Zahlen, bitte! Ein S über 3148 Kilometer – der erste transatlantische Funkspruch

1901 gelang dem italienischen Funkpionier Guglielmo Marconi die erste transatlantische Funkübertragung. Es gilt als erster Schritt in die moderne Kommunikation.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 12. Dezember 1901 empfing der Funkpionier Guglielmo Marconi in Neufundland ein Funksignal, das von seiner Funkstation Poldhu in Cornwall abgeschickt wurde. Über diese erste, leider nur unvollständig dokumentierte transatlantische Funkverbindung wurde heftig gestritten, was Marconi nicht stoppte. Die Einwände bekannter Physiker, dass die Funkwellen aufgrund der Erdkrümmung ins Weltall laufen müssten, interessierten ihn nicht.

Bereits im Oktober 1907 konnte er die erste kommerzielle Atlantik-Funkverbindung eröffnen und immense Gewinne einfahren. Zusammen mit Karl Ferdinand Braun bekam er 1909 den Physik-Nobelpreis, den er als "halben Preis" zunächst ablehnen wollte. Dabei hatten Brauns Verbesserungen der Funktechnik erst dazu geführt, dass Marconi ein Signal empfangen konnte.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Der nicht unvermögende Marconi hatte sich mit Dutzenden Experimenten in die Funktechnik eingearbeitet, die seit der Entdeckung von elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz "in der Luft" lag. Seine Experimente begannen auf dem Grundstück seines Vaters, eines Großgrundbesitzers in der Nähe von Bologna, wo er Distanzen zwischen 2 und 4 Kilometern erfolgreich meisterte.

Bei den allerersten Vorführungen von Marconi in Großbritannien am Bristolkanal im Jahre 1897 war nicht nur Kemp, sondern auch der deutsche Physiker Adolf Slaby anwesend, der die Kenntnisse über die auf Hertz basierende Funktechnik nach Deutschland gewissermaßen re-importierte. Slabys erster Funkversuch ging über 1,6 Km zur Potsdamer Kirche in Sacrow, wo heute noch ein Gedenkschild von dem Ereignis berichtet.

Während Marconi mit seinen Ideen in Italien auf keinerlei Interesse stieß, reagierte das britische Post Office sofort: Es orderte den Ingenieur George Kemp an, Marconis Versuche zu begleiten. Kemp blieb, wurde von Marconi in seiner britischen Firma "Wireless Telegraph & Signal Company" angestellt und war 35 Jahre lang persönlicher Assistent Marconis. Bald unternahm Marconi Versuche, den Ärmelkanal zu überbrücken, schließlich war seine irische Mutter eine Staatsbürgerin des Riesenreiches, das fortlaufend nach Wegen suchte, seine Kommunikation mit den Außenposten zu verbessern. Das Vorhaben gelang erstmals am 27. März 1899 zwischen dem Leuchtturm im britischen South Foreland bei Dover und der etwa 45 Kilometer entfernten Empfängerstation Wimereux in Frankreich.

Als sich basierend auf Slabys Berichten Karl Ferdinand Braun mit der Technik beschäftigte und sie streng wissenschaftlich optimierte, kamen noch größere Distanzen in Sicht: 1900 gelang die Übertragung von über 60 Kilometern mit einer Funk-Nachricht von Cuxhaven nach Helgoland.

Marconi war da schon weiter, jedenfalls wirtschaftlich gesehen: mit dem Patent 7777 sicherte er sich die Verwertungsrechte im britischen Weltreich. Wie heißt es so schön in einem fiktiven Interview mit Technology Review: "Die Arbeiten von Faraday, Maxwell oder Hertz – wie habe ich sie bewundert! Aber diese Theoretiker haben doch nie den praktischen Wert der Funkwellen erkannt."

Guglielmo Marconi sitzt um 1901 herum vor einer seiner Funkanlagen. Rechts ist der Sende-, links der Empfangsapparat zu sehen.

(Bild: Life, gemeinfrei)

Das Funken zwischen Kontinenten oder hin zu Schiffen weit draußen auf den Weltmeeren war eine ganz andere Größenordnung. Etliche Wissenschaftler (zu ihnen gehörte Braun) waren überzeugt, dass Funksignale infolge der Erdkrümmung ins Weltall geschickt würden, da die reflektierende Ionosphäre noch nicht bekannt war.

So wurde sein Adlatus George Kemp der einzige Zeuge des Jahrhundert-Ereignisses am 12. Dezember 1901 in St. John auf Neufundland. Dort war eine 120 Meter lange Antenne gespannt worden, die ein Drache in der Luft hielt. Am Ausgangspunkt Poldhu in Cornwall verschickte ein leistungsstarker Funkenindikator die Signale.

