Verstimmt – Keine Online-Abstimmung bei GEMA & Co.

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften müssen ihre Mitglieder auf elektronischem Wege an Entscheidungen beteiligen. Das tun sie aber nur äußerst zögerlich.

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Verstimmt – Keine Online-Abstimmung bei GEMA & Co.

(Bild: Pixabay, Matthias Wewering)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Tim Gerber
Inhaltsverzeichnis

Eigentlich wollte der EU-Gesetzgeber den Verwertungsgesellschafen eine klare Ansage machen: „Die Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung erlauben ihren Mitgliedern, unter Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel mit ihnen zu kommunizieren, auch zwecks Ausübung von Mitgliedschaftsrechten.“ So steht es seit 2014 in der Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments.

In Brüssel war man sich des Problems bewusst, dass solche Organisationen zwar die Rechte von sehr vielen Kreativen wahrnehmen, diese jedoch mit bürokratischen Vereinsreglements und verknöcherten Organisationsstrukturen mäßig bis gar nicht an ihren Entscheidungen beteiligen. Wie die Einnahmen verteilt werden, bestimmen maßgeblich die Verwaltungsräte. Das sind vorwiegend mit älteren Honoratioren männlichen Geschlechts besetzte, weitgehend geschlossene Zirkel, die meistens in Hinterzimmer tagen. Rechteinhaber haben keinen Einfluss darauf, und selbst diejenigen, denen erweiterte Mitgliedsrechte zugebilligt werden, können sich kaum beteiligen.

So vertritt etwa die VG Wort, mit Jahreseinnahmen von etwa 200 Millionen Euro nach der GEMA die zweitgrößte Verwertungsgesellschaft Deutschlands, nach eigenen Angaben etwa 270.000 Autorinnen und Autoren. Nur circa 1000 davon sind Mitglieder und können somit Stimmrechte in der jährlichen Mitgliederversammlung ausüben, die den Verwaltungsrat wählt und letztlich über die Verteilung der Einnahmen entscheidet. Um in den Kreis der Mitglieder aufzusteigen, muss man drei Jahre lang im Durchschnitt Einnahmen von jeweils über 400 Euro von der VG Wort bezogen haben – oder aber man wird vom Verwaltungsrat zum Mitglied gekürt.

Hinzu kommt, dass die Versammlungen stets in München stattfinden, also am Rande der Republik, und Reisekosten für einfache Mitglieder nicht ersetzt werden. Kein Wunder, dass sich unter den Verwaltungsratsmitgliedern für die Berufsgruppe der wissenschaftlichen und Fachautoren etwa fast ausschließlich Professoren und akademische Ruheständler im fortgeschrittenen Alter oder Verbandsfunktionäre finden. Die Rechteinhaber dieser Gruppe dürften indessen deutlich jünger und deutlich häufiger weiblich sein.

Bei der Mitgliederversammlung der GEMA ist Online-Voting zwar zugelassen – aber nur für im Saal anwesende Mitglieder.

(Bild: GEMA / Sebastian Linder)

All diesen Missständen wollte Brüssel mit der besagten Richtlinie einen Riegel vorschieben. In den fast fünf Jahren, die seither verstrichen sind, müsste sich folglich bei den Verwertungsgesellschaften vieles geändert haben. Doch ein Blick in die Praxis ist ernüchternd. So übertragen sie ihre Mitgliederversammlungen inzwischen zwar als Livestream, abstimmen dürfen die Mitglieder dabei aber nicht. Das bleibt nach wie vor den Anwesenden im Saal vorbehalten. Für die Daheimgebliebenen beschränken sich die Verwertungsgesellschaften auf eine Art elektronische Briefwahl.

Anträge müssen weiterhin ausschließlich schriftlich gestellt werden und an Wahlen zum Verwaltungsrat werden beispielsweise die Mitglieder der VG Wort gar nicht beteiligt, wenn sie sich nicht auf den Weg nach München machen. Die Versammlung beginnt um 10 Uhr; wer da aus dem Norden oder Westen pünktlich sein will, muss in der bayrischen Landeshauptstadt übernachten. Die Einnahmen der meisten Rechteinhaber aus ihrer Beteiligung an der jeweiligen Verwertungsgesellschaft machen wenige hundert Euro im Jahr aus.

