Missing Link: Den Kapitalismus reparieren – die große Illusion der Maker

Die Maker-Bewegung - "postkapitalistische Praxis" oder nur Bastelecke? Der letzte Teil der Reihe über technologische Heilsversprechen und den Kapitalismus.

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Missing Link: Den Kapitalismus reparieren – die große Illusion der Maker

(Bild: Miriam Doerr, Martin Frommherz/Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Timo Daum
Inhaltsverzeichnis

Der Ökonom Joseph Schumpeter bemerkte einmal, die historische Leistung des industriellen Kapitalismus habe nicht darin bestanden, mehr Seidenstrümpfe für Königinnen zu liefern, sondern sie für das Heer der Arbeiterinnen zugänglich gemacht zu haben. Die massenhafte Verfügbarkeit erschwinglicher Güter hat aber auch ihre Schattenseiten: Von verschweißten Handy-Gehäusen über unterschiedlichen Stecker-Typen bis hin zur allgegenwärtigen dynamischen Obsoleszenz – lauter Tricksereien, die eben jenen massenhaften Konsum am Laufen halten sollten, den der Ökonom einst als Errungenschaft feierte.

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Spätestens seit den 1970er-Jahren regte sich Widerstand gegen die Konsum- und Wegwerfkultur, die mit der Massenproduktion einherging; eine Bewegung entstand, die unter dem Banner der drei R (reuse, reduce, recycle) Wiederverwendung, Verzicht und Recycling anmahnte. In den vergangenen Jahren ist noch ein weiteres R hinzugekommen: R für Reparieren (repair). Eine zunehmend breiter werdende Bewegung stemmt sich gegen die künstliche Verkürzung der Lebensdauer von Geräten und Nutzungsbeschränkungen bei Hardware und Software; sie fordert Einsicht in Baupläne, längere Lebensdauer von Geräten, die Möglichkeit sie zu reparieren und die Verwendung von standardisierten Teilen.

Makerspaces, FabLabs (Herstellungs-Labore) und RepairCafés sind entstanden und versuchen, dies in die Praxis umzusetzen. Die Bewegung versteht sich als Teil der Do-It-Yourself (DIY)-Kultur, setzt auf open Source Soft- und Hardware und überschneidet sich auch mit der Hacker-Bewegung. Mittlerweile gibt es hunderte Makerspaces, Maker Faires, Fab Labs und Repaircafés weltweit, insbesondere in Deutschland und den USA.

Keine Praxis ohne Theorie, so auch in diesem Fall: Machen, Fabrizieren, Reparieren wird zum Politikum. So heißt es in einem Buch über die Maker-Bewegung mit dem Titel "Die Welt reparieren": "Ein neuer Stil des Politischen ist in der Welt. Er besteht kurz und knapp gesagt darin, die Welt gemeinsam zu reparieren, also praktisch zu transformieren, zu wandeln, um sie zu einer Ökologie umzugestalten, in der man gerne lebt." Bekanntlich hatte Karl Marx als junger Mann verkündet, die Philosophen hätten die Welt nur verschieden interpretiert, die österreichische Kulturtheoretikerin Elke Krasny ergänzt: "Es kommt darauf an, die Welt zu reparieren."

Auch das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und die Heinrich-Böll-Stiftung haben diesen "neuen Stil des Politischen" in der Bastelecke entdeckt und stellen fest: "Immer mehr Kreativköpfe, Bastler und Querdenker experimentieren mit dezentralen Produktionstechnologien, vom traditionellen Handwerk bis zu innovativem 3D-Druck. In einer neuen Kultur des gemeinsamen Produzierens zwischen Hobby und kommerzieller Verwertung arbeiten sie in Makerspaces, FabLabs, Hackerspaces oder RepairCafés – digital vernetzt und weitgehend ideologiefrei." Und gehen noch einen Schritt weiter und sehen gar eine leibhaftige Revolution im Anmarsch: "Revolutionieren Makerspaces, FabLabs und RepairCafés die Güterproduktion?"

So viel ideologiefreie Revolution und postkapitalistische Praxis gibt Anlass, der Sache auf den Grund zu gehen.

Im Sommer 1998 konnten sich Studierende am Massachussets Institute of Technology (MIT) erstmals für ein Seminar anmelden, das den Titel trug: "How to make (almost) everyting" (Wie man (fast) alles selber machen kann). Ziel war es mit einfachen Mitteln, zu denen auch 3D-Drucker zählten, in kollaborativer Atmosphäre Geräte zu verstehen, zu bauen und zu reparieren. Der von Neil Gershenfeld ausgerichtete Kurs gilt als Geburtsstunde der Fab-Labs und der Maker-Bewegung. Es ging ihm dabei einerseits darum, dem Ausgeliefertsein an undurchdringliche black boxes zu entgehen, andererseits das Wissen um das Funktionieren von Geräten zu erlangen, zu teilen und auch zu verbreiten.

