Wenn virtuelle Welt und Realität aufeinandertreffen

Virtuelle Realität kann faszinierend sein – ein Start-up will sie jetzt mit der echten Welt vermischen und auf diese Weise noch interessanter und überzeugender machen.

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Von
  • Rachel Metz

Virtuelle Realität kann faszinierend sein – ein Start-up will sie jetzt mit der echten Welt vermischen und auf diese Weise noch interessanter und überzeugender machen.

Im Jahr 1962 meldete der Kameramann Morton Heilig seinen Sensorama Stimulator zum Patent an: eine sperrige Maschine für virtuelle Realität, die 3D-Filme auf einem persönlichen Bildschirm zeigt und dazu passende Gerüche, Geräusche und Luftbewegungen einspielt.

Weite Verbreitung fand Heiligs sensorisch immersive Vorrichtung nie – sie blieb eine kuriose Fußnote in der Geschichte der virtuellen Realität. Doch ein kleines Start-up aus einer Garage im US-Bundesstaat Oregon könnte jetzt vielleicht mehr Glück damit haben.

Seit März arbeitet das Unternehmen namens Wild an einer Erfahrung, bei der virtuelle und Elemente der echten Realität zusammenkommen. Nutzer tragen ein VR-Headset und Kopfhörer, so dass sie von virtuellen 3D-Bildern und passenden Geräuschen sowie Musik umgeben sind. Allerdings enthalten die 3D-Szenen Anweisungen, beispielsweise nach einem Türknauf zu greifen und damit die Tür zu öffnen. Wenn der Nutzer das tut, stellt er fest, dass er nicht nur vor einer digitalen Darstellung, sondern vor einer echten Tür steht, die er öffnen muss, um von einem virtuellen Raum in den nächsten zu gelangen.

"Uns gefällt die Idee, physische Orte mit virtueller Realität zu verbinden, weil der Nutzer dadurch stärker in der Erfahrung verankert ist, als wenn er nur durch eine virtuelle Welt fliegt", erklärt Gabe Paez, der Gründer von Wild.

Wild hofft darauf, dass Unternehmen derartige Erfahrungen mit gemischter Realität für Messen oder andere Veranstaltungen werden anbieten wollen. Auch als neuartige Attraktion für Vergnügungsparks käme die Technologie in Frage.

Einstweilen hat Wild aber nur einen Prototypen zu bieten: Mitten im Büro des Unternehmens steht ein aus groben Holzbrettern gebauter Bereich, mit der erwähnten Tür unterteilt in zwei Räume und mit ein paar zusätzlichen Elementen wie einem Fenster, einem Hebel und einem Lichtschalter. All diese Stückchen Realität werden mit verschiedenen von Wild programmierten virtuellen Szenen abgeglichen, die über das Samsung-Headset Gear VR mit dem dazugehörigen Smartphone darin zu sehen sind.

Ich konnte das System Ende August schon ausprobieren. Die 10-minütige Vorführung war surreal. Ich wusste zwar, dass das, was ich sehe und höre, nicht wirklich passiert. Doch die an verschiedenen Stellen integrierten Elemente aus der realen Welt sorgten dafür, dass sich die digitale Umgebung überraschend authentisch und interaktiv anfühlte.

Zum Beispiel erschien einmal eine Tür in meiner virtuellen Umgebung, und ich streckte meine Hand aus, um dann einen echten Türknauf zu fassen zu bekommen. Ich öffnete die Tür und kam in einen anderen Raum, der einer Hütte ähnelte; auf einem Küchentisch stand eine Schüssel, in die es von irgendwo aus der Luft in einem hübschen Bogen Popcorn regnete. Ich griff danach und fand tatsächlich eine Schüssel mit Popcorn für einen kleinen Snack vor.

Ein anderes Mal betätigte ich einen Lichtschalter und löste so scheinbar einen wilden Sturm vor einem offenen Fenster in der Hütte aus. Wind und Nebel schlugen mir entgegen, bis ich zu dem Fenster ging und es zuzog.

In einer weiteren Szene musste ich einen (realen) großen Hebel bedienen. Wenn ich ihn nach rechts oder links bewegte, verlangsamte sich ein endloser Strom von roten Sportwagen auf einer Straße, die denen in Tokio ähnelte.

Realisiert wird all das über eine Reihe von Sensoren, die erfassen, wo man sich befindet und was man tut. Zur Positionsbestimmung des Nutzers verwendet das System mehrere Kinect-Sensoren, und auch an den realen Objekten befinden sich Sensoren. Beim Türknauf zum Beispiel erkennen sie, wenn er gedreht wird.

Für Mark Bolas, Associate Professor und Leiter des Institute for Creative Technologies an der University of California, haben solche Überschneidungen zwischen virtueller und realer Welt einen "Erdungseffekt": Sie sorgen dafür, dass die Nutzer die virtuelle Erfahrung eher als real akzeptieren. "Jedes Mal, wenn so etwas passiert, lässt man die reale Welt ein Stückchen weiter hinter sich", sagt er.

Allerdings muss Wild unter anderem noch daran arbeiten, Virtuelles und Reales besser aufeinander abzustimmen. In der virtuellen Welt kam ich mir größer vor als normal, und als ich die erste Tür öffnen wollte, befand sich der Knauf nicht ganz dort, wo ich ihn erwartet hätte. Außerdem stellte ich fest, dass ich sehr vorsichtig in winzigen Schritten ging und nur zögerlich nach Objekten griff, um nichts kaputtzumachen.

Laut Paez hat das Unternehmen gerade erst begonnen, zu erkunden, ob sich virtuelle Realität in echte Räume einbinden lässt. Zurzeit beschäftige er sich beispielsweise damit, ob andere Technologien eine bessere Erfassung der Nutzerbewegungen ermöglichen.

(sma)