Tödliches Gehirn-Backup

Das Start-up Nectome will einen Dienst entwickeln, mit dem Kunden ihren Denkapparat konservieren lassen können – dafür aber zuvor nicht mehr unter den Lebenden weilen dürfen.

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Von
  • Antonio Regalado
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Der Start-up-Brutkasten Y Combinator (YC) ist bekannt dafür, dass er Gründer mit kühnen Ideen unterstützt und durch ein dreimonatiges "Boot Camp" schickt. Doch die junge Firma Nectome dürfte selbst hier eine Besonderheit darstellen.

Nächste Woche wird dessen Gründer Robert McIntyre während der sogenannten Demo Days von YC ein Verfahren beschreiben, mit dem sich ein Gehirn in extrem gutem Zustand bis ins mikroskopisch Detail erhalten lässt – in Form eines High-Tech-Einbalsamierungsprozesses. Der Geschäfts-"Pitch" von Nectome: "Was wäre, wenn wir Ihnen sagen, dass wir ein Backup Ihres Gehirns durchführen können?"

Das Start-up wäre damit die erste Erhalte-Deinen-Denkapparat-und-sichere-ihn-Firma. Die chemische Lösung kann Körperbestandteile laut Angaben der Firma Hunderte von Jahre intakt halten – wie eine Statue aus gefrorenem Glas. Der Plan ist, dass Forscher in der Zukunft eines Tages in der Lage sein werden, das gelagerte Gehirn zu scannen und dann in eine Computersimulation zu überführen. Auf diese Art wird eine Person, die dem Besitzer des Denkapparats sehr ähnlich ist, irgendwann in einem Rechenzentrum Wiederauferstehung feiern.

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Da wäre allerdings ein klitzekleines Problem – und es ist ziemlich furchtbar. Damit die Nectome-Prozedur funktioniert, muss das Gehirn ganz frisch sein. Die Firma plant daher, Menschen mit einer tödlichen Krankheit an eine Herz-Lungen-Maschine anzuschließen und dann ihre spezielle Mischung Einbalsamierungschemikalien durch die Halsschlagader zu pumpen, während diese noch am Leben sind – immerhin unter Vollnarkose.

Nectome beschäftigt dafür Anwälte, die das vor zwei Jahren verabschiedete "End of Life Option"-Gesetz der kalifornischen Regierung kennen. Dieses erlaubt eine vom Arzt unterstützte Selbsttötung für Todkranke. Laut diesem sei die Dienstleistung legal, glaubt McIntyre. Das Produkt sei "zu 100 Prozent tödlich". Entsprechend sei man "unter den Y Combinator-Firmen in einer ungewöhnlichen Position".

Das Hochladen des Gehirns in einen Computer kennt man aus der Science-Fiction-Literatur und von Autoren wie Ray Kurzweil. Interessierte dürften davon überzeugt sein, dass Unsterblichkeit in Form eines Computerprogramms in Zukunft erreichbar sein wird. Wer Nectomes Idee albern findet, dürfte dagegen die ganze Idee des sogenannten Transhumanismus ablehnen – und ihn als eine Art High-Tech-Religion abtun, deren Kleriker die Angst der Menschen vor dem Tod auszunutzen versuchen.

Spannend bleibt Nectome in jedem Fall. Das Unternehmen bekam schon zuvor eine große staatliche Förderung der US-Regierung und arbeitet mit Edward Boyden zusammen, einem Spitzenforscher auf dem Gebiet der Neurowissenschaften am MIT. Das Verfahren des Start-ups hat zudem kürzlich einen mit 80.000 US-Dollar dotierten Forschungspreis erhalten, weil es ihm gelang, ein Schweinegehirn so gut zu konservieren, dass sich jede einzelne Synapse mit einem Elektronenmikroskop studieren ließ.

McIntyre ist nicht Hirnforscher, sondern Computerwissenschaftler. Er und sein Mitbegründer Michael McCanna folgen dem Handbuch anderer Tech-Entrepreneure mit makaberem Eifer. "Die Nutzererfahrung wird der eines vom Arzt begleiteten Selbsttötung entsprechen", sagen sie. "Der Product-Market-Fit sind Menschen, die daran glauben, dass es funktioniert."