Eine implizite und explizite Kritik der Konsumgesellschaft und der Ohnmacht der Konsumenten ging damit einher, und eine gehörige Portion Utopie war auch dabei: "2020 wird es noch große Industriemaschinen geben, aber wir haben dann den Übergang zu digitalen Materialien schon hinter uns. Damit haben wir kein Müllproblem mehr: Technische Produkte lassen sich bis in die grundlegenden Bestandteile zerlegen und auf diese Weise recyclen." So äußerte sich Gershenfeld im Jahr 2010 auf die Frage, wie die Produktion in einigen Jahren aussehen werde. Gershenfelds zum Ausdruck kommender grenzenloser Optimismus (gepaart mit unerschütterlichem Selbstmarketing) erinnert doch stark ans Silicon Valley – und das ist auch kein Zufall: neben Stanford ist das MIT ja die Kaderschmiede des Silicon Valley.

Gershenfelds Ideen haben eine lange Tradition im gegenkulturell computerbegeisterten Kalifornien. Die Makerbewegung insgesamt kann als Renaissance der Vorstellungen aus der kalifornischen Gegenkultur der 60er-Jahren gesehen werden. Auch diese war ja durch eine Huldigung von DIY, der tiefen Skepsis gegenüber der Obrigkeit, dem Staat und den Konzernen geprägt, Konsumkritik und Nachhaltigkeits-Ideen finden sich bereits hier: In den 1970er rund um Steward Brands Whole Earth Catalog wurde das Selbermachen, einfacher, robuste Produkte und die Macht des aufgeklärten Konsumenten propagiert als politische Haltung: "Der Verbraucher hat mehr Macht zum Guten oder Schlechten als der Wähler", so Steward Brand. Den Titel des 1968 erschienenen Whole Earth Catalogs zierte die erste jemals entstandene Aufnahme unseres Planeten aus dem All – die Perspektive zeigte erstmalig unsere Erde als begrenzte und schützenswerte endliche Welt. Der Untertitel des Whole Earth Catalogues, der viele im Silicon Valley nachhaltig beeindruckte, so zum Beispiel Steve Jobs, lautete: Access to tools.

Steward Brands Assistent bei der Erstellung der letzten Ausgaben des (analogen) Katalogs, der vielfach schon als Vorwegnahme des World Wide Web auf Papier bezeichnet worden ist, war Kevin Kelly, der später Herausgeber und Chefredakteur des WIRED-Magazins wurde. Eben dieser Kelly war auch einer der ersten prominenten Unterstützer der Maker-Bewegung, in seinem 2013 erschienenen Buch "Cool Tools: A Catalog of Possibilities", das er als "Kompendium der größten Werkzeuge aller Zeiten, ein Katalog mit unendlichen Möglichkeiten" bewarb, schreibt er: "Eine dritte industrielle Revolution bewegt die Maker-Ära." Die Parallelen zu frühen kalifornischen Erfindern und Unternehmern rund um Steward Brand, Steve Jobs und anderen sind also nicht zufällig

Eine solche dezentrale Produktionsrevolution hat es tatsächlich schon einmal gegeben, und zwar auf der gegenüberliegenden Seite des Pazifiks. Vor über 70 Jahren rief in China der "weise Führer Chinas", Mao Zedong, das erste Maker-Movement der Weltgeschichte ins Leben.

China war 1949 unabhängig geworden und versuchte fieberhaft, Anschluss zu finden an die modernen Industrienationen. Revolutions- und Staatsführer Mao Zedong war jedoch überzeugt, dass das sowjetische Modell eines zentral geplanten Aufbaus einer Groß- und Schwerindustrie für China nicht anwendbar sei. Zudem war er enttäuscht über die gebildeten Schichten, die ihr Versprechen, ihr Wissen in den Dienst der Revolution zu stellen, seiner Ansicht nach nur unzureichend nachgekommen waren. Mao war stattdessen überzeugt, sich nur auf eine Sache verlassen zu können: Chinas Ressource Nummer eins, sein schier unerschöpfliches Reservoir an Arbeitskräften.

Die Folge war der "Große Sprung nach vorn" der Jahre 1958 bis 1960. Mao rief zur Errichtung vieler kleiner Hinterhof-Stahlöfen in jeder Gemeinde und in jedem Stadtviertel auf. Töpfe, Pfannen, alles, was nicht niet- und nagelfest war wurde eingeschmolzen. Die Zahlen schienen Mao zunächst recht zu geben: Gleich im ersten Jahr wurde die chinesische Stahlproduktion nahezu verdoppelt, an die 600.000 Hinterhof-Hochöfen waren entstanden, die zum Symbol der Bewegung wurden. Allerdings war der Stahl größtenteils von so schlechter Qualität, dass er unbrauchbar war. Gleichzeitig wurden ganze Wälder abgeholzt, um die Öfen, die oft von Muskelkraft belüftet wurden, zu heizen. Immense ökologische Schäden durch das Experiment waren die Folge. Millionen Bauern und Städter bedienten die Graswurzel-Stahlindustrie und fehlten überall. Nach zahlreichen Versorgungsengpässen und Hungersnöten wurde das Experiment schließlich abgebrochen.