Die erfolgreiche Verbindung wurde von Marconi selbst später so beschrieben: "Ich war an dem Punkt angelangt, an dem ich die Korrektheit aller meiner Annahmen testen musste. Kurz vor Mittag steckte ich das Ohrstück des Lautsprechers in mein Ohr. Die Antwort kam um 12:30, als ich, schwach, aber deutlich Piep-Piep-Piep hörte. Ich gab Kemp den Ohrhörer: 'Können Sie etwas hören?´, fragte ich. 'Ja', sagte er. 'Den Buchstaben S'. Er konnte ihn hören. Ich wusste nun, dass all meine Vorstellungen richtig waren. Die elektrischen Wellen waren in die Luft geschickt worden und hatten den Atlantik überquert -- eine enorme Distanz von 3184 Kilometern -- unbeeindruckt von der Krümmung der Erdoberfläche. Das Resultat war für mich viel mehr als nur die erfolgreiche Durchführung eines Experimentes. Wie Sir Oliver Lodge es ausgedrückt hat, war es ein epochales Ereignis in der Geschichte."

Der Brite Oliver Lodge, ein Physiker, war der prominenteste Kritiker von Macronis Experimenten. Er bekämpfte den "Quacksalber" selbst dann noch, als Marconi das Funken über den Atlantik und zu den auf ihm verkehrenden Schiffen sehr erfolgreich kommerzialisiert hatte. Lodge gewann einen Prozess gegen Marconi über eines seiner Patente, das Marconi nutzte. Von den Einnahmen konnte er bis an sein Lebensende leben.

1909 erhielten Guglielmo Marconi und Karl Ferdinand Braun zu gleichen Teilen den Nobelpreis in Physik zugesprochen. Marconi war erbost und wollte die "halbe Sache" zunächst ablehnen, zumal er ihn mit einem "verknöcherten" Wissenschaftler teilen musste, der fast doppelt so alt war.

Die Laudatio des Stockholmer Akademie-Präsidenten Hans Hildebrand [PDF] auf Marconi und Braun vom 10. Dezember 1909 brachte die Anteile beider Preisträger geschickt auf den Punkt: "Es bedurfte eines Mannes, der die Möglichkeit des Unternehmens einsah und der all die Schwierigkeiten verschiedener Art, die sich der Verwirklichung des Gedankens in den Weg stellten, überwinden konnte. Diese Großtat auszuführen, war Guglielmo Marconi vorbehalten. Die Entwicklung einer großen Erfindung geschieht aber wohl selten durch einen einzigen Mann. Marconis System hatte seine schwachen Punkte. Es ist vor allem Professor Braun, durch dessen einsichtsvolle Arbeiten diese Übelstände überwunden worden sind. /.../ Erst durch die Einführung seiner Verbesserungen ist es gelungen, die großartigen Resultate der letzten Zeit bei der drahtlosen Telegrafie zu erreichen".

Die Weltöffentlichkeit interessierte sich damals übrigens weit weniger um die Diskussion über die Diskrepanz von Ökonomie und Wissenschaft. Held des ausklingenden Jahres war vielmehr ein britischer Funker namens Jack Binns, der auf dem sinkenden Passagierschiff Republic mit einem Marconi-System das erste Notruf-Signal via Morsecode die Buchstaben CQD absetze und das auch noch mit eilig hergeschafften Batterien versuchte, als der durch die Schiffsmaschinen erzeugte Strom längst ausgefallen war.

Die dramatische Geschichte mit einem guten Ende führte dazu, dass dem Helden Jack Binns die Rolle des Marconi-Cheffunkers auf der Titanic angeboten wurde. Binns lehnte ab und wurde in den USA angesehener US-Journalist, der zu seinem Tode 1959 ein Ehrenbegräbnis erhielt.

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Auch Karl Ferdinand Braun starb in den USA. Er war dorthin gereist, um als Zeuge in einem Patent-Prozess zur Funktechnik aufzutreten. Er wurde dort vom Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 überrascht und war bis zu seinem Lebensende 1918 in den USA interniert.

Guglielmo Marconi wurde in seinen späten Jahren ein Anhänger der Faschisten unter Benito Mussolini und träumte von einem britisch-italienischen Weltreich. Andererseits war er der Mitgründer von Radio Vatikan und sorgte dafür, dass die technisch längst aufgeschlossene Radio-Welt 1931 die Weihnachts-Ansprache des Papstes hören konnte.

1934 navigierte er seine Segeljacht mit seinen Technikern allein durch Radio-Navigation, gewissermaßen als Vorläufer unserer GPS-Systeme. Als er 1937 starb, stellten am Tag der Beerdigung die Funker weltweit um 18 Uhr für zwei Minuten ihren Dienst ein.
Die Funkwellen-Welt war still – wie vor Marconi.

Update

Der Erste Weltkrieg hat 1914 begonnen, das wurde korrigiert.

(mawi)