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Wer zähmt den Drachen?

Daniel Hautmann

Fliegende Windenergieanlagen könnten Strom effizienter und günstiger liefern als jeder andere Kraftwerkstyp. Ob die Idee auch praktisch funktioniert, will ein deutsches Start-up nun herausfinden. Sein mächtiger Konkurrent: Google.

Fliegende Windenergieanlagen könnten Strom effizienter und günstiger liefern als jeder andere Kraftwerkstyp. Ob die Idee auch praktisch funktioniert, will ein deutsches Start-up nun herausfinden. Sein mächtiger Konkurrent: Google.

Ein bisschen skurril sieht es schon aus, wie der kleine Drachen an dem monströsen Laster zupft. Während der elf Tonnen schwere Magirus-Deutz behäbig am Boden steht und seine Stollen in die Grasnarbe drückt, malt ein 15 Quadratmeter große Sportdrachen Achten in den Himmel. Das ungleiche Duo ist aber kein skurriles Kunstprojekt. Der Verbund aus Flugdrachen und Laster, der regelmäßig auf einem Flugfeld im brandenburgischen Pritzwalk aufkreuzt, ist eine Erprobungsplattform des Unternehmens EnerKite aus Kleinmachnow. Getestet wird eine neue Form der Energieerzeugung: Höhenwindkraft. "Oben ist die Energie. Wie kann ich die nutzen?", hat Unternehmenschef Alexander Bormann sich gefragt.

Nun spult ein Drachen auf seinem Weg durch den Himmel drei Seile ab: Zwei dünne zum Lenken und ein etwas dickeres Halteseil, das auf dem Dach des Lasters einen Generator antreibt und so Strom erzeugt. Sind die 400 Meter Seil nach etwa zehn Achten abgespult, fliegt der Kite von den Lenkseilen geführt automatisch aus dem Wind, ändert den Anstellwinkel und stürzt sich in die Tiefe. Die Seile werden derweil unter surrendem Motorengeräusch wieder auf die Trommel gewickelt – der luftige Tanz, den die Fachleute Jo-Jo-Prinzip nennen, beginnt von vorn.

Auf seinem Flug durch den Himmel gelangt der Drachen dorthin, wo die konventionellen Windmüller auch gern hinkommen würden: in 300 Meter Höhe. Denn dort oben bläst der Wind nicht nur beständiger, sondern auch mit höherer Geschwindigkeit. Und nach den Gesetzen der Physik ergibt eine doppelte Windgeschwindigkeit die achtfache Energieausbeute.

Mehr noch: Flugwindkraftanlagen brauchen keine aufwendigen Fundamente, Türme oder Zuwegungen. Das spart Stahl und Beton. Im Ressourcenverbrauch stehen Flugkraftwerke damit zehnmal besser da als dreiflügelige Windräder, sagt der Luft- und Raumfahrttechniker und EnerKite-Gründer Alexander Bormann. Außerdem fallen die Restriktionen beim Bewegen großer Windradkomponenten weg. Denn Maschinenhäuser, Turmsegmente und Flügel herkömmlicher Windräder sind inzwischen so groß geworden, dass ihr Transport oftmals zur logistischen Meisterleistung wird. Autobahnbrücken sind nur eines der Nadelöhre, das den Ingenieuren schon beim Konstruieren Kopfzerbrechen bereiten kann.

Auch Fort Felker, Direktor des National Wind Technology Center in den USA, sieht bemerkenswerte Vorzüge der Höhenwindkraft: "Die Technologie ermöglicht es, mit leistungsschwächeren Anlagen mehr Energie zu ernten." Europäische Forscher gehen gar davon aus, dass sich deutlich bessere Kilowattstundenpreise als mit gewöhnlichen Windrädern realisieren lassen. In einer Höhenwind-Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme (IWES) aus dem Jahr 2013 ist die Rede von zwei bis vier Cent je Kilowattstunde – damit wäre die Höhenwindkraft günstiger als alle bekannten Energieerzeugungsvarianten.

Doch nicht nur der Preis ist heiß, auch die Verfügbarkeit. Während die Dreiflügler nur an besonders guten Standorten – etwa offshore – auf 4000 Volllaststunden kommen (das Jahr hat 8760), sollen Höhenwindkraftwerke selbst im Binnenland bis zu 6000 Volllaststunden laufen können, rechnen die Befürworter. Und so könnten zwei MW-Höhenwindkraftwerke auf höhere Jahresstromerträge als fünf Megawatt starke Windräder kommen.