Der Backup-Dienst fürs Gehirn ist derzeit noch nicht kommerziell verfügbar und es könnte noch einige Jahre dauern, bis es soweit ist. Zudem fehlt es an wissenschaftlichen Beweisen dafür, dass Erinnerungen sich aus totem Gewebe wiederherstellen lassen. Nectome hat dennoch einen Weg gefunden, die Nachfrage zu überprüfen.

Nach dem Beispiel des E-Auto-Herstellers Tesla hat die Firma eine Warteliste gestartet. Wer sich für den Service interessiert, muss 10.000 Dollar für einen Platz zahlen. Das Geld gibt's wieder zurück, wenn man sich umentscheidet.

Bislang gibt es bereits 25 Kunden. Einer davon ist Sam Altman, 32 und seines Zeichens Mitbegründer von Y Combinator und einer der bekanntesten Silicon-Valley-Investoren. Gegenüber Technology Review sagte er, er sei sich "ziemlich sicher, dass der Geist noch in meiner Lebenszeit digitalisiert" werde. "Ich nehme an, das Gehirn wird in die Cloud hochgeladen."

Die Lagerung der Gehirne Verstorbener ist kein neues Geschäftsmodell. In Arizona hält die Firma Alcor Life Extension Foundation mehr als 150 Körper in flüssigem Stickstoff eingefroren vor – darunter die Baseball-Legende Ted Williams. Es gibt allerdings Streit darüber, ob solche kryonische Verfahren das Gehirn nicht schädigen – und zwar derart, dass es nicht mehr zu gebrauchen wäre.

McIntyre entschloss sich deshalb vor einigen Jahren, mit einer Firma namens 21st Century Medicine eine neue Methode zu entwickeln, die Einbalsamierung mit Kryonik kombiniert. Dabei half ihm der Kryobiologe Greg Fahy. Das Verfahren erwies sich als so effizient, dass sich ein Gehirn bis ins Nanometerniveau hinunter erhalten ließ. Auch das Konnektom, das Gespinst aus Synapsen, die die Neuronen miteinander verbinden, blieb bestehen.

Eine Karte des Konnektoms könnte die Basis dafür sein, das Bewusst sein einer bestimmten Person wiederzuerschaffen. Das glaubt zumindest Ken Hayworth, ein Neurowissenschaftler, der Präsident der Brain Preservation Foundation ist, jener Organisation, die in dieser Woche McIntyre und Fahy einen Preis für die Erhaltung eines Schweinegehirns überreichten.

Dass sich ein so aufbewahrtes Gehirn wieder zum Leben erwecken ließe, gilt dagegen als unwahrscheinlich – auch wenn sich das etwa Alcor erhofft. Stattdessen ist die Idee, Informationen aus dem Gehirn zu extrahieren, die im anatomischen Layout und in den molekularen Details stecken. "Wenn das Gehirn tot ist, ist es so, als wäre der Computer ausgeschaltet, aber das heißt nicht, dass die Informationen nicht da wären", so Hayworth.

Das Konnektom eines Gehirns ist unglaublich komplex, einzelne Nerven können sich mit 8000 anderen verbinden und das Gehirn enthält Millionen von Zellen. Heute ist es noch eine enorm schwere Aufgabe, einen Quadratmillimeter der Verbindungen eines Mäusegehirns bildgebend zu erfassen. In 100 Jahren sei das aber wohl kein Problem mehr, glaubt Hayworth. "Wenn Sie mich fragen, hätte ich eine tödliche Krankheit, ich würde diese Methode der Euthanasie wählen."

Das Nectome-Team demonstrierte die Ernsthaftigkeit seiner Idee im letzten Januar. Damals verbrachten McIntyre, McCanna und ein eingekaufter Pathologe mehrere Wochen in einer Airbnb-Ferienwohnung in Portland, Oregon, während sie darauf warteten, einen frisch gestorbenen Körper zu erwerben.

