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Kommentar zum Abschied des BMW i3: Jeder hat mal groß angefangen

Florian Pillau
BMW i3

(Bild: BMW)

Der technisch brillante BMW i3 bewies an der Schwelle zur Massen-E-Mobilität, was nur wenige nicht wussten: Der große Aufriss um ein kleines Auto lohnt nicht.

Der i3 war effizient, er war auch nachhaltiger als alles, was BMW bis dahin gebaut hat. Andererseits bestätigte er auf den Punkt die Befürchtungen der Konservativen im Management, dass man damit den Aufwand viel zu weit treiben würde. BMW machte alles anders und verdiente dadurch mit diesem Auto über die gesamte Produktionszeit nicht wirklich Geld. Der Technologieträger und die investierten Milliarden erteilten immerhin ein paar Lektionen. Die wohl ironischste Konsequenz: Sein Nachfolger Mini Electric ist alles, was der i3 vermeiden wollte. Er ist ein konventionelles Auto, umgebaut auf Elektroantrieb.

Langsam, aber immerhin stetig lief der Verkauf nach der Vorstellung 2013 hoch, viele i3 landeten zur Promotion im Carsharing und selbst größere Batterien (2016 und 2018) änderten zunächst wenig. Erst mit der sogenannten Innovationsprämie brachte er eine unerwartet prächtige Spätblüte hervor: 2020 strich BMW die Sommerpause [1], um der Nachfrage Herr werden zu können. Trotz des Erfolgs lief Ende Juni 2022 der letzte BMW i3 vom Band, einer von rund 250.000 Stück in 74 Ländern. Seine Zeit war abgelaufen, BMW hat sich längst für eine andere technische Basis entschieden, braucht dafür die Werkskapazität in Leipzig. Gerade, als sie das erste Mal profitabel wird, kann sich BMW die produktionstechnische Sonderlocke i3 nicht mehr leisten – die nächste Ironie der Geschichte.

Das letztendliche Scheitern des Konzepts, wenn man es denn so nennen mag, war gewissermaßen eine Self-Fulfilling Prophecy: Megacity-Konzepte sind bis heute nicht ohne Grund Visionen geblieben – dazu leben noch nicht genügend Menschen in solchen Ballungsräumen. "Urban" trifft es besser, doch war es für die Zielgruppe zu spitz, überforderte die Kunden, denen man jahrzehntelang immer breitere Reifen, immer schmalere Schlitzfenster und immer dynamischer auf der Straße stehende Formen geradezu anerzogen hatte, mit allzuviel Vernunft. Oder – noch ärger – allzuwenig Status.

BMW i3 (0 Bilder) [2]

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Die Konkurrenz hätte ihnen das aus Ingolstadt rüberrufen können. Audi hatte einen vergleichbaren Versuch ja bereits um die Jahrtausendwende mit einem nachhaltig angelegten "Drei-Liter-Auto" durchexerziert: Mit dem A2 verkaufte Audi erstmals ein kompaktes Effizienz-Auto mit gehobener Ausstattung und leichter Karosserie. Ihre Kastenbrotform und der Hundeblick spaltete die Autobegeisterten in jene, die sich damit nicht auf die Straße getraut hätten (fast alle) und solche, die heute noch trauern, dass es so ein Auto nicht mehr gibt (wenige Enthusiasten). Technisch brillant – wirtschaftlich gescheitert. Bitter für Audi: Anerkennung fand der A2 erst, als die Produktion beendet war.

Von "Drei-Liter-Autos" spricht längst kein Mensch mehr. Mit dem i3 machte BMW im Prinzip das Gleiche wie Audi, nur eben mit der 2013 nach 100 Jahren nicht mehr zu verdrängenden Erkenntnis, dass wirkliche Effizienz nur mit Elektromotoren zu haben ist. Erfolge bei Tesla Motors und der wachsende Druck bei den Flottenverbrauchsvorgaben trugen dazu bei. Kein Wunder, dass die Zeit den i3 zu seinem Erscheinen "politisches Auto" nannte. Das war er vor allem im eigenen Konzern.

