Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Wie Kalifornien, nur größer: Robotaxis in China

Der potenziell größte Markt für autonome Flotten kann sich in puncto Technologie, Testbetriebe und Kapitalausstattung der beteiligten Firmen sehen lassen.

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(Bild: Pavel Ilyukhin/Shutterstock.com)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Timo Daum
  • Andreas Knie
  • Weert Canzler
Inhaltsverzeichnis

In der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist in den letzten zwei Jahren eine Reihe junger Firmen in Erscheinung getreten, die Testläufe mit selbstfahrenden Robotaxis betreiben. Pionier war die Abteilung Intelligent Driving von Chinas Suchmaschinenkonzern Baidu, die vor sechs Jahren das Rennen in China eröffnete (zum Vergleich: Das Google Car Project, aus dem 2017 die Firma Waymo hervorging, ist doppelt so lang dabei).

Aber auch die Ride-Hailing-Firma DiDi Xunking, das Shanghaier Unternehmen AutoX und das Start-up Pony.ai gelten als vielversprechende Kandidaten. Allesamt unternehmen sie derzeit Robotaxi-Testläufe auf öffentlichen Straßen in mehreren chinesischen Großstädten.

Im Vergleich zu den Testbetrieben in den USA sind chinesische Startups nahezu gleichauf, was die Produktreife und User-Experience angeht. Trotz vorübergehender Betriebsstilllegungen im Zuge der Corona-Pandemie herrscht Aufbruchsstimmung in der Branche. Chinesische Unternehmen nennen das Jahr 2023 als Zeitpunkt, an dem sie mit einer groß angelegten Kommerzialisierung selbstfahrender Taxis rechnen. Ab 2025 soll dann mit den Diensten Geld verdient werden. Auch herrscht große Zuversicht, die noch führenden Firmen aus dem Silicon Valley in den nächsten Jahren einholen zu können.

Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Autonome Fahrzeuge, Personentransport und die Zukunft des Verkehrs

(Bild: jamesteohart/Shutterstock.com)

Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie, deren einzelne Artikel bis zum 14. Mai werktags erscheinen.

Staatliche Behörden und lokale Verwaltungen machen den Weg frei für diese experimentierfreudigen Unternehmen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist hoch, die Mehrheit kann sich auf absehbare Zeit kein eigenes privates Auto leisten. Daher verfügt China als größter Binnenmarkt der Welt über ein hohes Marktpotenzial. Insgesamt ist auch hier eine sehr dynamische Entwicklung zu beobachten. China dürfte in wenigen Jahren technologisch und im Geschäftsvolumen an den USA vorbeiziehen, zumal auch noch andere asiatische Märkte adressiert werden. Chinesische Unternehmen sind aktiv in Kalifornien, umgekehrt gibt es keine ausländischen Unternehmen, die in China Testbetriebe mit Robotaxis unterhalten.

Testläufe in China

(Bild: Susann Massutte)

Baidu gehört neben Alibaba und Tencent zu den chinesischen Tech-Riesen und ist der größte Suchmaschinenbetreiber in China. Unter dem Namen Baidu Cloud bietet der Konzern darüber hinaus eine umfangreiche Palette an Cloud-Diensten an. Auf seiner Plattform bietet Baidu unter dem Namen Baidu Brain 60 unterschiedliche KI-Anwendungen an. Eine von ihnen hört auf den Namen Apollo, eine Software-Umgebung, die von Drittfirmen genutzt werden kann, um deren Fahrzeuge für das autonome Fahren auszurüsten.

Das digitale Ökosystem rund um Apollo

(Bild: Baidu)

Autohersteller und Flottenbetreiber können Apollo lizenzieren, für ihre Zwecke anpassen und mit Hilfe der generierten Daten ihre Services optimieren. "Es geht darum, die Hersteller mit offenem Code und niedriger Einstiegsschwelle sirenengleich ins eigene Ökosystem zu locken und sie dann nie mehr aus diesem herauszulassen", meint die Technikjournalistin Jessi Hempel (.

Baidu selbst betreibt eine autonome Testflotte mit mehr als 500 Testfahrzeugen in 23 Städten. Kürzlich hat das Unternehmen die Marke von sieben Millionen Testkilometern auf öffentlichen Straßen erreicht, dabei wurden bereits mehr als 210.000 Passagiere befördert – das ist weltweit Spitze, selbst Waymo kann da nicht mithalten. Auch in Kalifornien ist Baidu aktiv, 2019 legten Baidu-Fahrzeuge dort ca. 150.000 Kilometer unfallfrei zurück, ganze sechs Disengagements (Vorkommnisse, die menschliches Eingreifen nötig machen) wurden verzeichnet. Baidu ist am längsten dabei, hat die größte Flotte auf der Straße und gilt als führend in China – es ist das chinesische Waymo.