Doch Bormann und sein zehnköpfiges Team haben einen mächtigen Konkurrenten. 2013 übernahm Google für eine ungenannte Summe das US-Unternehmen Makani Power, das den Strom direkt in der Luft erzeugen will. Dazu hat Makani ein kleines Fluggerät mit acht Metern Spannweite entwickelt, an dem vier Generatoren befestigt sind, die zusammen 30 Kilowatt Nennleistung haben.

An einem 600 Meter langen Seil, das gleichzeitig zur Stromübertragung dient, fliegt das 60 Kilogramm schwere Gerät im Wind unablässig Kreise und lässt die Propeller drehen. "Technisch sehr anspruchsvoll und aufwendig. Das kann man nur mit viel Geld machen", sagt Po Wen Cheng, Windkraftspezialist am Institut für Flugzeugbau an der Uni Stuttgart. Aber Geld ist seit der Übernahme offenbar kein Problem mehr: Bislang konnte Makani rund 20 Millionen Dollar in die Entwicklung stecken.

Der Internetgigant will damit auf lange Sicht zum Ökostrom-Selbstversorger avancieren. Zudem möchte der Digitalkonzern neue Gegenden erobern, in denen es bislang weder Internet noch Strom gibt. In den kommenden Monaten will Google die nächste Evolutionsstufe in die Luft bringen: einen 28 Meter langen Flügel, der 1050 Kilogramm schwer ist und 600 Kilowatt Nennleistung hat. Irgendwann soll dann ein Fluggerät mit fünf Megawatt und zehn Tonnen Startgewicht abheben – offshore.

Es ist ein Kampf David gegen Google. Wie groß der Gegensatz zwischen den Deutschen und dem US-Team ist, zeigt ein Besuch in der Werkstatt von EnerKite. Bormann führt durch das Versuchslabor in einer alten AEG-Werkshalle in Berlin-Wedding, das er sich mit der TU Berlin teilt. Überall liegen laminierte Flügelteile, zerrissene Seile, Platinen und Generatoren in verschiedenen Stadien der Demontage, zum Teil zerstört von der Kraft des Windes, zum Teil sorgfältig auseinandergebaut. Das Ganze sieht aus wie die Werkstatt eines Modellfliegervereins und nicht wie das Entwicklungslabor eines Hightech-Startups. "Wir sind Pioniere", sagt Bormann lachend.

Hier scheint die Devise zu herrschen: Wer nie abstürzt, steigt auch nie auf. Anfangs haben die Entwickler Kites aus dem Wassersport verwendet, doch ihr dünner Stoff riss beim Einholen zu oft. Deshalb haben ihn die Techniker kräftig verstärkt. Als Nächstes will Bormann den Stoff durch eine solide Tragfläche aus Carbonfasern ersetzen. "Harte Tragflächen sind aerodynamisch viel effizienter", bestätigt Cheng von der Uni Stuttgart. Vor allem in der Rückholphase lassen sie sich besser zu Boden steuern. Nur fliegen starre Flügel deutlich schneller, also muss die Steuerung angepasst werden. Und so kam es bei einem Testflug mit der neuen Tragfläche zum Crash. Nun liegt der Flügel in der Werkstatt, die harte Ladung ist ihm anzusehen, Kohlefaserstacheln stechen hervor.

Das aber ist nicht EnerKites einzige Herausforderung. Auch die nur wenige Millimeter dicken Kunststoffleinen müssen den enormen dynamischen Kräften standhalten, schließlich werden sie rund 60-mal pro Stunde ein- und ausgespult. Noch haben die Berliner den perfekten Materialmix nicht gefunden. Auch die vollautomatische Steuerung ist noch nicht ausgereift – wenngleich der 74-stündige Dauerflug Ende letzten Jahres bewies, dass sie prinzipiell funktioniert.

