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"Engpässe in der deutschen Versorgung"

Dr. Wolfgang Stieler

Im TR-Interview klagt der Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Michael G. Feist, über Genehmigungsengpässe und mangelnde politische Unterstützung bei Kraftwerksneubauten.

Michael G. Feist ist seit Herbst 2007 Präsident des neu ge-gründeten Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Berlin. Der Niedersachse ist Vorsitzender des Vorstands und Kaufmännischer Direktor der Stadtwerke Hannover AG. Im BDEW haben sich die Verbände BGW, VDEW, VRE und VDN zusammengeschlossen. Der neue Spitzenverband repräsentiert rund 1.800 Unternehmen der Erdgas-, Strom- und Fernwärmeversorgung sowie der Wasserwirtschaft.

TR: Herr Feist, der Chef der Bundesnetzagentur hat vor kurzem vor einer möglichen Versorgungslücke bei der Stromversorgung in Deutschland gewarnt. Haben die deutschen Energieversorger zu wenig Kraftwerke gebaut?

Michael G. Feist: Die deutschen Energieversorger wollen gerne ganz deutlich mehr neue Kraftwerke bauen. Aber es gibt ein erhebliches Genehmigungsdefizit im Kraftwerksbau.

Deutschland braucht ein umfangreiches Modernisierungsprogramm mit zwischen 20.000 und 40.000 Megawatt Kraftwerkskapazitäten. Das sind bis zu 40 Prozent der deutschen Kraftwerke, die in den nächsten Jahren erneuert werden müssen.

Wir merken zunehmend, dass in der Öffentlichkeit und in der Politik eine zunehmend geringere Akzeptanz da ist, um neue Kraftwerke zu bauen. Ein Großteil dieser Kapazitäten muss auch in Form von hocheffizienten modernen Kohlekraftwerken erneuert werden. Da regt sich öffentlicher Widerstand und die mangelnde Modernisierung führt dazu, dass Reservekapazitäten kleiner werden. Der Markt wird enger im Stromsektor. Insofern sagt Herr Kurth, was ich teile, das unter ungünstigen Bedingungen – warmes Wetter, niedriger Wasserstand in den Flüssen – es durchaus mal an der einen oder anderen Stelle zu Engpässen in der deutschen Versorgung kommen kann.

TR: Nun ist die anstehende Modernisierung der deutschen Kraftwerke ja keine neue oder überraschende Entwicklung. Und die Bundesregierung hat ja im vergangenen Jahr energiepolitisch auch klare Vorgaben gemacht. Wo hakt der Prozess denn?

Feist: Es ist keine neue Entwicklung. Es gibt seit vielen Jahren eine Diskussion über die erforderliche Modernisierung im deutschen Kraftwerkspark. Die Politik und die Bundesnetzagentur haben sich sehr sehr lange Zeit fast ausschließlich darauf konzentriert, die Netznutzungsentgelte zu regulieren. Und sie haben den Aspekt der Versorgungssicherheit etwas nach hinten geschoben. Jetzt wird deutlich, dass wir uns mehr um Versorgungssicherheit kümmern müssen. Denn günstige Preise für den Kunden setzen erstmal voraus, dass wir genügend Strom im Markt haben – dass Angebot und Nachfrage in einem guten Gleichgewicht sind. Das wird jetzt sehr deutlich. Und wir merken in allen Gesprächen mit der Politik, dass hier zunehmend gleiche Interessenlagen bestehen, mehr Kraftwerke ans Netz zu bringen, eingebettet in ein energiewirtschaftliches Gesamtkonzept für Deutschland.

Was muss denn an politischen Rahmenbedingungen geändert werden, damit Genehmigungen schneller erteilt werden und die Versorgungssicherheit verbessert werden kann?

Feist: Wir haben im wesentlichen zwei Anforderungen. Wir müssen schneller werden im Bau von Transportleitungen im Stromsektor. Es gibt einen Riesen-Genehmigungsstau bei Leitungen, vor allem bei Nord-Süd-Leitungen. Wir müssen den Windstrom schneller in die Verbrauchszentren bringen – in die Gebiete bis zur Main-Linie hinunter. Da gibt es eine Reihe von großen Projekten und es stehen die Mittel bereit, aber es fehlen die Genehmigungen. Da arbeitet das Wirtschaftsministerium daran, ein Beschleunigungsgesetz auf den Weg zu bringen. Und ich denke, beim Kraftwerksbau brauchen wir eine größere Unterstützung, eine größere Entschlossenheit bei der Politik. Nicht nur die Ziele zu unterstützen und zu sagen, dass wir mehr Kraftwerke brauchen, sondern auch zu diesen Zielen zu stehen. Und an manchen Stellen auch weniger auf örtliche Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen.

TR: Zum Stichwort Netz. Da hat ja vor kurzem ein großer Energieversorger, die E.on, laut darüber nachgedacht, das eigene Hochspannungsnetz zu verkaufen. Machen sich die Energieversorger jetzt, wo man viel in das Netz investieren muss, salopp gesagt, vom Acker?

