Zahlen, bitte! Auf Welle 400 Meter – Der Beginn des Rundfunks

Der Rundfunk begann in Deutschland seinen Sendebetrieb in turbulenten Zeiten.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Auch wenn das Internet ihm im Hinblick auf Relevanz und Aktualität den Rang abläuft – der Rundfunk ist aus der heutigen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Seit nunmehr 100 Jahren informiert es die Hörerinnen und Hörer. Der Sendebeginn war in bewegten Zeiten.

Am 29. Oktober 1923 startete der offizielle Rundfunkbetrieb in Deutschland mit den Worten: "Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Voxhaus. Auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig.".

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

500 offiziell registrierte Geräte durften die Sendung empfangen. Sie hatten für die "Hör-Gewährung" eine monatliche Gebühr von 350 Milliarden Mark gezahlt: Deutschland befand sich auf dem Höhepunkt der Inflation. Mit der Einführung der Rentenmark im Dezember 1923 sank die Rundfunkgebühr auf zwei Mark.

Der Rundfunk, der von Berlin aus mit der "Unterhaltung" durch ein Cellosolo mit Klavierbegleitung begann, lag in den Händen der Reichstelegraphenverwaltung, die für die offiziell angemeldeten Empfangsgeräte einen Genehmigungsstempel vergab. Technische Veränderungen an diesen Geräten waren verboten und wurden bestraft.

Kontrollbeamte der Verwaltung hatten die Vollmacht, sich jederzeit Zugang zu den Wohnungen der Hörer zu verschaffen und den Zustand der Geräte zu inspizieren. Denn im Zuge der Radio-Amateurfunkbewegung gab es viele selbst gebaute Empfänger. Der offizielle Unterhaltungsrundfunkdienst war nicht die erste Sendung dieser Art, weshalb 100 Jahre Radio schon früher gewürdigt wurden: am 22. Dezember 1920 hatte der Sender Königs Wusterhausen ein Weihnachtskonzert übertragen.

Königs Wusterhausen war im Ersten Weltkrieg die Hauptfunkstelle des Deutschen Reiches und sendete den täglichen Heeresbericht "An Alle", dessen Floskel "Im Westen nichts Neues" in die Literaturgeschichte einging. Neben dem Heeresbericht gab es für die Soldaten an der Front Musiksendungen und Vorlesungen aus Zeitschriften. Es gab zusätzlich einen Auslandsradiodienst für die "Presse des neutralen Auslands", der ein heiles Bild von Deutschland zeichnete.

Über die deutschen Radiosendungen der Kriegsgegner, besonders die der Amerikaner beschwerte sich die Oberste Heeresleitung: "Diese Verkehrsmittel wurden aber auch seitens unserer Feinde zur Einwirkung auf die Völker benutzt in einer Weise, die vorauszusehen dem ehrlichen deutschen Gemüt nicht gegeben war. Die Einlage jeder amerikanischen Speckschwarte in die Falle für die ideologischen Mäuse wurde bis in die fernsten Winkel des Erdkreises verbreitet."

Volksempfänger, Typ VE 301 W aus dem Jahr 1933

(Bild: CC BY-SA 3.0, Hihiman)

In Berlin begann der unterhaltende Programmbetrieb recht unvermittelt. Ein Angestellter der Vox Schallplatten AG erinnerte sich: "Am Vormittag des 29. Oktober kam der Herr Staatssekretär Dr. Bredow zur Besichtigung. Überraschenderweise orderte er die Aufnahme eines programmäßigen Betriebes bereits vom gleichen Tag ab an. Nun galt es, in aller Eile eine Vortragsfolge aufzustellen und die für den Abend nötigen Künstler heranzuziehen."

Hans Bredow war Direktor der Firma Telefunken, bevor er Anfang 1919 als Ministerialdirektor die Leitung der "Reichsfunkbetriebsverwaltung" übernahm. Er war es, der maßgeblich dazu beitrug, den Unterhaltungscharakter des Rundfunks zu fördern. "Der Rundfunk soll dem verwöhntesten wie dem primitivsten Geschmack in gleicher Weise etwas bieten. Er soll Weltanschauungsfragen, sozialpolitische und wirtschaftspolitische Betrachtungen zur Schonung von Empfindlichkeiten mit großer Vorsicht anfassen. Ja, er muss sie manchmal sogar farblos gestalten und parteipolitische Fragen natürlich ängstlich meiden," beschrieb Bredow 1923 das Programm.

