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Klartext: Die Ladestation der Zukunft

Clemens Gleich

Ein Auto laden dauert länger als ein Auto tanken. Wie sollte ein optimaler Ladepark aussehen? Oder reicht es nicht doch, wenn man im Auto Smartphone daddelt?

Wie sähe eine optimale Ladestation aus? Das überlegten sich in den vergangenen Jahren viele. Während meiner Taycan-Tour [1] fuhr ich einen Abstecher zum Ladepark "Seed & Greet" bei Hilden, dessen Idee mir sehr gut gefiel. Bei meiner persönlichen Überlegung von vor einigen Jahren dachte ich nämlich an Konferenzräume, Lounges, Bistros, vielleicht sogar eine kleine Schlafecke nicht nur für Spediteure. Doch diesen Text hier tippe ich im hinteren Teppichwohnzimmer eines Mercedes EQV. Elektro-Vielfahrer ahnen damit bereits, worauf dieser Text hinausläuft.

Doch zuerst zum Ladepark "Seed & Greet" [2]: ein wunderbares Projekt! Eine große Anzahl überdachter Ladeplätze laden Autos innerhalb eines Geländes, das die Eigner schrittweise verschönern. Auf den Dächern liegen flächendeckend Photovoltaik-Platten [3]. Zwischen Teslas Superchargern und den allgemeinen Fastned-Stationen steht eine Bäckerei, die auch Pizza und Salat anbietet. Doch was den Ort für BEV-Besitzer am interessantesten macht, sind die anderen Menschen. Hier treffen sich Elektropioniere, die schon Elektroauto fuhren, als wir noch über den Mitsubishi i-MieV fluchten. Es ist die Außenstelle des bundesweit bekannt gewordenen Bäckereitreffs Schüren. Beide Orte kann ich Elektro-Interessierten ans Herz legen als Stopps. Es gibt eine Elektro-Szene. Dort trifft sie sich.

Als ich am Seed & Greet ankam, war gerade kaum Betrieb. Ich hatte mich mit einem BMW-i3 [4]-Fahrer verabredet, mit dem ich etwas quakte, während der Taycan lud. Es war daher ein eher kurzes Gespräch. Ein anderer Gast gesellte sich kurz dazu, mit Peugeot iOn glaube ich. Ich trank grünen Tee und aß dazu Anisplätzchen. Schöne kleine Pause. Doch um zu klären, was an einer Ladestation wichtig ist, fehlt der Kontrast.

Seed & Greet (0 Bilder) [5]

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Als den größten Kontrast zu diesem Treff auf der Taycan-Tour empfand ich eine Shell-Tankstelle mit Alpitronic-Schnelllader ("Shell Recharge" in Kooperation mit der EnBW). Die Gastro-Angebote des umliegenden Gewerbegebiets hatten alle dicht. Es gab die üblichen Kleinigkeiten der Tankstelle. Es gab kein Dach. Die Ladestation stand in einer hässlichen Ecke, in der es wahrscheinlich beim Bau am einfachsten Platz und Starkstrom gab. Dafür gab es WLAN.

Also tat ich das, was immer mehr Elektrofahrer tun: Ich saß im Auto, las Emails, postete Quatsch auf Facebook und überprüfte meine Routenplanung an die Küste. Es gab keine Elektroauto-Runde, die sich zum Strom reden traf. Es gab nur einen Ioniq-Fahrer, der schmerzlich feststellen musste, dass die Ladestation trotz zweier installierter Ladepunkte nur ein Auto mit Strom versorgte. Vielleicht war auch der Taycan schuld mit seiner Leistungsgier. Und wissen Sie was? Das hat mir als Pausenkonstellation vollkommen gereicht.

Shell Recharge direkt an der Tankstelle. Hässliches Gewerbegebiet, aber schöne Kabine. Hauptsache, es lädt schnell. Mit WLAN!