Im Februar erhielten sie den Körper einer älteren Frau und begannen nur zweieinhalb Stunden nach ihrem Tod, ihr Gehirn zu konservieren. Es war das erste Mal, dass das Verfahren an einem menschlichen Denkapparat ausprobiert wurde. Es trägt den Namen Aldehyd-stabilisierte Kryopreservation.

Fineas Lupeiu, Gründer von Aeternitas, einer Firma, die es Menschen erlaubt, ihren Körper für die Wissenschaft zu spenden, bestätigte, dass er Nectome als Kunden hat. Alter und Todesursache der Frau wollte er ebenso wenig nennen wie den Preis für die Leiche.

Die Konservierungsprozedur dauerte rund sechs Stunden und wurde in einer Leichenhalle durchgeführt. "Man kann das, was wir tun, mit einer ausgefallenen Form der Einbalsamierung vergleichen, bei dem nicht nur die äußeren Details des Körpers sondern auch die inneren erhalten werden", so McIntyre. Das Gehirn der Frau sei "eines der am besten erhaltenen aller Zeiten", auch wenn es dadurch, dass sie vor der Konservierung bereits mehrere Stunden tot war, zu Beschädigungen kam. Für die Ewigkeit gelagert werden soll es aber nicht, stattdessen wird das Gehirn in papierdünne Schichten zerlegt, um es dann mit einem Elektronenmikroskop zu untersuchen.

McIntyre meint, dass der Versuch ein Testlauf dafür war, wie er Konservierungsdienst von Nectome später einmal aussehen könnte. Die Firma versucht nun als nächsten Schritt den Test am lebenden Objekt – und ist dabei, eine Person zu finden, die aufgrund einer tödlichen Erkrankung Sterbehilfe haben möchte.

Hayworth will unbedingt vermeiden, dass Nectome seinen Dienst anbietet, bevor die Firma ihren Prozess wissenschaftlich publiziert hat. Nur dann könne die Gemeinschaft der Mediziner und Ethiker das Verfahren wirklich durchdiskutieren.

"Wenn Sie so sind wie ich und glauben, dass ein Hochladen des Geistes in einen Computer eines Tages passieren wird, ist das kein besonders kontroverses Verfahren", sagt er. "Es könnte aber so wirken, als würde die Firma versuchen, Leute zum Selbstmord zu verführen, um ihr Gehirn zu erhalten." Entsprechend bewegten sich McIntyre und Co. auf sehr schmalem Grad mit ihrer Warteliste. Womöglich hätten sie die Grenze bereits überschritten.

Einige Forscher sagen, dass Konservierung und Reanimierung eines Gehirns ein grundsätzlich betrügerisches Unternehmen seien. 2015 schrieb Michael Hendricks, Neurowissenschaftler an der McGill University in Kanada, bei Technology Review, die Transhumanisten weckten eine "erbärmlich falsche Hoffnung" bei ihrer Kundschaft. Die Wiedererweckung werde technisch wohl niemals möglich sein.

Nachdem er sich die Website von Nectome angesehen hatte, meinte er: "Spätere Generationen mit solchen Gehirnbanken zu belasten, ist so arrogant, dass es fast komisch ist. Hinterlassen wir Ihnen nicht schon genügend Probleme?" Er hoffe, dass die Menschen der Zukunft erkennen, dass im 21. Jahrhundert "die reichsten und bequemsten aller Zeiten" ihr Geld und ihre Ressourcen dafür verwendet hätten, auf Kosten ihrer Nachkommen ewig zu leben. "Das ist doch ein Witz, oder? Die sind wie Bösewichte aus dem Comic."

