25 Jahre Copyright-Krieg: Die Piraten haben immer noch das bessere Produkt ​

Die Content-Lobby legt die Axt ans freie Netz. Dabei ist deren Problem ein anderes, meint Volker Briegleb: Die Piraten haben immer noch das bessere Produkt.

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Badeschlappen, die mit gefälschtem "Gucci"-Logo und einer Micky Maus bedruckt sind, werden auf einem Markt in Manila zum Verkauf angeboten,

Während gefälschte Markenprodukte nicht selten von minderwertiger Qualität sind, liefern die Digitalpiraten oft den besseren Service.

(Bild: MDV Edwards/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Niemand kann sagen, man hätte es nicht kommen sehen können: Im Krieg der Content-Industrie gegen die Piraten gibt es erhebliche Kollateralschäden. Inzwischen geht die Copyright-Lobby dazu über, technische Mittler wie den DNS-Resolver Quad9 oder den Hoster Uberspace ins Visier zu nehmen – und sägt damit an den Grundfesten des Internets. Dabei ist das eigentliche Problem der Film- und Musikindustrie ein ganz anderes: Diese "Piraten" haben immer noch das bessere Produkt.

Ein Kommentar von Volker Briegleb

In über 15 Jahren im Newsroom von heise online hat Volker Briegleb schon so manchen Trend kommen und auch wieder verschwinden sehen. Ist nicht sicher, ob das Internet oder Hertha BSC die größte Enttäuschung seines Lebens ist.

Da ist der eine Track, der plötzlich von deiner Lieblings-Playlist verschwindet. Und dann noch einer. Ein ganzes Album. Die Fernsehserie, die nur in SD und deutscher Fassung vorliegt. Die andere Serie, die es gar nicht erst im Streaming gibt. Kauf doch die DVD! Der Film, bei dem du nicht sicher sein kannst, dass er deine bevorzugte Sprach- und Untertitelauswahl mitbringt. Macht 5 Euro.

Knapp ein Vierteljahrhundert, nachdem ein gewisser Shawn Fanning Napster gegründet und damit die Büchse der Pandora geöffnet hat, kämpfen Musik- und Filmindustrie (und auch die Verlage) immer noch gegen die illegale Verbreitung ihrer Erzeugnisse im Internet. Das ist ihr gutes Recht – und viele der in den vergangenen Jahren von der Justiz erfolgreich geschlossenen "Angebote" muss man schlicht als kriminell bezeichnen. Es ist ein Sisyphus-Job: Erfolge wie der gegen Kino.to verpuffen schnell, auf X folgt Z.

All die Jahre hat die Industrie ihr Angebot selbst nur widerwillig verbessert. Die "Disruption" kam von außen: Napster, iTunes, Spotify, Netflix, Amazon. Das hat neue Abhängigkeiten geschaffen. Ohne Spotify geht in der Musikbranche heute nichts mehr. Dass von dem Verteilschlüssel der Streamingeinnahmen große Labels und Superstars überdurchschnittlich profitiert haben, gehört zu den Nebenwirkungen der schönen neuen Streaming-Welt.

Aber immerhin: Das Tal der Tränen ist durchschritten. 2021 hat die Musikindustrie erstmals wieder mehr Umsatz erzielt als 1999. Für 2022 stehen 26,2 Milliarden US-Dollar zu Buche – mehr als jemals zuvor. Die Film- und Fernsehbranche hängt ein bisschen hinterher und sucht noch nach Erlösung. Eins kann man schon mal festhalten: Dass jede Klitsche ihren eigenen Streamingdienst in den Wettbewerb schickt, wird die Lösung nicht sein.

Lesson One from the Stringer Bell School of Business. Das Bild ist im Internet, die Rechtefrage bei so einem Screenshot: Kompliziert.

(Bild: HBO)

"Product, motherfuckers. Product." Lektion Eins der "Stringer Bell School of Business" sollten sich auch die Manager der Industrie hinter die Ohren schreiben: Das Produkt muss stimmen. Dabei muss man einräumen, dass sie es auch nicht immer leicht haben: Die Rechtelandschaft für Musik, Filme, Serien, Untertitel, Sprachfassungen und alles Mögliche ist wahnsinnig fragmentiert.

Manchmal weiß niemand mehr, wer die Rechte überhaupt besitzt. Andere Rechte schimmeln in irgendeinem Insolvenzverfahren. Manche Filme oder Serien bergen ein nicht unerhebliches finanzielles Risiko, etwa wenn der Popmusik-Soundtrack neu lizenziert werden muss. Oder ein Studio kann die eigene Serie nicht auf dem hauseigenen Streamingdienst zeigen, weil die Erstrechte jemand anders hat.

Diese unübersichtliche Situation wirkt sich beim Kunden dann wie beschrieben aus. Plötzlich fehlt was, ist woanders oder war gar nicht erst da. Von den Sackgassen, in die das technische Digital Rights Management führen kann, will ich hier gar nicht erst anfangen.

Aber kann die Politik da nichts machen? Kann sie. Doch nach einschlägigen Erfahrungen sollte sie das besser lassen. Sicher, der politische Eingriff in die Sportrechtevermarktung hat für mehr Wettbewerb gesorgt – auf dem Markt für Sportrechte. Die Rechteinhaber freut das. Der Fan darf jetzt entgegen aller Beteuerungen zwei oder drei Anbieter abonnieren, wenn er alle Spiele seines Lieblingsvereins live sehen will. Das konnte ja niemand ahnen!

Die Industrie könnte ihre strukturellen Probleme selbst angehen. Derzeit sieht es aber eher danach aus, dass sie den Verdrängungskrieg gegen die illegale Konkurrenz ausweitet. Dabei nimmt die Content-Lobby zunehmend unschuldige Marktteilnehmer ins Visier, die rechtlich vor solchen Angriffen geschützt sein sollten – aus verdammt guten Gründen.

Doch die jüngsten Verfahren gegen den Hoster Uberspace und den DNS-Dienstleister Quad9 zeigen, dass die Content-Lobby – ohne mit der Wimper zu zucken – die Axt ans Fundament des Internets legt. Und die Justiz, deren erschreckende Ahnungslosigkeit in Technikfragen hier nicht zum ersten Mal auffällt, leistet Beihilfe. Man kann nur hoffen, dass diese Verfahren letztinstanzlich anders ausgehen. Die Industrie könnte unterdessen mal ihre Prioritäten hinterfragen. Product, motherfuckers. Product.

(vbr)