Der von Bredow angestrebte Ausgleich war politisch motiviert. Als im November 1923 eine Sendereihe mit politischen Vorträgen unter dem Titel "Wege zu deutscher Zukunft" begann, kamen nur Vertreter der deutschnationalen Partei des Zentrums und der Sozialdemokratie zu Wort. Zur Reichstagswahl 1924 erhielten Das Zentrum, die Deutschnationalen, die Deutsche Volkspartei, die Demokratische Partei und die SPD jeden Tag eine Viertelstunde Sendezeit. Den Kommunisten blieb der Weg zu den Mikrofonen versperrt. Sarkastisch kommentierte Kurt Tucholsky diese Art des ausgewogenen Umgangs mit "Weltanschauungsfragen": "Jedenfalls ist dieser schwankende Kahn auf die Dauer nicht in der Balance zu halten, immer kippt er nach rechts über, und das Ganze ist Lüge. Was wir brauchen, ist der politische Rundfunk!"

Der Begeisterung für das neue Medium tat das keinen Abbruch. Bereits Ende Dezember 1923 gab es 1500 registrierte Empfangsgeräte, 1924 waren es 250.000 und 1926 überstieg die Zahl der angemeldeten Hörer die Millionengrenze. Als Albert Einstein 1930 zur Eröffnung der Internationalen Funkausstellung in Berlin seine berühmte Rede zu den An- und Abwesenden über den Rundfunk hielt, hätte sie bereits von mehr als drei Millionen gehört werden können.

Höreranzahl des Rundfunks im Jahr 1925, aufgeschlüsselt nach Sendern, die damals nach dem Sendeort benannt wurden.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Maximilian Schönherr - Ernst Klöcker: Das Funkwesen in Deutschland und die wirtschaftliche Bedeutung des Rundfunks, Dissertation an der Universität Erlangen 1926)

Einstein stellte die Leistungen aller Wissenschaftler heraus, die mit ihren Erkenntnissen dem Radiohören den Weg bereiteten und stellte das neue Massenmedium als Sieg der Demokratie und als Vehikel der Völkerversöhnung vor. "Denket auch daran, dass die Techniker es sind, die erst wahre Demokratie möglich machen. Denn sie erleichtern nicht nur des Menschen Tagewerk, sondern machen auch die Werke der feinsten Denker und Künstler, deren Genuss noch vor Kurzem ein Privileg bevorzugter Klassen war, der Gesamtheit zugänglich und erwecken so die Völker aus schläfriger Stumpfheit."Hier irrte sich der große Denker.

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Im Jahr 1932 erschien ein Gedicht in der Rundfunkzeitschrift "Arbeitersender": Ich möcht' einmal am Sender stehn und sprechen dürfen. - Ohne Zensur. Ein einziges Mal. - Eine Stunde nur - »Hetzen« - und Hass und Feuer säen. - Lasst einmal mich am Geräte stehn und nur einen Tag aus meinem Leben wahrhaft und nüchtern »zum Besten« geben. - Nichts weiter. Es würde ein Wunder geschehn. - Ich möchte die wütenden Fratzen sehn Wenn's hieße: »Achtung! Deutsche Welle! Eine Arbeiterin spricht! - Thema: Die Hölle.«

Das Gedicht nahm den bereits fortschreitenden Missbrauch des Radios durch die Nazis zu Propagandazwecken vorweg. Die Lektion aus dem Missbrauch im Dritten Reich, was zum Zweiten Weltkrieg führte, bestand aus einer Neustrukturierung des Rundfunks, um ihn unabhängiger und demokratischer zu machen: Nach dem Krieg entstand der Öffentlich-rechtliche Rundfunk. Das ist aber eine eigene Geschichte.

Update: Zum Jubiläum des Rundfunks kann am Sonntag, den 29. Oktober 2023 im Raum Schwerin wieder Sender Voxhaus empfangen werden. Danke an den Nutzer HC für den Hinweis.

(mawi)