Digitaler Workflow bis zum Ende: Über die Zukunft der Todesbescheinigungen

Ärzte sollen Todesbescheinigungen in Zukunft bundesweit per App vor Ort erfassen können. Aktuell läuft ein Probebetrieb zur elektronischen Todesbescheinigung.

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Mit Etikett versehene Füße eines toten Menschen im Kühlhaus

(Bild: Fer Gregory/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Imke Stock
Inhaltsverzeichnis

Der Weg vom Tod bis zur Bestattung teilt sich in mehrere Akte, bei denen Informationen in Formularen erfasst, nachträglich digitalisiert und an andere Stellen weitergereicht werden. Ein Verwaltungsakt mit zahlreichen Blättern Papier will bewältigt werden, bevor die verstorbene Person zur letzten Ruhe gelassen werden kann.

Diese Erfassung der Daten in der Todesbescheinigung (TB) und deren Weiterverarbeitung sollen in der deutschen Verwaltung digital werden und das eigentlich schon seit Jahren. Die Arbeiten für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) laufen bundesweit – die Todesbescheinigung gehört ins OZG-Themenfeld Gesundheit. Künftig soll die Leichenschau vor Ort per App dokumentiert werden können.

Wenn ein Mensch stirbt, muss ein Arzt den Tod und dessen Umstände im Rahmen einer Leichenschau feststellen und beurkunden. Zusätzlich muss die Identität der verstorbenen Person geklärt sein oder Schritte zur Identifizierung eingeleitet werden. Die Ergebnisse der Leichenschau werden in der Todesbescheinigung dokumentiert. Zukünftig sollen Ärzte dafür keine Papierformulare mehr ausfüllen und für die Weitergabe eintüten, sondern die Daten in einer elektronischen TB erfassen und verschicken.

Die eTB soll die Datenqualität verbessern und für eine "medienbruchfreie elektronische Meldekette zwischen allen relevanten Akteuren" sorgen: von der Erfassung des Todesfalls vor Ort durch den Arzt über die Verwaltung bis zur Statistik.

Die Feststellung des Todes und die Ermittlung der Todesursache dienen nicht nur dem Patienten, sondern sind auch für die Angehörigen und oft auch von allgemeinem Interesse. Informationen aus der Todesbescheinigung werden für Statistiken, die Rechtspflege, die Nachlassverwaltung, die öffentliche Gesundheit und die Wissenschaft und Forschung genutzt.

Für die Rechtssicherheit ist es wichtig sicherzustellen, dass kein unnatürlicher Tod übersehen wird. Wenn ein Zusammenhang zwischen Unfall und Tod nicht erkannt wird, zahlt eine Unfallversicherung auch keine Leistungen. Im schlimmsten Fall kommt ein weiterer Mensch zu Schaden, weil die Ursache noch besteht, aber nicht erkannt und beseitigt wurde – etwa am Beispiel bei einem Stromschlag oder einer Kohlenmonoxidvergiftung. Ein nicht-natürlicher Tod könnte auch die Folge einer Straftat sein. Tötungsdelikte sollen nicht unentdeckt bleiben, deshalb müssen Leichenbeschauer genau hinsehen.

Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Berichte über ungenügende Qualität der Leichenschau und der Dokumentation in der Bescheinigung. Eine im Jahr 2017 erschienene Studie kam zu dem Ergebnis, dass von 10.000 untersuchten TB nur 223 (2,23 %) fehlerfrei ausgestellt waren. In den 9777 (97,77 %) nicht korrekt ausgestellten Todesbescheinigungen fanden sich insgesamt 38.852 Fehler. Die gezogene Schlussfolgerung: "Die derzeitige Praxis der Ausstellungen von Todesbescheinigungen in Deutschland ist nicht zufriedenstellend", heißt es in der Studie (PDF).

Die TB wird umgangssprachlich als Totenschein oder auch als "ärztliche Sterbefallbescheinigung" betitelt. Maßgeblich für die Ausfertigung sind die Bestattungsgesetze und dazugehörige Verordnungen der einzelnen Länder. Die Formularblätter der Länder unterscheiden sich im Aufbau und was die Menge an Daten betrifft. Über die Jahre hat es in einzelnen Ländern Änderungen ihrer TB-Formulare gegeben – eine bundesweite Harmonisierung der verschiedenen TB gab es jedoch nicht.

Zukünftig sollen Ärzte bundesweit die Todesbescheinigungen elektronisch ausfüllen und an eTB-Portale übermitteln. Von dort erfolgt dann zentral die Weitergabe der Daten zur Bearbeitung an Behörden und Institutionen – zum Beispiel Gesundheitsamt, Standesamt, Statistisches Landesamt. Mit der Einführung der eTB soll es eine "nachhaltige Verbesserung der Qualität, Aussagekraft und Aktualität der Todesursachenstatistik" geben.

