Zwölf Blicke in die Zukunft

Prognosen sind mehr als Spielerei, sie sind das Navi für die Moderne. Wir wollten wissen: Wie geht es die nächsten zehn Jahre weiter? Und haben dafür zwölf Visionäre befragt, darunter Ex-US-Energieminister Steven Chu. Er fordert: Stromspeicher in jeden Keller!

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Alexander Stirn

"Stromspeicher in jeden Keller"

Physik-Nobelpreisträger Steven Chu war von Januar 2009 bis April 2013 US-Energieminister. Er initiierte unter anderem das ARPA-E-Projekt. Forscher sollten mit gewagten Ideen die Energieversorgung voranbringen. Er lehrt an der Universität Stanford.

Technology Review: Professor Chu, wenn Sie auf die Entwicklung im Energiesektor während der vergangenen zehn Jahre zurückblicken: Wo hat sich mehr getan – in der Technik oder in der Gesellschaft?

Steven Chu: Da muss ich nicht lange nachdenken: Der poli-tische und gesellschaftliche Teil hinkt wie immer hinterher. Wir können heute zum Beispiel Energiesparhäuser ohne zusätzliche Kosten bauen. Trotzdem verzichten viele Architekten, Statiker, Bauherren darauf. Das ist so, als würde man ein Geldgeschenk einfach nicht abholen.

Wieso greifen die Leute nicht zu?

Weil sie es nicht anders gewohnt sind. Vor 100 Jahren haben die Menschen natürliche Konvektion zur Kühlung genutzt. Heute reicht ein Knopfdruck, und Luft strömt überall hin. Wir müssen erst wieder lernen, dass heiße Luft aufsteigt, dass kalte Luft absinkt und dass all das auch ohne Klimaanlage funktioniert.

Wie konnte es so weit kommen?

Weil Energie lange Zeit so billig und so allgegenwärtig war, dass sich niemand Gedanken machen musste.

Heißt das, Energie muss teurer werden?

Das wird nicht funktionieren. Vielmehr müssen wir die Menschen besser aufklären, besser sensibilisieren, besonders beim Klimawandel. Stellen Sie sich mal vor, die Verkabelung Ihres Hauses sei so alt, dass das Risiko eines Brandes bei 20 Prozent liege. Würden Sie darauf verzichten, die Kabel zu erneuern?

Eher nicht.

Natürlich nicht, genauso wenig wie Sie in ein Flugzeug steigen würden, das mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt. Beim Klimawandel sind die Risiken – allen Unwägbarkeiten der Modelle zum Trotz – sogar noch größer. Trotzdem will kaum jemand handeln. Und wieso?

Wieso?

Weil er die Menschen nicht selbst betrifft, sondern ihre Kinder und Enkel. Wir können aber nicht 50 Jahre warten und dann sagen: Oh Gott, das ist alles so schrecklich. Genau das muss die Gesellschaft begreifen, genau das müssen wir ihr klarmachen.

Was kann Technik dazu beitragen? Gibt es Entwicklungen, die in den kommenden zehn Jahren besonders wichtig werden?

Ja, die Speicherung und die Verteilung von Energie. Doch auch das ist – Sie ahnen es schon – keine rein technische Frage.

Sondern?

Schauen Sie sich die klassischen Energieversorger an. Dass immer mehr Leute Sonnenenergie in die Netze einspeisen, beunruhigt die Unternehmen. Dass die Menschen Energie sparen, verängstigt sie noch mehr, weil das auf Dauer ein schrumpfendes Geschäft bedeutet. Die Versorger sollten sich deshalb die einstigen Telefonunternehmen als Vorbild nehmen.

Ausgerechnet die Telefonkonzerne?

Warum nicht? Die haben früher die Telefone, den Anschluss, die gesamte Infrastruktur geliefert und sich um alles gekümmert. Genau das ist es, was die Menschen auch beim Strom wollen: zuverlässige und grüne Energie.

(rot)