(Bild: Clemens Gleich)

Oder noch anders: Ladeleistung ist Trumpf. Ich fahre nicht auf der Autobahn, um Peugeot-Fahrer kennenzulernen. Ich fahre, um anzukommen. Wenn Ladestationenbetreiber also aus Geldgründen wählen müssen, sollten sie lieber in gekühlte Kabel und einen fetten Mittelspannungsnetzanschluss investieren statt in Dächer, Karpfenteiche oder Bäckereien, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Je neuer und besser das E-Auto, umso schneller lädt es tendenziell, und umso mehr lädt die Kabinengestaltung dazu ein, einfach sitzen zu bleiben. Zweitens: So etwas wie den Ladepark Hilden zu bauen, erfordert Herz, Geschmack und das Geschick des sozialen Architekten – Dinge, die einem erfolgreichen Tankstellenbetreiber an der Autobahn bisher nicht besonders nützlich waren.

Um die Argumentation vollständig nachvollziehen zu können, müssen wir uns die nächste Generation von E-Autos in der Vorstellung verdeutlichen. Das Auto, das den Weg in die unmittelbare Zukunft des E-Autos weist, heißt "Hyundai Ioniq 5 [7]". Wenn Sie nicht wissen, was ich damit meine, haben Sie aller Wahrscheinlichkeit nach schlicht noch nicht genug über diese Maschine gelesen. Der Ioniq 5 bietet Porsche-Taycan-Technik zu Preisen auf Niveau eines BMW-3er-Touring (vor Förderung). Hyundai nutzt den flachen Kabinenboden für verschiebbare Sitze und eine verschiebbare Mittelkonsole. Die vorderen Sitze können sogar in eine fußgestützte Liegeposition à la Mercedes S-Klasse-Hintenfahrer gebracht werden.

Brauche ich da ein Dach? Nicht unbedingt, ich habe ja eines dabei. Brauche ich eine Lounge? Nope, Hyundai liefert ja freundlicherweise eine mit. Brauche ich fettigen Tankenfraß? Nicht, wenn ich mir eine Banane eingepackt habe. Vielleicht freue ich mich über WLAN, wenn mein Datenvolumen begrenzt oder der Empfang mobil mal wieder schlecht ist. Ganz sicher jedoch wird mir am wichtigsten sein, wie lange der Ladevorgang dauert.

Von daher glaube ich nicht mehr, dass sich an den heutigen Raststätten qualitativ besonders viel ändern muss in den nächsten Jahren. Die klassische Karawanserei an der Autobahn hat bereits alles, was ich nicht mitbringe in meinem Hyundai: Toilette und Kaffeemaschine (und selbst die könnte ich am bidirektionalen Ladegerät betreiben). Das Seed & Greet kann daher nicht als allgemeines Vorbild für Autobahnrasten dienen, obwohl es hohe Ladeleistungen und gute Gastro bietet. Das soll es auch nicht.

Es hat seinen ganz eigenen Charme; es funktioniert nicht nur als Transit-Treffpunkt, sondern obendrein als eigenes Ziel. Mir sind keine komplett vergleichbaren Projekte in Deutschland bekannt. Roland Schüren und sein Team haben also keine direkte Konkurrenz und viele Kunden und ich wünschen ihrer speziellen Art, Dinge zu verbessern, weiterhin den größten Erfolg. Wenn so etwas bei mir in der Gegend stünde, würde ich dort meinen Testwagenverbrauch messen. Doch auf der Durchreise? Da nehme ich die Station, die am besten zu meiner Route passt. Kabine und Smartphonebildschirm sehen an beiden Orten gleich schön aus.

...

Andererseits: Wenn alle Ladeparks wären wie das Seed & Greet, das wäre schon geil ...

(cgl [8])


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[1] https://www.heise.de/tests/Die-elektrische-Rennreiselimousine-Porsche-Taycan-im-Langstreckentest-4964225.html
[2] https://seedandgreet.de/
[3] https://www.heise.de/hintergrund/Erneuerbare-Energien-Teil-2-Die-Photovoltaik-das-Universum-und-der-ganze-Rest-4686374.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-im-BMW-i3S-3969018.html
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_5070972.html?back=5070877;back=5070877
[6] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_5070972.html?back=5070877;back=5070877
[7] https://www.heise.de/hintergrund/Hochspannend-Hyundai-stellt-Elektroauto-Ioniq-5-mit-800-Volt-Batterie-vor-5056324.html
[8] mailto:cgl@ct.de