Die Daten werden in unterschiedlichem Umfang weitergeleitet: Das Standesamt ist für Sterbefallbeurkundung und des Bestattungsscheins zuständig. Es ergänzt den Datensatz, wenn nötig, und fordert fehlende Daten an, trägt den Fall ins Sterberegister ein und gibt den Meldebehörden Kenntnis, damit das Einwohnermelderegister aktualisiert wird. Mit der Sterbeurkunde als Nachweis können zum Beispiel Verträge der verstorbenen Person gekündigt werden, manche soziale Netzwerke wie Twitter verlangen ebenfalls einen solchen Nachweis zur Kontoübergabe an Erbende.

Weiterhin meldet das Standesamt den Sterbefall gegebenenfalls an Institutionen wie Sozialversicherungsträger oder das Finanzamt und an das zentrale Testamentsregister. Das Standesamt schickt die Daten dann an das Gesundheitsamt weiter. In einzelnen Ländern erfolgt auch eine Weitermeldung an das Landeskrebsregister.

Sterbefallstatistiken und Todesursachenstatistiken werden weltweit erhoben. Die Lebenserwartung gilt als wichtigste Kennzahl für die Beurteilung der Gesundheit der Bevölkerung. Aus der Todesursachenstatistik (Mortalitätsstatistik) werden wichtige Gesundheitsindikatoren wie Sterbeziffern, verlorene Lebensjahre und vermeidbare Sterbefälle ermittelt. Es können regionale Besonderheiten und deren Veränderungen im Laufe der Zeit untersucht werden. Aus den Erkenntnissen werden Handlungsempfehlungen und Strategien für epidemiologische Forschung und Prävention, Gesundheitsplanung und Gesundheitspolitik abgeleitet.

Die Landesstatistikbehörde bereitet die Daten aus der TB mithilfe der Software IRIS für die Todesursachenstatistik auf. IRIS ist ein automatisches System zur Kodierung mehrerer Todesursachen und zur Auswahl von der zugrunde liegenden Todesursache gemäß den ICD-10-Regeln der WHO. Diese ICD-Klassifikation enthält etwa 12.000 verschiedene Positionen und gehört zu den umfangreichsten statistischen Klassifikationen überhaupt. Bei unklaren Angaben fragt das Landesstatistikamt bei den leichenschauenden Ärzten und beziehungsweise oder dem Gesundheitsamt nach. Anschließend schickt es die Daten an das Statistische Bundesamt – dort werden die zentrale Sterbefallstatistik und die Todesursachenstatistik geführt. Von hier werden die Daten für Deutschland zentral an die WHO gemeldet.

2017 begann ein Vorprojekt zur "Grobkonzeption einer bundeseinheitlichen elektronischen Todesbescheinigung (eTB)". Zuständig waren seinerzeit das Statistische Bundesamt (StBA) und Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI, ist im BfArM aufgegangen). Es folgte das Projekt "Pilotierung einer elektronischen bundeseinheitlichen Todesbescheinigung (eTB)". 2022 wurde die eTB App von der Firma Init entwickelt und sollte im Pilotbetrieb getestet werden.

Leichenschauende Ärztinnen und Ärzte erfassen die Daten für die Todesbescheinigungen mit der eTB-App. Der größte Teil der Datenfelder ist unabhängig vom Bundesland gestaltet. Die App bietet eine fallspezifische Menüführung und Unterstützung bei der Eingabe an. Die Daten zur Leichenschau umfassen insgesamt einen umfangreichen Stammdatensatz. Felder, die im Einzelfall nicht benötigt werden, werden nicht angezeigt. Bei verstorbenen Männern würden zum Beispiel die auf Schwangerschaften bezogenen Datenfelder nicht angezeigt.

Die eTB-App enthält ein Online-Lexikon zur Leichenschau. Außerdem gibt es die Möglichkeit, fachspezifische Erläuterungen zu den Eingabefeldern einzublenden. Bereits bei der Eingabe findet eine Plausibilitätsprüfung statt. Dokumentationsfehler werden durch farbige Markierungen im Eingabeformular hervorgehoben. Zusätzlich werden Warn- und Fehlermeldungen in Textform angezeigt. Der Arzt kann Fehler in der Dokumentation dann direkt korrigieren. Die TB wird nach Fertigstellung elektronisch versendet. Die Daten könnten theoretisch innerhalb weniger Minuten in den Verwaltungssystemen von Standesamt und Gesundheitsamt verfügbar sein und dort weiterverarbeitet werden.

Die Pilotphase der eTB App soll bis Ende Juni 2023 laufen. Die beteiligten Projektpartner, das Statistische Bundesamt und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, werden dem Auftraggeber – dem Bundesministerium für Gesundheit – die Ergebnisse in einem Abschlussbericht vorlegen.

Auch wenn die technische Umsetzung klappt, wird es bis zu einer bundesweiten Einführung der eTB (App) noch einige Zeit dauern: Tod und Sterben sind in Deutschland Sache der Länder. Unterschiedliche Gesetze und Vorschriften im Bestattungsrecht der Länder müssen angepasst werden, damit eine bundesweite eTB digital für alle und von allen genutzt werden kann. Die Toten selbst haben im Gegensatz zu den Lebenden keine Eile bei der Digitalisierung ihrer Daten.

(mack)