Zahlen, bitte! 6000 mal Weihnachtsgeschichte und der Geist des Geschäfts

Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte berührte in jenen Tagen nicht nur Herzen der Leser, sondern auch die Art Weihnachten zu feiern. Wir blicken zurück.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Angesichts des dieses Jahr mit Warp 9 anstürmenden Weihnachtsfests wollen wir die Hintergrundgeschichte zu Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte beleuchten, und wie sie das britische und US-Weihnachtsgeschäft sowie das Urheberrecht beeinflusste.

"Marley war tot, um damit anzufangen. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Der Totenschein war vom Geistlichen, vom Schreiber, vom Leichenbestatter und vom Hauptleidtragenden unterzeichnet." Mit diesen nüchternen Worten beginnt eine der weltweit erfolgreichsten Weihnachtsgeschichten, geschrieben von Charles Dickens. "A Christmas Carol", auf Deutsch "Eine Weihnachtsgeschichte" oder auch "Eine Geistergeschichte zum Weihnachtsfest" genannt, erschien am 19. Dezember 1843 in einer Auflage von 6000 Exemplaren.

Charles Dickens um 1843.

(Bild: gemeinfrei)

Sie war in einer Woche ausverkauft. Zwei Wochen später erschien eine US-Ausgabe der Geschichte als "re-originated Edition" ebenfalls mit 6.000 Exemplaren. Sie kostete aber nur wenige Pennies. Dickens wurde somit nicht reich.

Doch im viktorianischen England schlug seine Geschichte wie eine Bombe ein: Das Spendenaufkommen wuchs noch vor Weihnachten um das Dreifache. Drei Worte wanderten in die englische, eines in die deutsche Sprache: "Merry Christmas", "Scrooge" (für einen Geizhals, siehe Scrooge McDuck oder Dagobert Duck) und "Humbug" (für Humbug).

Die Idee, eine hochmoralische Weihnachtsgeschichte über einen geldgierigen Hagestolz zu schreiben, kam Dickens, als er einen Bericht über Kinderarbeit in Großbritannien gelesen hatte. Das Land befand sich in der ersten Welle der Industrialisierung. Dickens besuchte eine Zinn-Mine, in der Kinder schufteten.

Er war so empört über die Zustände, dass er ein Pamphlet zu schreiben begann: "An Appeal to the People of England, on behalf of the Poor Man's Child". Im September 1843 stoppte er sein Vorhaben und begann mit der Arbeit an der Weihnachtsgeschichte. Belege für die kreisende These, dass seine damalige Geliebte Ada Lovelace Dickens darin beeinflusste, eine Geistergeschichte zu schreiben, gibt es nicht.

Die erste Skizze verfasste Dickens in einer selbst entwickelten Kurzschrift, die erst vor Kurzem geknackt werden konnte. Im Oktober begann der Mann, der Weihnachten erfand, mit der eigentlichen Niederschrift, die er im November beendete. Beizeiten signalisierte ihm sein Verleger, dass er nicht ein Werk finanzieren wird, welches Geschäftsleute in solch einem schlechten Licht beschreibt. Dabei gibt es solche Vermögensunterschiede bis heute. Dickens musste jedenfalls die erste englische Auflage aus eigener Tasche bezahlen. Sein Freund Thomas Mitton organisierte die Finanzierung des Druckes und bekam das edel eingebundene Originalmanuskript als Geschenk.

Illustration aus: Eine Weihnachtsgeschichte. Als erster Geist besucht der verstorbene Geschäftspartner Marley Ebeneza Scrooge

(Bild: John Leech, gemeinfrei)

Die eigentliche Geschichte selbst ist schnell erzählt. Der Geizhals Ebenezer Scrooge wird an Weihnachten von drei Geistern heimgesucht, die mit ihm auf sein Leben als geldgieriger Mensch ohne Gewissen zurückblicken. Zunächst aber erscheint ihm Jacob Marley, sein alter Geschäftspartner. Der erste Geist führt Scrooge in seine unglückliche Kindheit und zeigt, wie er seine große Liebe gegen die Aussicht auf Geld eintauschte, der zweite Geist zeigt ihm, wie gerade an Weihnachten bei seinem Angestellten Cratchit und bei seinem Neffen Fred gefeiert und gelacht wird, allen Miseren zum Trotz.

Der dritte Geist führt ihn in ein Elendsviertel und auf seine eigene Beerdigung, bei der niemand Scrooge auch nur ein Träne nachweint. Am Ende ist der einstige Weihnachtsmuffel gründlich geläutert, spendiert seinem Angestellten einen großen Truthahn und medizinische Betreuung für dessen Kind. Scrooge feiert dann mit der Familie seines Neffen schöne Weihnachten.