Doch wie erklärt sich die augenscheinliche Diskrepanz zwischen dem EU-Recht und der Praxis der deutschen Verwertungsgesellschaften? Zunächst ist da der nationale Gesetzgeber zu nennen, der die Vorgaben der Brüsseler Richtlinie bis 2016 in deutsches Recht umzusetzen hatte. Dazu wurde im Mai 2016 ein neues Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) erlassen, das das bisherige Urheberrechtswahrnehmungsgesetz ablöst. Schon im Gesetzgebungsverfahren haben die Funktionäre der Verwertungsgesellschaften Einfluss genommen, dass nicht zu heftig in ihre festgeklopften Besitzstandsstrukturen eingegriffen wird.

So wurden Regelungen zum Online-Voting, wie sie etwa das Aktienrecht kennt, auf Drängen der Verwertungsgesellschaften aus dem Referentenentwurf des zuständigen Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz flugs wieder gestrichen. Übrig blieb nur die Verpflichtung, Rechteinhabern und Mitgliedern einen Zugang zur elektronischen Kommunikation zu eröffnen. Die in der Richtlinie vorgesehenen Mitgliederrechte blieben im deutschen Gesetz somit weitgehend auf der Strecke.

Sie müssen nun lediglich die Voraussetzungen regeln, unter denen die Mitglieder während der Mitgliederhauptversammlung zusätzlich auch ohne Anwesenheit vor Ort und ohne einen Vertreter ihr Stimmrecht im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können (§ 19 Absatz 3 VGG). Die elektronische Ausübung weiterer Mitgliedschaftsrechte ist demnach rein fakultativ.

In ihren Satzungen schränken die Verwertungsgesellschaften die Rechte dann weiter ein. So ist es etwa bei der VG Wort möglich, dass Anträge, zu denen mit der zugestandenen elektronischen Briefwahl bereits Stimmen abgegeben wurden, in der Versammlung selbst geändert werden können. Die elektronischen Stimmen fallen dann unter den Tisch, die per Livestream zugeschalteten Mitglieder bleiben zu Zuschauern ohne eigene Rechte degradiert. Und selbst die spärlichen Rechte, die man den über die gesamte Republik verteilten Mitgliedern vom südlichen Rand aus München gewähren will, sind manchem Funktionär noch zu viel. So beklagt etwa der Verwaltungsrat der VG Wort in seinem jüngsten Tätigkeitsbericht die vermeintlich hohen Kosten und die geringe Beteiligung. Man wolle sich deshalb beim Gesetzgeber für eine völlig Streichung der eben erst eingeführten elektronischen Mitgliederbeteiligung einsetzen, heißt es ganz unverhohlen. Man führt also gar keine echte Beteiligung ein und beklagt dann, dass sich niemand beteiligt.

Warum lassen sich die vielen Mitglieder das so ohne Weiteres gefallen, möchte man fragen. Die Antwort ist relativ einfach: Sie haben wenig Möglichkeiten, sich zu wehren. Ein rechtliches Vorgehen wäre für ein einzelnes Mitglied ein erhebliches finanzielles Risiko, ohne direkten finanziellen Vorteil. Die Verwertungsgesellschaften verfügen dank ihrer hohen Einnahmen durch die Gerätevergütung über quasi unbegrenzte Ressourcen, einen Rechtsstreit durch alle Instanzen zu tragen. Mit anderen Worten gehen sie mit dem Geld der Mitglieder gegen diese vor, falls sie die gesetzlich vorgesehenen Beteiligungsmöglichkeiten einfordern sollten.

