenden Behörde stelle ich mir gruselig vor. Das wären ja chinesische Verhältnisse.

Google hat seinen Suchalgorithmus im letzten Jahr angeblich 900-mal verändert. Wenn die behördliche Begutachtung so funktioniert wie beim Eisenbahnbundesamt, ist der technische Fortschritt tot. Dann werden die Suchmaschinen demnächst in Moskau oder was weiß ich wo entwickelt, aber nicht mehr in Europa und den USA.

Albrecht: Ich halte den Kompromiss, den der EU-Wettbewerbskommissar vorgeschlagen hat, nicht für ausreichend. Im Übrigen finde ich es hanebüchen, wie einige Unternehmen, insbesondere Google, in der öffentlichen Debatte so tun, als dürfe es keine Regulierung geben. Zu sagen, dass jegliche Regulierung chinesischer Repression gleichkommt, ist vollkommen unangebracht. Wir müssen überlegen, wie wir gemeinsam Regeln für den digitalen Markt schaffen, ohne dass unfaire Ungleichbehandlung stattfindet und individuelle Grundrechte oder wichtige Verbraucherrechte übergangen werden.

TR: Was meinen Sie konkret?

Albrecht: Wir müssen etwa die Frage klären, wie neutral Suchmaschinen ihre Dienste anbieten müssen. Und es geht natürlich auch um Datenschutz sowie Meinungs- und Informationsfreiheit. Für den Einzelnen ist Google eine weiße Webseite mit einem Eingabefeld und ein paar bunten Buchstaben. Niemand versteht, was dahinter mit den eingegebenen Daten passiert.

Es gibt keine Behörde oder andere Form der Aufsicht, die diese algorithmischen Prozesse einsehen darf. Hier muss die Politik dafür sorgen, dass ich als Individuum einem Multimilliardenkonzern wie Google wieder auf Augenhöhe gegenübertreten kann. So haben wir es beim Finanzmarkt auch gemacht. Wir haben gesagt: Bestimmte Berechnungsalgorithmen im Finanzmarkt sind illegal. Die wollen wir so nicht akzeptieren. Also beseitigen wir sie. Und damit wir sie beseitigen können, muss es jemanden geben, der in diese Algorithmen reinguckt.

TR: Herr Haucap, ist das Regulierungswut?

Haucap: Regeln werden immer von denen gemacht, die davon profitieren. Wie viele Leute befassen sich schon mit den Details zur Regulierung einer Branche? Davon versteht der normale Bürger viel zu wenig. Aber diejenigen, die viel davon verstehen, wissen, wie sie die Regeln gestalten müssen, dass sie ihnen nutzen. Nun kommen neue Firmen wie Google oder auch Amazon, die naturgemäß nicht dabei waren, als die Regeln geschaffen wurden. Sie tun Dinge, die eine hinreichende Zahl von Nutzern gut zu finden scheinen.

Prompt wehren sich die Alten mit Händen und Füßen. Das war immer schon so. Als Rowohlt das Taschenbuch eingeführt hat, haben die Leute vor der Proletarisierung des Buchwesens gewarnt. Da muss man sich durchaus fragen: Wird es wirklich so schrecklich sein, wenn Amazon E-Books jetzt noch mal billiger macht?

TR: Gut, dass Sie Amazon ansprechen. Wir wollen ja nicht nur über Google reden, sondern über eine gefährliche Tendenz in der digitalen Wirtschaft generell: Der Gewinner bekommt alles. Ist das kein Problem?

Haucap: Amazon hat 25 Prozent Marktanteil in Deutschland, so groß sind sie auch wieder nicht. Im Buchhandel ist es doch so: Jeder hat über das Copyright eine Art Mini-Monopol auf seine Werke. Natürlich existieren Bücher, die vielleicht austauschbar sind, Kochbücher etwa. Aber Romane?

Wenn ich "Der Circle" lesen will, sage ich ja nicht: Ach, der ist mir zu teuer, ich kaufe lieber den Harry Potter. Mit dem Internethandel haben Menschen selbst an Orten ohne Buchhandlung ein Sortiment, das sie vorher nie hatten. Soll ich nun sagen: Der Internethandel wird wegreguliert, damit die Buchhandlung in Hintertupfingen bestehen bleiben kann? Und wenn ja: Wer trifft diese Entscheidung?