Das Weihnachtsfest war, als Dickens Geschichte erschien, zuvor in Großbritannien wie in den USA nur ein randständiges Ereignis. Die puritanischen Reformen unter Oliver Cromwell wirkten in der britischen Tradition immer noch nach. Weihnachten wurde mit Gebeten und Predigten gefeiert, nicht als "Merry Christmas everyone". Nur in den Familien von europäischen politischen Emigranten wie bei der Familie Marx wurde Weihnachten richtig gefeiert, mit Champagner, den Friedrich Engels aus Manchester schickte.

Der feierte nicht, sondern hatte wie Karl Marx viel zu tun: Als Dickens Weihnachtsgeschichte in England erschien, saß er am letzten Finish von seinem Text "Die Lage der arbeitenden Klassen in England". Sie war miserabel. Das wurde durch Dickens zwar nicht anders, doch die Spendenbereitschaft stieg gewaltig. Der berühmte britische Historiker Thomas Carlyle kaufte unmittelbar nach der Lektüre der Weihnachtsgeschichte von Dickens ein paar Truthähne und schenkte sie einem Armenhaus.

Mit der Veröffentlichung von Dickens wandelte sich Weihnachten zum Rührstück -- und zu einem kommerziellen Faktor ersten Grades. Sein Verleger warf sofort die Druckpressen an: Ende 1844 erschien bereits die 13. Auflage in 10.000 Exemplaren und war ebenso schnell ausverkauft wie die vorigen. Der Erste, der noch vor der Veröffentlichung der Erzählung auf Dickens reagierte, war sein Freund Henry Cole, der Direktor des Victoria & Albert Museums. Er ließ Weihnachts-Grußkarten drucken, die den Empfängern nicht nur ein schönes Weihnachtsfest wünschten, sondern auch dafür warben, für die Ärmsten zu spenden.

Mr. Fezziwig’s Ball – Eine weitere Illustration aus Charles Dickens' Weichnachtsgeschichte.

(Bild: John Leech, gemeinfrei)

Es waren genau diese Spenden und Almosen, um die der hartherzige Ebenezer Scrooge von "seriösen Männern" angegangen worden war und die er beharrlich als "Humbug" ablehnte. Schließlich habe er als Bürger Steuern bezahlt, damit sei alles abgegolten. Dickens längster und engster Freund war übrigens der Computerpionier Charles Babbage, der genau wie Scrooge dachte und Weihnachten zwar nicht für Humbug, doch für unwichtig erklärte: Babbage kam an einem 26. Dezember zur Welt und musste erleben, wie unwichtig sein Geburtstag war.

Mit seiner Weihnachtsgeschichte erwirtschaftete Charles Dickens in Großbritannien dank des vergleichsweise fortschrittlichen Urheberrechts (PDF-Datei) des Landes am Ende einen guten Gewinn. Ganz anders sah das aber in den Ländern aus, in denen die Geschichte sofort zigtausendfach nachgedruckt wurde, vor allem in den USA und in Russland. Beide Länder kannten keine rechtliche Absicherung für ausländische Autoren. Für USA und Großbritannien war das Verhältnis reziprok: Der US-amerikanische Autor Edgar Allan Poe wurde in Großbritannien sehr erfolgreich in Penny-Ausgaben nachgedruckt, weil Rechte der abtrünnigen Kolonie dort nichts galten.

Vor seiner Weihnachtsgeschichte war Dickens 1842 in die USA gereist und hielt dort kämpferische Reden für ein Urheberrecht aller Autoren, unbeschadet ihrer nationalen Zugehörigkeit. Diese fortschrittliche Position kam nicht besonders gut an und Dickens reiste wütend und enttäuscht aus Amerika zurück. Auf seiner zweiten Amerikareise hatte er jedenfalls seine Lektion gelernt: Er hielt zahlreiche Vorträge als gefragter Redner und las aus seinen Büchern, gegen Eintritt, der je nach Nachfrage saftig war.

Fünf Jahre nach seinem Tod im Jahre 1870 fand in den USA ein kurioser Prozess statt: zwei Raubdrucker von Dickens Weihnachtsgeschichte verklagten einander, das ihnen durch "Absprachen" gehörende Urheberrecht an dem Werk verletzt zu haben. Der Richter schmetterte die Ansprüche beider Parteien nieder, wie in der kleinen Copyright-Ecke der Website des Dickens Museums zu lesen ist. Das internationale Urheberrecht wurde übrigens erst 1886 mit der "Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst" geändert und von den USA erst (in modifizierter Form) 1989 ratifiziert.

Fröhliche Weihnachten allen Urhebermenschen sowie allen Zahlen, bitte!-Lesern: Möge der Truthahn, die Pute oder der Kartoffelsalat schmecken.
In den Worten von Ebenezer Scrooge: "I am as light as a feather, I am as happy as an angel, I am as merry as a schoolboy. I am as giddy as a drunken man. A merry Christmas to everybody! A happy New Year to all the world!"

(mawi)