Und was tut die Staatsaufsicht? Sie wird nach dem VGG ausgeübt vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) mit Sitz in München. Und das verfügt wie alle Behörden über denkbar knappe Ressourcen für diese Aufgabe. So hat man schon aus Kostengründen nichts dagegen, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Versammlungen in der Regel vor der eigenen Haustür abhalten. Die wenigen Beamten kennen die Funktionäre persönlich, mit Kritik an deren Gebaren hat sich das Amt bislang nicht hervorgetan. So genehmigte es etwa der VG Wort über viele Jahre Verteilungspläne, die von sämtlichen Gerichten auf Klage eines Autors in Bausch und Bogen als offenkundig gesetzeswidrig in die Tonne getreten wurden.

Da wundert es auch nicht, dass das fehlende Live-Voting von dieser Behörde bisher unbeanstandet geblieben ist. Die Verwertungsgesellschaften hätten zu Recht darauf verwiesen, dass es keine geeigneten Angebote auf dem Markt für eVoting gäbe. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil beispielsweise auch DAX-Unternehmen inzwischen ihren Aktionären nicht nur einen Livestream der Hauptversammlung anbieten, sondern auch die Möglichkeit bieten, live per Internet bei allen Abstimmungen ihr Stimmrecht auszuüben.

Für das Blockieren echter Mitgliederbeteiligung bei den Verwertungsgesellschaften hat die Staatsaufsicht dennoch Verständnis. Denn anders als die elektronische Briefwahl seien Systeme für das Live-Voting per Internet bislang nicht vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert worden. Während im Aktiengesetz ausdrücklich geregelt sei, dass die Beschlüsse einer Aktionärsversammlung nicht wegen eines etwaigen Ausfalles eingesetzter elektronischer Wahlsysteme angefochten werden können, sei dies im VGG nicht geregelt. Es steht allerdings auch nirgends geschrieben, dass der Weg, auf dem das Online-Voting erfolgt, einer solchen Zertifizierung bedürfte.

Die angebliche Angst vor rechtlichen Auseinandersetzungen ums eVoting hinderte denn beispielsweise auch die GEMA nicht daran, bei ihren Mitgliederversammlungen ein elektronisches Wahlsystem zu verwenden. Laut Auskunft des Anbieters könnte darüber ohne Weiteres und ohne zusätzliche Kosten Mitglieder auch per Internet an Abstimmungen teilnehmen. Die Beschränkung auf Teilnehmer vor Ort geschehe lediglich dadurch, dass die GEMA die Zugangsdaten nicht etwa mit der Einladung verschickt, sondern erst vor der Versammlung bei der Registrierung im Saal ausgibt. Mit einem Jahresumsatz von etwa einer Milliarde Euro ist sie mit Abstand die größte Verwertungsgesellschaft Deutschlands.

Damit die Einnahmen auch weiterhin stabil bleiben oder gar wachsen können, rüsten sich die Verwerter bereits für ein neues Geschäftsfeld, die kostenpflichtige Vergabe sogenannter Plattform-Lizenzen, die mit der jüngsten EU-Urheberrechtsreform eingeführt wurden. Um jedoch zahlungskräftige Betreiber wie YouTube, Facebook & Co. ordentlich zur Kasse bitten zu können, braucht man die Übertragung entsprechender Rechte durch die Inhaber, sprich die Kreativen. Auf neue Mitglieder ist man dabei aber nicht aus, wie der Video-Producer der c’t kürzlich bei einem Anruf bei der VG Bild-Kunst erfahren durfte Doch wenn jüngere YouTube-Stars sich demnächst mit diesen Organisationen älterer Professoren befassen, die für sie die Tantiemen eintreiben wollen, könnten die Beiträge von Rezo und anderen womöglich Titel wie „Die Zerstörung der Verwertungsgesellschaften“ tragen.

Mehr Infos

CRM-Richtlinie

Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Februar 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im BinnenmarktAmtsblatt der Europäischen Union vom 20.3.2014 Mr. L 84/72

Verwertungsgesellschaftengesetz - VGG

Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften (Verwertungsgesellschaftengesetz - VGG)

Jahresbericht des DPMA 2018

Jahresbericht des DPMA 2018 mit Übersicht zu den Verwertungsgesellschaften auf Seite 51

(tig)