Zahlen, bitte! Der humorvolle 60-Sekunden-Krieg gegen die USA

Mit einer Unabhängigkeitserklärung gegen die USA kam die Mikronation Conch in die Schlagzeilen. Die skurille Staatenform schaffte es bis ins Netz.

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(Bild: heise online)

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Heute wird das 42. Unabhängigkeitsjubiläum der Conch Republic gefeiert. Bürger der in Florida gelegenen Stadt Key West riefen am 23. April 1982 um 12 Uhr die unabhängige Mikronation aus und erklärten den USA den Krieg, nur um eine Minute später zu kapitulieren und um eine Finanzhilfe von 1 Milliarde Dollar für den Wiederaufbau der Republik zu bitten. Zur Feier des Tages werden Patrioten, Piraten und Partygänger die Straßen und Strände der Republik bevölkern und ihre Mission befolgen, der Welt Humor, Frieden und Respekt zu vermitteln.

Die Gründung der Conch Republic, benannt nach einer heimischen Schneckenart, wurde durch die Einrichtung eines Kontrollpunktes am Highway 1 durch die US-amerikanische Behörde Customs and Border Protection provoziert. Diese wollte die Autos kontrollieren, die über die Brücke fahren, die die Florida Keys mit dem Festland verbindet. Die Kontrolle auf Drogen und illegale kubanische Einwanderer führte zu langen Autoschlangen und wurde von den Bürgern von Key West als Schikane erfunden. Ihr einminütiger Freiheitskampf war erfolgreich, denn das Kontrollhäuschen wurde wieder abgebaut.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Danach griffen die tapferen Bewohner der Republik nur noch einmal zu ihren Waffen, den speziell durch Austrocknen gehärteten Pan-Cubano-Brotstangen und mit Wasser gefüllten Luftballons. Das geschah im September 1995, als ein Reservebataillon der Nationalgarde ein Landemanöver an der Küste von Key West übte, ohne zuvor die Bewohner des Gebietes zu informieren. Die Verteidiger der Conch Republic wurden mit Wasserwerfern beschossen, was ihre harten kubanischen Baguettes mit Teighemmung außer Gefecht setzte.

Die nächste Aktion entspann sich im Jahre 2006, als fünfzehn Kubaner auf dem stillgelegten Teil der Sieben-Meilen-Brücke landeten. Sie wurden von der Grenzpolizei umgehend nach Kuba zurückgeführt, weil die Brücke nicht Festland im Sinne der US-Gesetzgebung war. Das nahmen die Bürger der Conch Republic zum Anlass, die Brücke zu besetzten und zu besiedeln.

Letzteres wurde ihnen verwehrt, denn die Brücke sei Eigentum aller Floridianer, sagt Gouverneur Jeb Bush. Heute ist die Conch Republic eine Touristenattraktion und begeht ihre Gründung wie so viele andere Mikronationen mit einem Stadtfest, einer Parade und verschiedenen Wettbewerben. So gibt es einen Ernest-Hemingway-Ähnlichkeitswettbewerb in Gedenken an den Schriftsteller, der ein Jahrzehnt in Key West gelebt hat. Dabei wird auch an Leicester Hemingway, dem jüngeren Bruder von Ernest gedacht: Er hatte am 4. Juli 1964 auf einem Floß in der Nähe von Jamaika die Micronation New Atlantis gegründet, die ein Vorbild für die Ausrufung der Conch Republic war. Hemingway berief sich damals auf den Guano Island Act, der schon einmal Thema einer früheren "Zahlen, bitte!"-Ausgabe war.

Viele Mikronationen sind in Folge geschichtlicher Verwerfungen nach Kriegen entstanden, als Grenzen neu gezogen wurden. So entstand im Januar 1918 der Freistaat Schwenten in einem Gasthaus, komplett mit einem Präsidenten und einem Innenminister und einer Armee, vom Förster gebildet. Nur die Bildung der Marine unterblieb, weil der Dorfteich zugefroren war. Ähnlich entstand 1919 an der Freistaat Flaschenhals, als bei der Grenzziehung der Besatzungsgebiete am Mittelrhein zwischen den Amerikanern, Franzosen und Briten ein Streifen Land übrigblieb, das prompt vom Schmuggel zwischen den Zonen profitierte. Heute ist der Flaschenhals eine Wein-Marke örtlicher Winzer.

Auch die Dorfrepublik Rüterberg kann man zu dieser Kategorie zählen, auch wenn ihre am 9. November beschlossene Eigenstaatlichkeit im Zuge der Wiedervereinigung gegenstandslos wurde. Während mit dem Fall der Mauer Bürger der DDR nach Westdeutschland reisen konnten, durften sie nicht nach Rüterberg.

Haupteingang der dänischen Freistadt Christiania, die in Kopenhagen beheimatet ist.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Neptuul)

Viele Mikronationen entstanden als Folge von symbolischen Kunstaktionen. So entstand 1976 die Republik Kugelmugel als Kugelhaus, das heute im Wiener Prater steht. Ladonien am Kettegatt in Schweden entstand im Streit um die Skulpturen des Künstlers Lars Vilks mit den schwedischen Behörden, weil der Künstler Vilks seine Skulpturen in einem Naturschutzgebiet realisierte. Mit dem Kunstprojekt Refugee Republic wollte der Künstler Ingo Günther auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen. Mittlerweile ist das Projekt in der Version 3.0 angekommen.

Auch die wohl bekannteste Mikronation, die Fristad Christiania, entstand nach einer Artikelserie des Journalisten Jacob Ludvigsen als Kunstaktion im Jahre 1971. Ursprünglich ging es darum, aus der "verbotenen Stadt des Militärs" ein Friedenszentrum zu gestalten. Ganz ohne Land und Grenzen kommt die Transnational Republic aus, ein Projekt des Künstlers Georg Zoche als Antort auf die Frage, was passiert, wenn ein Mensch staatenlos wird.

Zum Schluss seien einige Mikronationen erwähnt, die aus anderen Protestrichtungen entstanden, wie die gegen die Atomkraft protestierende Republik Freies Wendland. Sie existierte 1980 33 Tage lang als Hüttendorf, bis sie in der größten Polizeiaktion der Bundesrepublik geräumt wurde. 1997 gründete Greenpeace vor der schottischen Küste auf Rockall Waveland, das bis 1999 eine Botschaft in Berlin unterhielt. Im Jahr 2014 folgte die República Glaciar durch Greenpeace Chile als Protestaktion gegen Bergbauunternehmen, die einen Gletscher zerstören.

Eine besondere Form der Mikronationen bildeten im WWW vor allem in den frühen 2000ern die virtuellen Nationen. Es entstanden Mitte der 1990er mit dem Aufkommen der Internetforen kleine Staatssimulationen mit Website, Forum und scheinbaren staatlichen Strukturen sowie diplomatischer Korrespondenz untereinander. Selbst eine Art UN-Charta existierte: Die United Virtual Nations Organization (UVNO), in der sich ähnlich wie beim Vorbild verschiedene virtuelle Nationen organisierten, veröffentlichte eine mit ihren Grundsätzen. In Hochzeiten existierten geschätzt über 50 virtuelle Mikronationen in Deutschland – mit den Jahren sind aber viele Staatsprojekte eingeschlafen oder beendet worden. So einen eigenen Staat zu organisieren, ist eben anstrengend.

(mawi)