Apollo Passenger View

(Bild: Baidu)

Eines der Operationsgebiete ist die Stadt Changsha in der Provinz Hunan. Die Robotaxis decken dort eine Fläche von 130 Quadratkilometern Wohn- und Gewerbegebiete in der Stadt ab. Dort Wohnende können eine kostenlose Fahrt in einem der 45 autonomen Fahrzeuge ordern, indem sie sie über Baidu Maps oder das Smart Mini Program Dutaxi der Baidu-App anfordern. Die Fahrzeuge kommen hier vom chinesischen Hersteller First Automotive Works (FAW).

Baidu-Fahrzeug

(Bild: Baidu)

Ab dem 8. Mai nimmt der Robotaxi-Dienst "Apollo Go" den fahrerlosen kommerziellen Betrieb in Peking auf. Zunächst werden insgesamt 8 Haltepunkte in einem 2,7 Quadratkilometer großen Bereich angesteuert, eine Fahrt soll rund 30 Renminbi, umgerechnet 4 Euro kosten. Zum ersten Mal weltweit klingelt damit bei einem Robotaxi-Unternehmen die Kasse, digital versteht sich und in Renminbi..

AutoX wurde 2016 von Xiao Jianxiong, einem ehemaligen Assistenzprofessor der Princeton University, gegründet. Finanziers sind unter anderem der chinesische Autohersteller Dongfeng Motor und die Handelsplattform Alibaba. AutoX setzt mehr als 100 Robotaxis in fünf chinesischen Städten ein, darunter Shanghai und Wuhan. Die Fahrzeuge stehen öffentlichen Nutzung zur Verfügung, sie können über die Autonavi-App von Alibaba, eine chinesische Karten-App, gerufen werden.

"Wir sehen das Robotaxi definitiv als den größten Markt [für autonome Autos]. Gleichzeitig ist es der am einfachsten zu kommerzialisierende Markt", sagte AutoX-CEO Xiao gegenüber CNBC. Auch AutoX ist bestrebt, die Plattform für autonome Fahrlösungen an Autohersteller zu lizenzieren. "Diese können sie auf ihren Fahrzeugen in der gleichen Weise installieren wie das Windows-Betriebssystem auf einem Computer", erklärte Xiao.

Selbstfahrende Fahrzeuge von AutoX

(Bild: AutoX)

Am 3. Dezember 2020 ging AutoX auch in der pazifischen Metropole Shenzhen mit einer Flotte von 25 Robotaxis an den Start. Die dort erteilte Lizenz erlaubt nicht nur, gänzlich ohne Sicherheitsfahrer an Bord unterwegs zu sein, sie gilt auch für das gesamte Stadtgebiet, das weltweit mit Abstand größte Operationsgebiet für einen solchen Testlauf. Die Firma konzentriert sich jedoch zunächst auf eine innerstädtische Fläche von immerhin noch 144 Quadratkilometer. Im nächsten Jahr soll die Reichweite auf mehr als 10 Städte verdoppelt werden.

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AutoX ist nach Waymo das zweite Unternehmen, das in Kalifornien eine Erlaubnis für den fahrerlosen Betrieb bis zu einer Geschwindigkeit von 75 km/h erhielt. Das Unternehmen ist mit einem Team von über 100 Forschungs- und Entwicklungsingenieuren in den USA vertreten.

DiDi Chuxing ist ein chinesisches Unternehmen, das das Buchen von Taxi-Fahrten über eine Smartphone-App erlaubt, es ist das chinesische Uber-Pendant. Das börsennotierte Unternehmen ging 2015 aus einer Fusion hervor und ist derzeit mit 56 Milliarden US-Dollar bewertet. DiDi wickelt doppelt so viele Fahrten ab wie alle anderen Ride-Sharing-Firmen weltweit – täglich 25 Millionen in chinesischen Städten. Zum Vergleich: In Deutschland werden täglich (vor Corona) ca. 32 Millionen Fahrten mit dem ÖPNV unternommen.

Der Wettbewerb mit Uber in China endete 2016 mit der Übernahme dessen chinesischen Zweigs durch DiDi, im Gegenzug erhielt Uber eine prozentuale Beteiligung an DiDi Chunxing. Im Mai 2020 sammelte DiDi mehr als 500 Millionen US-Dollar ein, die bislang größte Einzelfinanzierung für ein chinesisches autonomes Startup.


(Bild: Michelle Lischke)

Timo Daum ist Dozent und Sachbuchautor. 2019 erschien sein Buch "Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen". Timo Daum schreibt regelmäßig für de Rubrik Missing Link" auf heise online.

(Bild: David Ausserhofer)

Andreas Knie ist Politikwissenschaftler und leitet zusammen mit Weert Canzler die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung". Er berät Kommunen und Organisationen zu den Themen Verkehr, Mobilität, Digitalisierung & Nachhaltigkeit.

(Bild: David Ausserhofer)

Weert Canzler leitet zusammen mit Andreas Knie die Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen sozialwissenschaftliche Verkehrs- und Mobilitätsforschung, Energiepolitik, Innovationsforschung und Technologiepolitik.

