Teures Indien

Outsourcing in aufstrebende Länder der Dritten Welt war in der High-Tech-Branche in den letzten Jahren vielerorts das Motto. Inzwischen besinnen sich auch sonst äußerst flexible Silicon-Valley-Firmen auf den heimatlichen Standort zurück.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.

Die Angst vor den billigen indischen IT-Arbeitern geht seit Ende der neunziger Jahre in vielen Branchen um. Großkonzerne verlagerten ganze Abteilungen in das Land, in dem gut ausgebildete, Englisch sprechende Mitarbeiter zu günstigsten Preisen scheinbar unbegrenzt verfügbar waren.

Neben den eher einfacheren Aufgaben wie Kunden-Support, Call Center oder Back Office mussten sich die westlichen Arbeitnehmer zwischenzeitlich um den Weggang höher qualifizierter Jobs sorgen - auch Funktionen wie Forschung und Entwicklung ließen sich billiger in Mumbai, Hyderabad oder Bangalore stemmen, bekamen sie von ihrem Management zu hören.

In Indien löste dies alles einen beispiellosen Boom aus. 500.000 Akademiker aus ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen, zu denen auch die Computerfachleute gehören, spucken die indischen Universitäten alle 12 Monate aus. Bei Einstiegsgehältern von unter 4000 Euro im Jahr ließen sich die Investoren aus dem Westen diesen Arbeiterpool nicht entgehen.

Glitzernde Firmenniederlassungen wurden in immer mehr Regionen hochgezogen, was zu teils himmelschreienden Gegensätzen führte - dort gut gekleidete Büroangestellte, daneben zerlumpte Bauern mit heiligen Kühen. Die Infrastruktur hielt nur eingeschränkt mit, so dass die Großkonzerne nicht selten ihre eigenen Stromversorgungen, Gesundheitszentren, Straßen und Parks anlegten, um nicht auf die noch immer schlecht beleumundete indische Bürokratie angewiesen zu sein.

Doch diese Kosten gehören nicht zu den einzigen negativen Aspekten, die der Einstieg in den indischen Markt bedingt. Das Pendel der Globalisierung ist nämlich gerade dabei, wieder zurück zu schwingen: Die Löhne in Indien steigen enorm. Das führt nicht nur dazu, dass sich Unternehmen mit einfacheren Anforderungen überlegen, Call Center etwa auf die Philippinen oder nach Vietnam zu verlagern, weil die Löhne dort billiger sind - sondern auch, das High-Tech-Firmen erkennen, dass ihr alter Standort durchaus attraktiv war.

Zu den Indien-Flüchtlingen gehört unter anderem der Chip-Riese Intel. Dessen Boss Paul Otellini beklagt eine Lohninflation im Land der Maharadschas, die vier Mal so hoch wie in den USA sein soll. Dementsprechend will man seine knapp 2500 Mann starke Truppe in Bangalore auch nicht signifikant verstärken, sondern investiert lieber in Vietnam.

Für gute Ingenieure mit Erfahrung werden in Indien inzwischen bis zu 75 Prozent des Gehaltes ihrer Kollegen in den USA bezahlt - Aktienoptionen inklusive. Die Lobbyorganisation der IT-Dienstleistunger und Softwarehersteller des Landes beziffert die Lohninflation auf maximal 15 Prozent im Jahr. Das ist allerdings nur der Durchschnitt. 50 Prozent und mehr seien möglich, munkeln Insider. In den USA begnügten sich die IT-Arbeiter trotz wieder aufflammendem Boom dank "Web 2.0" & Co. mit mageren 3 Prozent.

Laut einer Studie von McKinsey aus dem Jahr 2005 sind indische Uni-Absolventen nur zu einem Drittel dazu geeignet, in multinationalen Konzernen mitzuhalten. Zwar tat sich hier in den letzten Jahren viel und auch die Eliteschulen wie das Indian Institute of Technology haben im Silicon Valley einen exzellenten Ruf. Doch viele der Alumni dieser Top-Universitäten bleiben nicht in Indien, sondern gehen gleich in die USA.

Ein Beispiel, das in der aktuell im Silicon Valley heiß geführten "Back from India"-Debatte gerne genannt wird, ist die Fotosuchmaschine Riya. Das Start-up hatte eigentlich die allerbesten Voraussetzungen, in Indien erfolgreich zu sein. Gründer Munjal Shah ist selbst Inder und kam als Kind in die USA. In seinen früheren Firmen profitierte er stark von den Lohnunterschieden, lagerte viel Arbeit auf den Subkontinent aus.

Bei Riya, wo man inzwischen auch das Shopping-Portal Like.com betreibt, sah und sieht das allerdings anders aus: Shah zog seine letzten Arbeitnehmer im Frühjahr ab, beschäftigte die besten in den USA weiter. Sein Problem war der Druck, ständig Lohnerhöhungen durchführen zu müssen, um die besten Ingenieure in seiner Firma halten zu können. Die Globalisierungskarawane zieht unterdessen weiter - immer dem Pool kostengünstiger Arbeitnehmer hinterher. (bsc)