Albrecht: Da muss ich dann doch einhaken. Freuen sich die Menschen etwa darüber, dass Tausende von Mitarbeitern im Buchhandel entlassen werden und Amazon alleinig profitiert?

Haucap: Gegenfrage: Warum muss ich dafür sorgen, dass eine Buchhandlung Geld verdienen kann, wenn ich keinen Vorteil davon habe?

TR: Geschieht also alles im Sinne der Nutzer?

Haucap: In Teilen ist es so. Amazon hätte sich bestimmt nicht gegen den Willen der Nutzer durchgesetzt.

TR: Das Argument führen auch Google und Facebook an. Wirklich zu Unrecht, Herr Albrecht?

Albrecht: Dem Problem ist nicht mit dem Ansatz beizukommen: Da, wo die Leute hingehen, liegt die Lösung. Gerade bei der jüngeren Generation läuft die meiste Kommunikation über WhatsApp oder andere Internetdienste. Sie sind weitestgehend darauf angewiesen, so wie die Generationen vor ihr auf die Post oder das Radio. Die Frage ist also: Können jene, für die Facebook oder WhatsApp eine soziale Infrastruktur darstellt, bestimmte Regeln einfordern oder auf bestimmte Regeln vertrauen?

Hier muss man sagen: Das ist derzeit überhaupt nicht der Fall. Im Moment haben wir ein massives Ungleichgewicht zwischen dem, was die Nutzerinnen und Nutzer von diesem System wissen, und dem, was das System über die Nutzer weiß. An dieser Stelle hat die Politik über Jahre hinweg versagt.

Haucap: Es gibt Leute, denen ist es völlig wurscht, wer alles ihre Daten hat. Ihnen kann man natürlich sagen: Ihr seid naiv. Aber wie stark darf ich sie zwingen, keine Daten mehr herzugeben?

Albrecht: Ich will sie nicht zwingen. Ich will ihnen nur die Möglichkeit geben, nicht daran teilzunehmen beziehungsweise selber zu erkennen, mit welchen Konsequenzen sie diese Dienste in Anspruch nehmen. Ich glaube, dass es einen Markt massiv verzerrt, wenn die Verbraucher nicht wissen, welche Folgen ihr Handeln hat. Deswegen müssen wir zum Beispiel Google oder Facebook sagen: Ihr bietet neben dem jetzigen Geschäftsmodell einen Weg an, bei dem die Menschen keine Daten abgeben müssen, dafür aber eine Nutzungsgebühr bezahlen.

Haucap: So eine Opt-out-Möglichkeit ist nur da notwendig, wo es keine Wettbewerber gibt.

Albrecht: Aber das ist es doch gerade. Wenn meine Freunde bei Facebook sind, gibt es für mich keinen anderen Anbieter.

Haucap: Facebook hat in der Tat eine stärkere Marktstellung als Google, weil es schwieriger ist, sich zu entziehen. Wenn dagegen Google mir nicht gefällt, wechsle ich eben zu einer anderen Suchmaschine oder suche ganz anders, etwa bei Wikipedia.

TR: Aber Google hat immer noch alle Daten aus meinen vergangenen Anfragen und schon allein damit einen Vorteil gegenüber jeder anderen Suchmaschine.

Haucap: Das ist in der Tat schwierig. Hier würde sich das Datenschutzrecht wahrscheinlich sogar mit wettbewerbsrechtlichen Fragen beißen. Im Wettbewerbsrecht sagt man: Hat einer exklusiven Zugang zu Rohstoffen, muss er dafür sorgen, dass die Wettbewerber diesen Zugang ebenfalls nutzen können.

Das gilt für das Schienennetz der Bahn, das Netz der Telekom, die Stromnetze. Aber bei Google und Daten als Rohstoff bekomme ich ein Problem. Wenn Microsoft alle Google-Daten nutzen darf, würde ich als Nutzer sagen: Hör mal, ich habe vielleicht Google eine Einwilligung gegeben, aber deshalb möchte ich noch lange nicht, dass auch Microsoft oder Facebook meine Daten parallel bekommen soll.