Das Vertrauen in die Batteriekapazität war damals mangels Gewöhnung noch weniger ausgeprägt, Ladesäulen rar. Häufig grassierte Entfernungspanik statt Reichweitenangst. Mit 160 Kilometern im komfortablen NEFZ bot der erste i3 mit 22 kWh immerhin in etwa so viel Reichweite wie das um 1910 meistverkaufte Elektroauto Detroit Electric. Gegen die Sorge, stehenzubleiben, reichte BMW gegen Aufgeld einen 650er-Parallel-Twin aus seinem Motorradprogramm, der unterwegs die Batterie nachladen konnte.

Auch wenn das Ding eine Zumutung war: Am Erfolg dieses Range Extenders konnte man ablesen, dass die i3-Käufer entweder ganz oder gar nicht elektrisch fahren wollen. 2018 flog der "REX" zugunsten einer 42,2-kWh-Batterie für 307 km Reichweite laut WLTP aus dem Angebot. Zugegeben, Range Extender sind ein extremes Konzept, aber auch einige Hybridautos verdanken wir vor allem einer geschickt lobbyierenden Autoindustrie, die dank staatlicher Förderung gern noch ein paar Jahre länger als nötig Verbrenner verkauft.

Trotz aller Bedenken hatte man bei BMW 2008 das "project i" ins Leben gerufen, um herauszufinden, ob BMW auch nachhaltig, urban und elektrisch kann und – wenn ja – wie. Herbert Diess [4] und Christian Senger durften dabei ihre Vorstellungen, fast möchte man sagen: Visionen einer modernen E-Mobilität durchziehen – frei von Denkverboten und mit einem Budget, das BMW mal eben komplett aus der Formel 1 abgezogen hatte.

2013 bot die Submarke BMW i dann erstmals die 2011 vorgestellten Studien Megacity Vehicle (MCV) und als BMW Vision Efficient Dynamics als BMW i3 und BMW i8 an. Der i8 war ein Hybridmodell – wenn auch ein recht gewagtes. Ganze Kohlefaserfabriken und CO₂-neutrale Wasserkraftwerke musste BMW kaufen und neu aufbauen, um die Hauptkarosseriestruktur, das sogenannte "Life-Modul" und viele der außergewöhnlich aufgebauten Einzelteile fertigen zu können. SGL Carbon hieß die Kohlefasersparte, bei der sich BMW großzügig einkaufte. Ziel war dabei immer, den hohen Energieeinsatz für die Produktion (Aluminium, CFK) regenerativ zu erzeugen.

BMW wollte ersichtlich zeigen, wie viel Potenzial man heben kann, indem man das Auto als komplett eigenständiges Elektrofahrzeug plant und konstruiert. Die meisten Großserien-Elektroautos dieser Zeit waren von fossil auf elektrisch umgerüstet, man denke an die VW-Modelle e-Up und e-Golf, mit allen damit einhergehenden Kompromissen.

Der i3 bot auf vier Metern Platz für vier Erwachsene, exzellenten Einstiegskomfort dank Portaltüren und hoher Sitzposition und eine gute Übersicht, letztere beide explizit fürs urbane Geläuf. Der Rest wurde dann mit noch exotischeren Materialien, exklusiverer Innenarchitektur und wiederverwerteten und nachwachsenden Rohstoffen (Schilf!) dennoch nur eine ziemlich konsequente Wiederholung dessen, was Audi bereits vorgemacht hatte.

BMW i3 Technik (15 Bilder) [5]

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Alurahmen, Kohlefaser-Karosserie - BMW hat in Sachen teurer Produktion nichts ausgelassen.

Markentypisch hoch war die Dynamik. Kollege Christoph M. Schwarzer attestierte dem Auto 2018 eine "harmonische Fahrwerksabstimmung", nannten den getesteten BMW i3s gar "Agilitätswunder mit ganzheitlichem Ansatz". Als E-Auto konstruiert hat der i3 vernünftigerweise den Antrieb hinten, mithin eine Lenkung frei von Einfluss oder Überdämpfung. Man fühlt es jederzeit beim Fahren.