Nectome hat allerdings schon leidlich viel Geld für seine Dienstleistung eingeworben. Eine Million Dollar floss an Investitionsmitteln bereits – inklusive der typischen 120.000 Dollar, die YC springen lässt, wenn es ein Unternehmen in seinen "schnellen Brüter für Start-ups" aufnimmt. 960.000 Dollar kamen wiederum als Forschungsmittel vom US-Nationalinstitut für geistige Gesundheit (NIMH), um ein Verfahren aufzubauen, mit dem komplette Gehirne bis auf Nanoebene konserviert werden können – inklusive passender bildgebender Verfahren. Kommerzielle Anwendungen werden in dem Proposal bereits vorhergesagt, allerdings nicht die, mit denen Nectome nun an die Öffentlichkeit tritt – stattdessen soll die Technik etwa für die Medikamentenforschung nützlich sein.

Ungefähr ein Drittel der NIMH-Gelder werden im MIT-Labor von Edward Boyden ausgegeben, einem bekannten Neurowissenschaftler. Boyden sagt, er wollte die Konservierungstechnik von McIntyre mit einem Verfahren kombinieren, das an seiner Hochschule erfunden wurde. Mit der sogenannten Expansionsmikroskopie lässt sich Hirngewebe auf das zehn- bis zwanzigfache seiner Größe "aufblasen", was verschiedene Messungen erleichtert.

Auf die Frage, was er vom Gehirn-Backup als Dienstleistung hält, meinte er, solange Nectome klipp und klar sage, was sie (wissenschaftlich) wüssten und was nicht, sei die Bewahrung der Informationen im Gehirn eine "sehr nützliche Sache".

Es gibt jedoch viele Unbekannte in dieser Rechnung. So weiß noch niemand, was das Bewusstsein überhaupt ist, was wiederum eine irgendwann mögliche Simulation schwer nachvollziehbar macht. Zudem ist unklar, welche Details der Gehirnstruktur und Molekularebene wirklich erhalten bleiben müssen, um eine Persönlichkeit oder auch nur eine Erinnerung zu bewahren. Sind es nur die Synapsen oder jedes vergängliche Molekül in unserem Denkapparat? "Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir letztendlich Daten", meint Boyden.

Nectome beschäftigt sich seit Wochen und Monaten mit dem perfekten Pitch, der während der berühmten Demo Days von Y Combinator in nur zwei Minuten vorgetragen werden soll. Dann werden einige der prominentesten Geldgeber der Welt im Raum sitzen. Das Team wollte nicht unbedingt das Gehirn der älteren Frau zeigen, das man kürzlich konserviert hatte – es könnte verstörend sein. Auch wurde der Slogan nachträglich geändert. Aus "Wir archivieren Ihr Gehirn" wurde "Dem Ziel verpflichtet, Ihr Gehirn zu archivieren". Letzteres verspricht dann nicht mehr ganz so viel.

McIntyre sieht seine Firma in der Tradition sogenannter Hard-Science-Start-ups, die an schweren wissenschaftlichen Problemen arbeiten – etwa an einem funktionierenden Quantencomputer. "Diese Firmen können heute auch nichts verkaufen, obwohl es viel Interesse an Technik gibt, die revolutionär wäre, solle sie umsetzbar sein." Er glaube, dass die Gehirnkonservierung "ein großartiges kommerzielles Potenzial" habe.

Einer speziellen Start-up-Maxime ist er ebenfalls verpflichtet: Dass Entrepreneure ein Produkt schaffen sollten, dass sie selbst verwenden wollen. Mit anderen Worten: McIntyre sieht gute Gründe dafür, Kopien seiner selbst irgendwo zu speichern – und auch die Kopien anderer Leute. "Es gibt da eine große philosophische Debatte, aber für mich ist eine Simulation nah genug, dass sie sich lohnt." Einen "viel größeren humanitären Aspekt" sieht er auch. "Wenn heute eine Generation von Menschen stirbt, verlieren wir all ihre kollektive Weisheit. Wissen kann man an die nächste Generation übertragen, doch bei Weisheit ist das schwerer, weil man durch sie hindurch muss. Deine Kinder lernen aus den gleichen Fehlern, die Du selbst gemacht hat." Das sei für eine Weile genug gewesen, aber mit jeder neuen Generation werde der Mensch mächtiger. "Das reine immense Potenzial von dem, was wir tun, wächst, aber die Weisheit nicht."

(bsc)