Der Truck mit dem Drachen ist daher eine reine Erprobungsplattform. Die Anlage hat 30 Kilowatt Nennleistung – ein Hundertstel moderner Windräder. Für größere Dimensionen fliegen derzeit noch viel zu viele Unbekannte mit, gibt Bormann zu: "Wir haben weit über 100 Parameter, die wir bei der Optimierung berücksichtigen müssen: Die Verlustleistungen im Gesamtsystem, die Batterieleistung, die Massen, Auftriebs- und Widerstandsbeiwerte von Seil und Flügel, Drehmomente der Antriebe, Belastung und Festigkeit des Zugseils sind nur einige davon."

Hinzu kämen praktische Probleme im Dauereinsatz wie Blitzschlag, Regen oder Vereisung, die im Moment bestenfalls auf dem Papier gelöst sind. Was die Technik angeht, ist Bormann dennoch erstaunlich gelassen. "Unser Hauptrisiko ist die Finanzierung", sagt er.

Von diesem "Risiko der Finanzierung" kann Uwe Ahrens ein Lied singen. Dem Chef des aus Berlin stammenden Unternehmens NTS ging vor wenigen Monaten finanziell die Luft aus. Ahrens wollte mit X-Wind mehrere Generatorlokomotiven von Flugdrachen über einen ovalen Schienenkurs ziehen lassen. Die Idee ist auf den ersten Blick bestechend: Die Drachen sind die ganze Zeit in der Luft, es gibt keine kräftezehrende und materialschreddernde Rückholphase. Der Nachteil ist jedoch: Die Anlage muss auf einem Teil der ovalen Strecke gegen den Wind arbeiten.

Dazu schalten die Generatoren auf Motorbetrieb und ziehen die Drachen um die Kurve, bis sie wieder im Wind segeln. Das verbraucht viel Energie, monieren Kritiker. Zudem sei der Schienenkurs teuer und raube Platz. Um zu zeigen, dass die Idee machbar ist, hat Ahrens eine kleine Demoanlage in Mecklenburg-Vorpommern installiert – aber dort laufen die Wagen nur auf einer kurzen, geraden Strecke, nicht über den ovalen Rundkurs. Im Frühjahr kam das Aus. "Vorläufige Insolvenz", sagt Ahrens. Jetzt braucht er fünf Millionen Euro für eine große Anlage. Die könnte doch noch die Wende bringen, glaubt er. "Bislang haben alle gesagt: Bau 'ne Demoanlage, dann kaufen wir", sagt Ahrens.

Bleibt die Höhenwindkraft am Ende doch ein Traum technikverliebter Fantasten? Zwar listen die Veranstalter der internationalen "Airborne Wind Conference" rund 60 laufende Projekte auf. Die meisten davon existieren aber nur auf dem Papier. Vorzeigbare Demonstratoren im Megawattbereich hat bislang niemand gezeigt. "Höhenwindkraft ist eine Zukunftstechnologie. Noch sind wir da, wo die konventionelle Windkraft in den 1980er-Jahren war", sagt Jörg Hermsmeier, der sich als Leiter der Forschungsabteilung beim Energieunternehmen EWE aus Oldenburg mit neuen Kraftwerkstypen beschäftigt. Ähnlich sieht man das beim Fraunhofer IWES in Hannover. "Eine kommerzielle Nutzung ist in den nächsten Jahren noch nicht zu erwarten", sagt IWES-Sprecherin Britta Rollert.

Die Großvision von Multimegawatt-Anlagen, die Strom in Tausenden Metern Höhe produzieren, packt Bormann daher gar nicht erst an. Sie überlässt er Google und Makani. "Ich möchte da anfangen, wo der Strompreis relativ hoch ist und große Windräder nicht infrage kommen." Dem 46-Jährigen schweben portable Anlagen vor, die in Standardcontainer passen und schnell einsatzbereit sind.

Etwa in entlegenen Gebieten wie Minen in Alaska, bei Katastrophen, auf Inseln oder bei Gewerben auf dem Land. Weiter in der Zukunft dann sollen größere Systeme folgen, mit bis zu 500 Kilowatt und etwa 100 Quadratmeter großen Flügeln. Hierzulande könnten die Minikraftwerke an bestehende Solarparks andocken. Dort steht die gesamte Infrastruktur bereits zur Verfügung. Die Parks könnten so auch nachts und an dunklen Wintertagen Strom liefern. Einfach eine Nummer kleiner denken, das könnte ihnen den nötigen Vorsprung vor Google verschaffen. (bsc [1])


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