Albrecht: Also muss der Einzelne die Möglichkeit haben, seine Daten zu transferieren. Die Daten sollten aber auch eine Rolle bei der Fusionskontrolle spielen. Im Kartellrecht dürfen Markt-Player nicht verschmelzen, wenn sie dadurch eine zu große Marktstellung erhalten. Bezogen auf Daten: Darf eine Suchmaschine mit so einem großen Angebotsspektrum wie Google ein Unternehmen akquirieren, das beispielsweise in der Fahrzeugentwicklung aktiv ist?

TR: Oder intelligente Steuerungen für Smart Homes entwickelt...

Albrecht: Das Wettbewerbsrecht muss in diesem Bereich viel schärfer werden. Es ist allerdings nur ein Baustein. Wir müssen darüber reden, welche Teile der Dienste mittlerweile von so hoher gesellschaftlicher Bedeutung und Marktrelevanz sind, dass engere Regeln nötig sind. Hier kommen wir genau zu den Punkten Netzneutralität, Datenschutz, natürlich auch zur Frage des geistigen Eigentums und anderer Regulierungen. Letztendlich geht es um die Frage: Darf es noch Regeln geben oder nicht?

Haucap: Ich bin durchaus ein Freund von Regeln. Copyright-Verletzungen bleiben Copyright-Verletzungen, Datenmissbrauch bleibt Datenmissbrauch. Aber ich habe etwas gegen Regeln, die nur dazu dienen, mir das Leben schwer zu machen, damit andere Geld verdienen können. Das Wettbewerbsrecht besitzt den großen Vorteil, dass man nicht sofort mit einem Verbot kommt, sondern die Märkte sich erst einmal entwickeln lässt.

Für mich ist es eine Horrorvorstellung, wenn ich für jede Geschäftsidee, die ich entwickle, erst mal eine Autorisierung von irgendeiner Behörde brauche. Dann zementieren sich Regulierungen, die total antiquiert sind und nichts mehr oder nur noch wenig mit dem zu tun haben, was für Nutzer sinnvoll ist.

Schauen wir uns die Debatte um den Beförderungsvermittler Uber an. Da müssen wir fragen: Sind die Taxiregulierungen in Deutschland noch zugeschnitten auf die Welt, in der wir heute leben? Ich kann mir die Historie eines Uber-Fahrers auf einer App angucken und weiß, welche Reputation er hat – ähnlich wie ein Händler bei eBay. Brauche ich da noch die gleichen Regeln wie früher, als ich zu einem mir völlig Unbekannten ins Auto gestiegen bin? Brauchen wir im Zeitalter von Navigationssystemen noch Ortskenntnisprüfungen?

TR: Die Kritiker würden sagen, Uber sei ein gutes Beispiel dafür, wie die Digitalwirtschaft Regeln ignoriert und Fakten schafft. Für den Verbraucher mag das besser sein, aber der einzelne Fahrer hat keinen Mindestlohn, keine Pausenregelung und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Haucap: Machen wir uns doch nichts vor. Die Taxifahrer wurden auch unter dem bisherigen System ausgebeutet, nur eben von den Taxiunternehmen. Außer in Hamburg und Berlin gab es in den meisten Märkten eine begrenzte Anzahl von Lizenzen. Um an sie heranzukommen, mussten Fahrer fünfstellige Euro-Beträge bezahlen. Zudem haben die Fahrer auch ohne Uber häufig noch nicht mal den Mindestlohn bekommen. Die Taxiunternehmen dagegen verdienen unter dem Schutz der Regulierungen ganz gutes Geld.

Albrecht: Die Kritik an den Strukturen im Taxiwesen ist berechtigt. Wenn wir die Regeln ändern wollen, müssen wir sie ändern. Das ist allerdings Aufgabe der Politik und des gesellschaftlichen Diskurses. Es ist nicht Aufgabe der Unternehmen, die Regeln einfach zu ignorieren. Wenn wir damit anfangen, brechen wir mit dem Rechtsstaat, der uns viele Freiheiten gebracht hat – Freiheit von Willkür vor allen Dingen.