Andreas Knie und Weert Canzler sind Preisträger des Bertha-und-Carl-Benz-Preises 2021.


Enorme Datenmengen fallen im Geschäftsbetrieb an, "mehr als 70 Terabyte täglich", erklärt Bob Zhang, CTO von DiDi – Start und Ziel, Geschwindigkeiten, Fahrwege etc. Diese Daten werden in eine KI-basierte Entscheidungsplattform ("DiDi Brain") eingespeist. Diese kann bereits heute 15 Minuten im Voraus und mit einer Trefferquote von 85 % vorhersagen, wo Fahrzeuge geordert werden. Die Potenziale für eine Optimierung des Services sind immens, mit diesen Informationen können Wartezeiten verkürzt und Flotten besser ausgelastet werden.

Die autonome Flotte von Didi in Guangzhou

(Bild: DiDi)

Im Juni 2020 startete DiDi Chuxing ein autonomes Fahrzeugprojekt für Passagiere in Shanghai. Laut Meng Xing, COO der Abteilung für autonomes Fahren, peilt DiDi Chuxing an, bis 2030 in Gebieten, in denen ein Mangel an Fahrzeugen und Fahrern herrscht, zum fahrerlosen Betrieb überzugehen. Angepeilt werden über eine Million Robotaxis auf der Plattform. Mit den DiDi Labs in Mountain View, Kalifornien, versucht das Unternehmen, den Ausbau von KI-basierten Fahrdiensten auch dort voranzutreiben.

Im Dezember 2016 gegründet, spielt pony.ai schon in der ersten Liga mit. Pony.ai wird derzeit – nachdem es in einer von Toyota angeführten Finanzierungsrunde im Februar 2020 462 Millionen US-Dollar gesammelt hatte – mit einem Wert von über 3 Milliarden US-Dollar gelistet. Seit Anfang 2020 betreibt pony.ai in Guangzhou im Süden Chinas, 100 Kilometer von Hongkong entfernt, einen groß angelegten Versuch mit selbstfahrenden Autos auf öffentlichen Straßen. Der Operationsbereich umfasst eine Fläche von 100 Quadratkilometern in der 40 Millionen Einwohner-Stadt.

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Pony.ai-Geschäftsführer James Peng hält die Herausforderungen in China für besonders hoch, "weil die Leute sich nicht an die Regeln halten" (). Folge sei, dass die Erfahrungen, die auf den chaotischen chinesischen Straßen gesammelt werden, wertvoller und die Daten aussagekräftiger als beispielsweise in den USA seien. Das eröffne gute Chancen, in Zukunft auch in Indien und afrikanischen Ländern zu reüssieren.

WeRide ist ein weiteres Startup, das drei Jahre nach seiner Gründung im Juli 2020 in der südöstlichen Stadt Guangzhou mit mehr als 100 Fahrzeugen an den Start gegangen ist. WeRide wird von einer Allianz von Renault, Nissan Motor und Mitsubishi Motors finanziert. Im Sommer erhielt das Unternehmen von den Behörden in Guangzhou die Genehmigung, die Fahrzeuge ferngesteuert zu betreiben.

Tony Han, CEO von WeRide, prognostiziert, dass die Anwendung von Robotaxis in großem Maßstab zwischen 2023 und 2025 stattfinden wird. WeRide beabsichtigt, ab 2025 mit dem Geschäft Geld zu verdienen.

Fahrzeug-Flotte von WeRide

(Bild: WeRide.ai)

Der chinesische Autobauer Dongfeng Motor Corporation begann Ende Februar, kostenlose Testfahrten in seinen selbstfahrenden Taxis in Wuhan, der Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Hubei, anzubieten. 40 Fahrzeuge sind in einem Areal unterwegs, das "20 spezifische Parkplätze und mehr als 10 Routen" umfasst, berichtet die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Die Dongfeng Motor Corporation plant, in den folgenden zwei bis drei Jahren mehr als 200 fahrerlose Taxis in Wuhan einzuführen.

Momenta, eines der wertvollsten Startups für künstliche Intelligenz in Asien, nahm ebenfalls 2020 für autonome Fahrzeuge auf Level 4 den Testbetrieb auf. Es ist das erste Startup für autonomes Fahren, das bereits 2018 die Bewertung von 1 Milliarde US-Dollar erreichte. Daimler und Tencent gehören zu den Investoren in das gerade einmal vier Jahre alte Unternehmen, das sich auf Softwarelösungen für autonome Fahrzeuge spezialisiert hat. Momenta hofft, ab 2022 auf Sicherheitsfahrer in ihren Fahrzeugen verzichten zu können und ab 2024 profitabel operieren zu können.

Am Dienstag, den 11.5., geht es im nächsten Teil unserer Artikelserie um die regulatorische Situation und generell die Perspektiven in Asien: Startup-Kultur meets Planwirtschaft.

(jk)