Maos Anti-Intellektualismus, seine Ablehnung der Arbeitsteilung, das Misstrauen gegenüber (möglicherweise oder tatsächlich konterrevolutionären) Experten und Eliten und sein Gottvertrauen in die Weisheit des Volkes, führten zu einer der größten Katastrophen der modernen Geschichte Chinas. Der Führer des chinesischen Maker-Heeres befürwortete anpackendes learning-on- the-job, förderte Egalitarismus bei der Arbeit, und schätzte Akademische Bildung und Fachwissen gering.

Maos Ideen leben heute ein halbes Jahrhundert später in der Makerbewegung wieder auf: Wesentliche Zutaten von Maos Große-Sprung-Ideologie-Mix finden sich hier wieder (allerdings natürlich mit bei weitem harmloseren Konsequenzen). Eine Skepsis gegenüber Expertentum und Arbeitsteilung ist ihnen gemeinsam, demgegenüber wird die gleichberechtigte Kollaboration von Peers (Gleichen) proklamiert. Das bereits erwähnte Buch zur Maker-Bewegung beschreibt die postkapitalistische Praxis folgendermaßen: "Man bildet Gruppen und umkreist ein Problem. Damit verschiebt sich der Zugang zur Technik grundlegend. Technik als unüberwindliche Macht, der man allein gegenübersteht, … verändert sich in eine Vielzahl von explodierenden Anfängen gemeinsam mit anderen." Anti-Intellektualismus und Hinterhof-Romantik sind die Folge.

Beklagt wird die im Kapitalismus verlorengegangene Gestaltungshoheit über technische, aber auch soziale und kulturelle Programmierungen – man könnte das auch Arbeitsteilung nennen. Kleinteilige Produktion, gemeinsames Lernen bei der Arbeit, werde propagiert – die Schwarmintelligenz soll es richten. Der großen Industrie, den Akademikern und Experten wird gezeigt, wie alternatives Wirtschaften geht, und die Maker werden zu Revolutionären, die der dezentralen Produktionsrevolution zum Durchbruch verhelfen sollen. Dezentralität, Handwerk, freies Wissen und innovative Technik "von unten" sind weitere Zutaten des Ideologie-Mixes der Maker.

So klug und richtig der Hinweis auf die Exzesse des verschwenderischen Kapitalismus auch sind, so beschränkt ist doch die Praxis des Reparierens – Machtverhältnisse geraten aus dem Blick. Droht doch eine gewisse Entpolitisierung, wenn alle nur noch Geräte reparieren, statt gesellschaftliche Debatten zu führen. Problematisch ist keineswegs das Reparieren und Basteln an sich, das Engagement und auch die DIY-Selbstermächtigungs-Aspekte. Problematisch wird es, wenn diese Kritik am Bestehenden, am Konsumkapitalismus und seiner Verschwendung zur "postkapitalistischen Praxis" umgedeutet wird.

Hier endet die kleine Reihe zum linken Soluzionismus, also den Vorstellungen und Hoffnungen von Nicht-Experten, aber nicht nur, bestimmte Technologien besäßen eine intrinsische Kraft, die Welt zum Besseren zu verändern. Damit sind diese Menschen gar nicht so weit weg von den kalifornischen Kapitalisten, die sich auch in der Tradition der Gegenkultur der 1960er Jahre wähnen, verorten und mit ihren Innovationen rund um den Computer nicht nur viel Geld verdienen, sondern auch die Welt zu einem besseren Ort machen wollen.

Enttäuschung ist jedoch programmiert: Egal ob es um den 3D-Drucker, die Blockchain, GitHub oder die Maker-Bewegung geht – von allein ändert sich nix. Entweder sie werden zu Nischenprodukten, von genau den großen Konzernen gekauft, adaptiert, geschluckt, verspeist, verdaut und wieder ausgeschieden, gegen deren Macht und Methoden sie zunächst angetreten waren. Tatsächlich fügen sich diese Nischen vortrefflich ein in eben diesen Kapitalismus, sie werden zu bunten Tupfer in einem riesigen Markt der Möglichkeiten und nicht zuletzt auch zur Ressource für Konzerne, aus deren freien Wissen sie sich bedienen können. Sobald sie versuchen, tatsächlich in Konkurrenz auf den Markt zu treten, drohen Selbstausbeutung und Amateur-Illusionen.

Gesellschaftliche Veränderungen können nun mal nicht außerhalb des Gesellschaftlichen erzielt werden, und der Kapitalismus hat sich bisher immer als flexibel genug erwiesen, um mit jeder dieser Technologien und Nischenbewegungen nicht nur gut leben zu können, sondern auch noch Kapital daraus zu schlagen. (mho)