Haucap: Das teile ich – im Prinzip. Leider bewegt sich die Politik nicht, wenn sie niemand von außen mit Gewalt dazu zwingt. Die Taxiregeln haben sich jahrzehntelang überhaupt nicht verändert. Andere Branchen sind sogar noch verkrusteter.

Das Lotsenwesen etwa funktioniert nach fast 100 Jahre alten Regeln. Das ist hanebüchener Quatsch. Schließlich gibt es inzwischen moderne Navigationssysteme. Aber die Politik bewegt sich nicht. Warum? Weil die Leute, die von diesen Regeln enorm profitieren, sich dagegen sträuben. Das ist für mich ein massives Politikversagen.

Albrecht: Der Begriff Gewalt impliziert bereits, dass es jemand sein muss, der Macht hat und Gewalt ausüben kann. Und eine Gesellschaft ist eben nicht mehr demokratisch-rechtsstaatlich, wenn nur derjenige mit Macht am Ende Entscheidungen in seine Richtung lenken kann. Deswegen ist es nicht adäquat zu sagen, die Internetkonzerne bringen den Verbrauchern und der Welt ein Heil, weil sie mit Gewalt ihre eigenen Interessen durchsetzen.

Profitorientierte Akteure haben eben die Eigenheit, nicht auf das langfristige Wohl der Gesellschaft zu schauen. Wenn die ganz großen Internetkonzerne nun versuchen, sich loszumachen von staatlicher Regulierung, müssen wir uns fragen: Sollen wir das hinnehmen? Ich glaube, die Gesellschaft würde diese Frage anders beantworten als etwa Google.

Haucap: Die Angst ist doch übertrieben. Im Internet verschwinden Monopole auch schnell wieder.

TR: Sind Sie sicher? Die Digitalkonzerne investieren mittlerweile kräftig in Hardware. Google verlegt sein drittes Transatlantik-Glasfaserkabel. Amazon ist ein riesiger Cloud-Anbieter. Festigt das nicht ihre Macht?

Haucap: Die Hardware entwickelt sich rasant. Die genannten Unternehmen verfügen heute zwar über eine große Infrastruktur, aber bei dem rapiden technischen Fortschritt verliert sie auch ganz schnell an Wert. Das ist anders als bei Eisenbahnschienen oder Wasserleitungen.

Albrecht: Ich halte den Aufbau einer privaten Netzinfrastruktur für ein Riesenproblem. In der Vergangenheit wurde das Telekommunikationsnetz hauptsächlich mit staatlichen Investitionen aufgebaut, wie andere Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge auch. Wenn wir nun einen Wettlauf um diese Güter eröffnen, ist das bedenklich.

Die Kommunikationsnetze müssen öffentlicher Raum bleiben. Die dürfen nicht zum Closed Shop für einige Player werden. Wenn wir das zulassen, haben wir genau das, was es im 18. und 19. Jahrhundert gegeben hat: geschlossene Märkte, geschlossene Gesellschaften. Wir wollen aber einen offenen Markt und eine offene Gesellschaft.

Haucap: Häufig ist die staatlich angebotene Infrastruktur leider so schlecht, dass die Leute die Schnauze voll haben. Gehen Sie an irgendeine Hochschule in Nordrhein-Westfalen, der Zustand der Infrastruktur ist gruselig. Ich verstehe, dass die Leute so eine verrottende Infrastruktur nicht wollen. Wenn jetzt Google ein Netz aufbaut, wie es das in einigen amerikanischen Städten bereits tut – sollen wir es ihnen verbieten?

Albrecht: Sie dürfen es natürlich, aber eben nur unter bestimmten Bedingungen. Es muss klar sein, dass die Datenleitung offen für andere Anbieter ist.

Haucap: Wir haben ja entsprechende Regulierungen. Mich treibt ein anderes Problem viel stärker um: Ob wir bei den riesigen Cloud-Diensten in Zukunft nicht ganz ähnliche Schwierigkeiten bekommen wie auf den Finanzmärkten: Dass einer so groß wird und so viele Daten hostet, dass er "too big to fail" ist.

Stellen wir uns vor, Amazon würde bankrott gehen und sagen: Wir müssen unsere gesamten Datenzentren dichtmachen. Das hätte massive Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir für diesen Fall neue Regeln brauchen. (wst [1])


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