Das One-Box-Design, das er mit dem fast gleichzeitig herausgebrachten Renault Twingo III alias smart ED oder dem bereits 1999 erschienenen Audi A2 teilt, ist natürlich kein Zufall. Bei allen dreien ging es um die bestmögliche Vereinigung von Raumnutzung, Übersichtlichkeit und Aerodynamik. Dem i3 garantiert sein Erscheinungsbild einen hohen Wiedererkennungswert, ein Schicksal, das er mit dem Hocheffizienzauto Audi A2 teilt. Aerodynamisch ist die Form offenbar gelungen, denn 15,3 kWh auf 100 Kilometer nach WLTP sind auch nach heutigen Maßstäben wenig. Leider aber nicht wenig genug.

Das Publikum tut sich schwer mit solchen Formaten, auch die hohen, schmalen Räder sind zwar grundvernünftig, nicht aber Massengeschmack. Den treffen BMW iX1 [7] und Mini Electric heute deutlich besser. Als Nachfolger des i3 muss man den Mini Electric [8] betrachten, ausgerechnet wieder ein nachträglich elektrifiziertes konventionelles Auto. Er hat nicht nur den Antrieb des i3 geerbt, mit 1365 kg bleibt er trotz Stahlkarosse verblüffend leicht. Der größte Kompromiss fällt im Alltag auf – das Modell ist ein völlig unzeitgemäßer, unpraktischer, enger Zweitürer – wenn auch einer, der beim Fahren fast mehr Spaß bereitet als der i3. Ironischerweise trotz Frontantrieb.

Ein ausgesprochenes Stadtauto ist der Mini trotz seines Namens nicht mehr, aber immerhin bleibt es kurz. Er kommt nicht an die Effizienz des i3 heran – erst recht nicht an die einst angedachte Materialnachhaltigkeit des Serien-Prototypen. BMW kann, nein, muss das egal sein, solange die Marge stimmt. Dem Kunden ist es ohnehin nicht so wichtig.

Freilich bleibt der Mini Electric ein Übergangsmodell, von BMW kommt demnächst eine große Palette von 25 Elektroauto-Modellen mit verlässlicher Profitabilität. Der langfristig kostendeckende Automobilbau bleibt eben immer auch die Kunst des Möglichen [9]. Leuchtturmkonzepte wie der BMW i3, die es tatsächlich einmal in die Produktion schaffen, bleiben faszinierende Ausnahmen.

Ich traue mich wetten, dass er dank seines Leichtbaus nicht nur Effizienzmaßstäbe gesetzt hat: Für seine Besitzer dürfte er auch dank seines Materialmixes langfristig nachhaltiger sein als jedes 08/15-Elektroauto und unter diesem Geschichtspunkt noch lange aktuell bleiben. Dazu braucht man gar kein Enthusiast zu ein. Wegrosten wie die üblichen kostenoptimierten Blechdosen kann er schon mal nicht und wegen der Neuartigkeit vieler Details dürfte fast alles etwas haltbarer dimensioniert sein als in Autos mit herkömmlicher Technik – war der i3 doch viel eher Großserienprototyp als Massenauto. Erste Langzeiterfahrungen deuten jedenfalls an: Wer einen i3 besitzt, sollte ihn gut bewahren.

(fpi [10])


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[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_7191552.html?back=7191026;back=7191026
[4] https://www.heise.de/news/Chefposten-bei-Volkswagen-Herbert-Diess-geht-Porsche-Chef-uebernimmt-7187944.html
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_7191532.html?back=7191026
[6] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_7191532.html?back=7191026
[7] https://www.heise.de/news/Vorstellung-BMW-X1-Nummer-drei-kommt-auch-als-Elektroauto-7126541.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Vorstellung-Mini-Cooper-SE-4465949.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Schwer-ist-leicht-was-und-Leichtbau-ganz-schoen-schwer-2504677.html
[10] mailto:fpi@heise.de