Warum der Facebook-Ausfall für Aktivisten ein echtes Problem ist

Für viele Internetnutzer war der Facebook-Ausfall nur ein Ärgernis. Doch Aktivisten in Entwicklungsländern sind auf die Dienste des Konzerns angewiesen.

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Facebook

(Bild: dpa, Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)

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Von
  • Howell
  • Patrick Howell O'Neill
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Eine der letzten Nachrichten, die Vaiva Bezhan am Montagnachmittag mitteleuropäischer Zeit über den Facebook Messenger verschickte, hatte es in sich und war unglaublich zeitkritisch. Die litauische Fotojournalistin ist Mitorganisatorin der Afghan Support Group, einer der vielen freiwilligen Initiativen, die mit allen Mitteln versuchen, nach der Machtübernahme durch die Taliban die Evakuierung gefährdeter Afghanen zu unterstützen. Sie schrieb, um zu fragen, ob sie jemanden in die Passagierliste für einen der wenigen von Freiwilligen koordinierten Evakuierungsflüge aufnehmen kann, die das Land noch verlassen.

Doch diese wichtige Frage blieb stundenlang unbeantwortet, nachdem alle Facebook-Dienste – einschließlich Facebook.com, WhatsApp, Messenger und Instagram – plötzlich für fast sechs Stunden nicht mehr verfügbar waren. Über den Auslöser wird immer noch spekuliert, wennglich sich inzwischen rekonstruieren lässt, was technisch passiert ist.

Für viele Internetnutzer in den Vereinigten Staaten und Europa war der Ausfall ein kleines Ärgernis. Aber für die Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die auf Facebook-Produkte angewiesen sind, um auf das Internet zuzugreifen, darunter auch Aktivisten wie Bezhan, war die plötzliche Ausfallzeit weitaus gravierender.

"Für einen Großteil der Welt ist Facebook zum Synonym für das Internet geworden", sagt Sarah Aoun, Vizepräsidentin für Sicherheit beim Open Technology Fund. Die gemeinnützige US-Organisation unterstützt Technologieprojekte wie den privaten Browser Tor und den verschlüsselten Nachrichtendienst Signal. Damit komme der Ausfall nichts weniger als "einem großen Zusammenbruch der Infrastruktur" gleich, sagt sie.

Der Ausfall kam aber auch für Facebook selbst zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Am Sonntag, nur wenige Stunden vor dem Ausfall, strahlte die CBS-Fernsehsendung "60 Minutes" ein mit Spannung erwartetes Interview mit der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen aus, die eine Reihe von Dokumenten durchsickern ließ, aus denen hervorging, dass das Unternehmen unter anderem wusste, dass seine Produkte schlecht für junge Mädchen sind. Am Dienstag sagte Haugen dazu vor dem US-Parlament aus.

Mehr als 3,5 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt nutzen die sozialen Netzwerke und Apps von Facebook, darunter Facebook.com, die Messenger-App, Instagram und WhatsApp, um nur einige zu nennen. Das Land mit der größten Anzahl an Facebook-Nutzern ist Indien mit geschätzten 340 Millionen Nutzern.

Das ist kein Zufall. Seit Jahren arbeitet Facebook daran, den Internetzugang in Entwicklungsländern zu erweitern, denn das würde auch seine eigene Nutzerbasis vergrößern. Dafür hat das Unternehmen den Einsatz von Satelliten, Drohnen und drahtlosen Funknetzen erforscht. Es ist Partnerschaften mit lokalen Telekommunikationsunternehmen eingegangen, um die physische Internetinfrastruktur zu verbessern.

Im Jahr 2013 startete Facebook die Initiative Internet.org, die es den Nutzern ermöglichte, Facebook und bestimmte andere Websites ohne Datengebühren zu besuchen. Das war Teil des großen Plans von Mark Zuckerberg, den (damals) 85 Prozent der Welt, die Zugang zu Mobilfunkdaten hatten, per freiem Internetzugang online zu bringen.

Doch 2016 wurde das Programm (inzwischen in Free Basics umbenannt) von der indischen Regulierungsbehörde für Telekommunikation verboten, weil es angeblich gegen die Netzneutralität verstieß. Trotz dieses Rückschlags wurde das Programm mit weniger Fanfaren in anderen Ländern der Dritten Welt eingeführt. Im Jahr 2018 gab Facebook bekannt, dass Internet.org 100 Millionen Menschen ins Internet gebracht hat. 2019 war FreeBasics in 65 Ländern verfügbar, davon etwa 30 in Afrika. Letztes Jahr begann das Unternehmen mit der Einführung von Facebook Discover, das es Internetnutzern ermöglicht, mit geringer Bandbreite auf alle Websites (nicht nur auf die von Facebook) zuzugreifen, selbst wenn sie kein Datenvolumen mehr haben.

Versionen dieser Programme gibt es auch in Afghanistan, wo viele neue Internetnutzer Facebook, Facebook Messenger und WhatsApp mit dem gesamten Internet gleichsetzen. Selbst bei denjenigen, die einen breiteren Zugang zum gesamten Internet haben, spielten die Produkte von Facebook immer noch eine wichtige Rolle. WhatsApp-Anrufe zum Beispiel haben längst die teureren – und weniger sicheren – Telefongespräche ersetzt. Viele kleine Unternehmen nutzen die Tools von Facebook, um ihre Produkte zu verkaufen und zu bewerben.

All dies bedeutet, dass selbst vorübergehende Ausfälle verheerende Auswirkungen haben, insbesondere für Aktivisten und Interessenvertretungsorganisationen – und für Menschen wie Bezhan. "Ein Großteil der Planung und Unterstützung im Untergrund findet über soziale Medien statt", sagt Bezhan, und ein Großteil davon über Facebook, WhatsApp und die Messenger-App. Der Ausfall unterbrach ihre Bemühungen, "die Afghanen mit Informationen zu versorgen, Strategien für die nächsten Evakuierungsschritte zu planen und Menschen in Not zu verbinden."

Für Bezhan war es bereits nach Mitternacht, als Facebook wieder zum Leben erweckt wurde. Allerdings waren einige der Funktionen, einschließlich "Suche" und "Benachrichtigungen", selbst dann noch nicht wieder verfügbar. Sie hatte noch keine Rückmeldung erhalten, ob sie einen weiteren Namen für eine mögliche Evakuierung hinzufügen konnte.

Aber sie war auch besorgt darüber, was ihre afghanischen Freunde fühlten und dachten, deren wichtigste Verbindung zur Außenwelt plötzlich unterbrochen war. Seit dem Fall von Kabul gab es wochenlang Gerüchte, dass die Taliban den Zugang zum Internet gekappt hätten. "Ich wette, dass sie Gerüchte in die Welt setzen und sich Geschichten ausdenken, wie die neue Regierung die Medien blockiert", sagt sie.

Mit dieser Annahme wären sie nicht allein. Als Reaktion auf ähnliche Befürchtungen meldete sich ein Sprecher des Kommunikationsministeriums der Demokratischen Republik Kongo – ein Land, das für staatliche Internet-Abschaltungen bekannt ist – auf Twitter zu Wort, um die Sache richtigzustellen: "Die Internetverbindung wurde nicht unterbrochen", schrieb er um 16:05 Uhr mitteleuropäischen Zeit. "Es handelt sich um einen globalen Blackout, der WhatsApp, Facebook und Instagram lahmlegt. Andere Anwendungen wie Twitter funktionieren normal. Das Gleiche gilt für den Rest des Webs."

(vsz)