Feist: Die machen sich nicht vom Acker. Über die Details bei E.on kann ich nichts sagen. Das müssten die Kollegen selber machen. Aber wir können generell feststellen, dass durch die Kostenregulierung bei den Netzen die Renditen, die die Bundesnetzagentur dem Netzbetreiber lässt, bei jedem Netzbetreiber zu der Frage führt, wie viel Geld kann ich noch in die Netze investieren. Und wie interessant ist auch langfristig eine Investition in die Netze? Die Renditen, die die Bundesnetzagentur den Betreibern gibt, liegen deutlich unter den Renditen, die auf dem Kapitalmarkt für die Unternehmen eigentlich erforderlich sind. Und das ist auch eine Zeitfrage. Viele Unternehmen überprüfen da zur Zeit ihre Positionierung. Das ist aber eine schwierige Ausgangslage in einer Zeit, wo wir einen Ausbau der Netze brauchen.

TR: Das bedeutet, da gibt es Ihrer Auffassung nach eine Überregulierung?

Feist: Ich denke, es gibt eine Regulierung, die zu sehr auf schnelle und unrealistische Kostensenkung setzt und die die Erfordernisse der Netze nur sehr unzureichend berücksichtigt.

Zum Stichwort Kosten: Insbesondere die großen Energieversorger in Deutschland haben ja in letzter Zeit ein gewisses Image-Problem. Viele Verbraucher klagen darüber, dass die Energiekosten in letzter Zeit viel zu stark angestiegen sind. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Feist: Also, wie verstehen schon die Sorgen der Verbraucher über die gestiegenen Energiekosten. Wir bewegen uns bei Strom und Gas über weite Strecken in internationalen Beschaffungsmärkten. Durch die Nachfrage im Fernen Osten, in China und Indien ist die weltweite Nachfrage nach Energie massiv gestiegen. Und das wirkt sich natürlich auch in Deutschland aus. Da sitzen wir in Deutschland nicht auf einer Insel. Und das wirkt sich natürlich in einer Zeit aus, wo viele andere Kosten auch steigen. Lebensmittelpreise steigen, Sozialabgaben steigen, Nebenkosten steigen. Und der Verbraucher sieht sich in einer Zeit, in der die Realeinkommen nicht gestiegen sind, einer Lawine von steigenden Kosten ausgesetzt. Dazu tragen wir sicherlich auch einen Teil bei, gezwungenermaßen, weil wir die Weltmärkte in ihrer Preisentwicklung nicht kontrollieren können.

TR: Gerade in der Energiewirtschaft wird aber von den Verbrauchern oft über mangelnde Transparenz geklagt. Der Verbraucher hat das Gefühl, einigen wenigen Anbietern hilflos ausgesetzt zu sein und nichts machen zu können.

Feist: Ich glaube, das Gefühl teilen wir über weite Strecken. Keiner von uns kann den Ölpreis kontrollieren. Der Ölpreis ist aber sehr transparent, weil der an vielen Börsen der Welt abgelesen werden kann. Aber das löst natürlich nicht das Problem. Wenn die Preise steigen, ist das letztendlich eine Frage des Vertrauens. Ich glaube, dass unsere Branche in der Kommunikation nach außen die Interessenlage der Verbraucher nicht richtig eingeschätzt hat. Wir haben am Anfang nicht richtig informiert. Wir sind deutlich offener geworden und wir versuchen immer mehr die globalen Zusammenhänge der Energiemärkte verständlich zu machen und zu zeigen, wie gering der Anteil ist, den wir als Unternehmen unmittelbar beeinflussen können und wie hoch der Anteil ist, der entweder durch staatliche Belastungen oder durch die weltweiten Energiemärkte festgelegt wird.

TR: Eine technische Möglichkeit der Verbrauchssenkung, über die jetzt viel gesprochen wird, wäre beispielsweise das Smart Metering – also das unmittelbare Anzeigen des aktuellen Verbrauches und der aktuellen Strompreise. Sind Sie denn als Energieversorger eigentlich daran interessiert, solch eine Technologie zu fördern? Sie würden damit ja weniger Energie verkaufen?

Feist: Eindeutiges Ja. Wir als Unternehmen können unsere Geschäfte nur fortführen in einem gesunden Markt mit gesunden Verbrauchern, die uns vertrauen. Und wir können sie nur fortführen in einer modernen Gesellschaft, die sich den Herausforderungen auch immer wieder stellt. Insofern wandeln sich unsere Unternehmen im Verband auch immer mehr in Richtung Energieeffizienz-Dienstleister. Und die Unterstützung der Verbraucher dabei ist ein Geschäftsfeld, das die Branche deutlich ausweitet, beispielsweise im contracting, wo wir interessante Angebote machen. Ich glaube, dass Smart Metering und Energieeffizienz auch geeignet sind, dem Preisanstieg entgegen zu wirken. Wir müssen weg kommen von der Diskussion um Cent pro Kilowattstunde hin zu der Frage, was kostet die Energie für einen Haushalt oder einen Industriebetrieb. Den Verbrauch zu reduzieren gibt uns ein Steuerungsinstrument, das auch gut ist für den Standort Deutschland. Wenn wir energieeffizient sind, sind wir auch wettbewerbsfähig. (wst [1])


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