Die Debatte um Glyphosat vernebelt das grundsätzliche Problem

Am Freitag wurde über eine Neuzulassung des Totalherbizids Glyphosat abgestimmt, doch es gibt noch immer kein endgültiges Ergebnis.

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(Bild: Valentin Valkov/Shutterstock.com)

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Das Entscheidungsgerangel um Glyphosat geht in die finale Runde, zum gefühlten hundertsten Mal. Denn ob das Pflanzengift für die EU eine Neuzulassung bekommt und bis 2033 weiterhin auf den Äckern versprüht werden darf, ist noch immer unklar. Am Freitag stimmten die EU-Länder zwar ab, doch es gab keine "qualifizierte Mehrheit". 18 Länder waren für eine Zulassung, drei dagegen, namentlich Österreich, Kroatien und Luxemburg. Frankreich, Deutschland und die Niederlande wiederum enthielten sich. Damit hatten die Befürworter zwar eine Stimmenmehrheit, sie vertraten aber nur gut 55 Prozent der EU-Bevölkerung statt der für eine Zulassung nötigen 65 Prozent.

Dass sich die deutsche Regierungskoalition mal wieder uneins war und sich deshalb enthalten hat, trotz des im Koalitionsvertrag festgehaltenen Ziels, Glyphosat ab 2024 zu verbieten, ist so wenig überraschend wie unverständlich. Ein Verbot des Wirkstoffs wäre ein Zeichen, dass unsere politischen Vertreter die Weltkrisen Artensterben und Vergiftung der Umwelt ernst nehmen.

Es gilt als belegt, dass Glyphosat die Artenvielfalt schrumpfen lässt, Bienen dröselig macht und so das Bestäuben erschwert. Der Wirkstoff steht laut WHO außerdem im Verdacht, Krebs zu erzeugen. US-Gerichte haben bereits entsprechend entschieden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hingegen sieht lediglich ein paar Datenlücken, aber keine Gesundheitsgefahr für den Menschen, vorausgesetzt, das Mittel werde ordnungsgemäß angewendet. Allerdings waren laut ZEIT online unter den dazu gesichteten 2400 Studien nicht einmal ein Drittel, nämlich nur 700 unabhängige wissenschaftliche Publikationen. Die Quellen der meisten Publikationen sind unklar.

Glyphosat ist in der Landwirtschaft das wohl am besten untersuchte und mit Abstand beliebteste Totalherbizid, das unter anderem die Äcker vor der nächsten Aussaat von jeglichem Bewuchs befreit. Entwickelt wurde es vom Monsanto-Konzern, heute Bayer. Als Argument für den Pflanzenvernichter wird häufig angeführt, dass im Verbotsfall andere Herbizide und Herbizidmischungen auf die Äcker gesprüht würden, die womöglich noch giftiger sind.

Ein Kommentar von Andrea Hoferichter

Andrea Hoferichter ist Redakteurin bei MIT Technology Review. Sie ist Chemikerin und schreibt Artikel aus dem Bereich Umwelt, Medizin und Biotechnologie.

Und das ist vermutlich richtig. Allerdings ist auch ein kleineres Übel immer noch ein Übel und das Argument zeigt, worum es eigentlich geht: Es sind schlicht zu viele Pestizide im Umlauf. Forschende fanden schon zig verschiedene Varianten, über deren Wirkungen und Wechselwirkungen nur wenig bekannt ist, in Böden und Gewässern in Ackernähe und selbst in Naturschutzgebieten. Welchen Anteil welcher dieser Wirkstoffe am Artenschwund hat – in den letzten knapp 30 Jahren ist allein die Insektenvielfalt um 70 Prozent geschrumpft –, dürfte kaum ermittelbar sein. Die Debatte um Glyphosat vernebelt das grundsätzliche Problem.

Schon 2017, als die Zulassung des Totalherbizids nach ähnlich viel Wirbel um fünf Jahre verlängert wurde – der damalige CSU-Agrarminister Christian Schmidt stimmte überraschend und in Eigenregie dafür – hätte der Umbau der Landwirtschaft, hin zu umweltfreundlicheren Anbaumethoden mit viel mehr Tempo angegangen werden müssen. Jetzt ist es umso dringlicher: Landwirtinnen und Landwirte, die umsteigen wollen, sollten noch besser gefördert werden, mit klaren Vorgaben und finanzieller Unterstützung. Schließlich sind am Ende keine Pestizide, sondern gesunde Böden, Wiesen und Gewässer, Mikroben, Käfer und Insekten die Grundlage unserer Ernährung.

Die von der EU geplante Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 und der in Deutschland anvisierte Flächenanteil von 30 Prozent für die Biolandwirtschaft sind richtige Ziele, aber – nett formuliert – ambitioniert. Der Anteil Ökolandbau liegt zurzeit bei zehn Prozent.

Die Debatte um Glyphosat zeigt einmal mehr, dass die Dringlichkeit für einen Umbau der Landwirtschaft bei den Entscheidungsträgern offenbar nicht angekommen ist. Deren Meinungsvielfalt könnte aber am Ende doch zum richtigen Ergebnis führen. Es gilt als wahrscheinlich, dass die EU den Ländern im November noch einen veränderten Zulassungsvorschlag zur Entscheidung vorlegen wird. Am 15. Dezember endet die aktuelle Zulassung. Sollte es bis zum 14. wieder keine qualifizierte Mehrheit geben, wäre das Aus für das Pflanzengift erst einmal besiegelt.

(anh)