Zahlen, bitte! 8 Millionen US-Dollar Strafe für einen kostenlosen Browser

Mit markigen Worten und einer gefüllten Kriegskasse trat Microsoft 1995 in einen Verdrängungswettbewerb, der als "Browserkrieg" IT-Geschichte schreiben sollte.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 7. Dezember 1995 lud Microsoft Journalisten und Analysten zu einem sieben Stunden dauernden "Internet Strategy Workshop" nach Seattle ein. Diese "Arbeitssitzung" entpuppte sich als aggressive Kampfansage des Konzerns, das Internet nicht Konkurrenten wie Netscape mit dem Web-Browser oder Sun (mit Java) zu überlassen. Mit dem Strategy Workshop eröffnete Microsoft den Browserkrieg.

Als Hauptredner trat Bill Gates auf. Unter Hinweis auf den Angriff der japanischen Armee am 7. Dezember 1941 zitierte Gates den japanischen Admiral Isoroku Yamamoto mit einem Satz, dessen Echtheit bis heute unter den Historikern umstritten ist:

"Ich fürchte, alles, was wir getan haben, ist, einen schlafenden Riesen zu wecken und ihn mit einer furchtbaren Entschlossenheit zu erfüllen."

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Für die Ankündigung von Bill Gates, dass Microsoft einen neuen Browser entwickeln und ihn kostenlos verteilen werde, musste Microsoft 1997 eine Konventionalstrafe von 8 Millionen US-Dollar an Spyglass zahlen, dem Lieferanten des Browser-Quellcodes. Noch etwas später wurden 2001 20 Millionen an Sun Microsystems fällig, weil Microsoft Java unrechtmäßig verändert hatte. Im Jahre 1995 saß das Geld bei Microsoft eh locker: Für die Nutzung des Stones-Song "Start me Up" in dem am 24. August gestarteten Betriebssystem Windows 95 zahlte man auf Vermittlung von David Geffen schlappe 12 Millionen US-Dollar.

Für das Cover von Bill Gates Internet-Buch "The Road Ahead (Der Weg nach vorn) wurde bei Conell im US-Bundesstaat Washington eine ohnehin geplante Straße auf Kosten von Microsoft asphaltiert und markiert und die Fotografin Annie Leibovitz eingeflogen, auch das kostete ein paar Millionen. Damit verglichen waren die 2 Millionen ein Schnäppchen, die für den Browser-Sourcecode an die Firma Spyglass gezahlt werden mussten. Diese hatte wiederum eine Lizenz für den Mosaic-Browser der Universität von Illinois erworben.

Der zweite Lizenznehmer des Browsers war die Firma Netscape, die im Jahre 1994 rund 2,7 Millionen Dollar für den Code gezahlt hatte und im August 1995 ein fulminantes Debüt an der Börse hinlegte. Noch am ersten Handelstag stieg die Aktie vom Ausgabepreis von 28 US-Dollar auf 75 Dollar. Als Bill Gates und seine Mannen zum Internet Startegy Workshop einluden, von dem heute nur noch ein paar Codescherben im Netz zu finden sind, lag die Netscape-Aktie bei 132,50 US-Dollar. Die von Microsoft war von 135 auf 90,50 USD abgestürzt, nachdem ein bekannter Analyst Microsoft heruntergestuft hatte. Seine These: Microsoft habe das Internet verschlafen.

Der Netscape-Navigator, hier im kritischen Zwiegespräch mit Windows 98, setzte Mitte der 1990er Jahre Microsoft mächtig unter Druck. Der Gigant aus Redmont reagierte mit dem Internet Explorer.

Geschlagene sieben Stunden zeigten Bill Gates, Paul Maritz, Brad Silverberg und John Ludwig, was sich alles ändern soll bei Microsoft. Gates nutzte das umstrittene Yamamoto-Zitat gleich mehrfach und betonte, dass ein Gigant wie Microsoft es sich leisten könne, 200 Programmierer an einem Browser arbeiten zu lassen. Das hörten Mike Tyrell und Tim Krauskopf, die beide als Chefs von Spyglass mit auf der Bühne saßen, mit Freude, denn sie hofften auf die satten Anteile beim Verkauf dieses Internet Explorers 3.0, den Gates für 1996 ankündigte.

Ihre Hoffnung wurde jäh zerstört, als Gates im nächsten Atemzug bekräftige, dass dieser Browser "for free" vertrieben wird. Von einem kostenlosen Browser war in den Verhandlungen niemals die Rede. In seiner Erinnerung (zu lesen im Buch "Overdrive" von James Wallace, eine leicht geänderte Fassung ist hier zu finden) beschreibt Tyrell den Tag als bescheidensten Tag seines Lebens. Er verkaufte noch am Abend vom Flughafen aus alle Anteile an der eigenen Firma und orderte stattdessen Microsoft-Aktien.

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Immerhin: nach einem längeren Gerangel vor Gerichten musste Microsoft 8 Millionen Entschädigung zahlen. Für Bill Gates war dagegen der 6. Dezember oder besser die Nacht vom 6. auf den 7. Dezember einer der Jubeltage, die er vor der Presse nach dem Workshop als Eight Cheeseburger Night beschrieb. So einen fetten Hamburger bekommt man nicht oft in seinem Leben.

Was war passiert? In außerordentlich zähen Verhandlungen, bei denen Dutzende von Seiten hin- und hergefaxt und verändert wurden, hatten sich Robert Heinen von Microsoft und Eric Schmidt von Sun auf einen Deal geeinigt, dass Microsoft Java lizenzierte. Um zwei Uhr in der Nacht klingelte Eric Schmidt seinen Chef Scott McNealy aus dem Schlaf: "Wir haben die Welt gewonnen". Entsprechend frohgestimmt lasen sich die Pressemitteilungen. Doch der Honeymoon war bald vorüber und SUN verklagte Microsoft doch noch wegen Java. So kann man sich irren.

(mawi)