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Was war. Was wird.

Träumen virtuelle Gutmenschen von realen Demos? Müssen Bundestrojaner die Nationalhymne spielen? Sind Raketenabwehrsysteme Datenübertragungsfehler? Auch Experten für den Killer-Freizeitspaß können das nicht beantworten können, ist sich Hal Faber sicher.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ist ein Leben ohne Computer möglich? fragte eine kleine, uns allen bekannte Website, die sich in der norddeutschen Tiefebene täglich mit den wichtigsten philosophischen Fragen beschäftigt. Ja, gibt es ein Leben ohne Computer? Kommt Apple zur CeBIT? Fragen eben, an denen ein Sokrates zerbrochen wäre. Nehmen wir nur diese Frage nach dem computerfreien Leben, bei der auch noch Bill Gates als Kronzeuge dafür herhalten muss, dass es als glückliches, erfülltes Leben geführt werden kann. Seine zehnjährige Tochter ist nämlich süchtig nach einem Spiel aus Papas alter Firma, Viva Piñata, weshalb der gestrenge Papa die Computernutzung auf 45 Minuten täglich beschränkt hat. 45 Minuten für die Pflege eines virtuellen Gartens sind wenig, da hat das Unkraut freie Bahn, wenn man nicht genügend Schokotaler, nicht Linden Dollars hat, die Helperlinge zu bezahlen. Der "Donut of Life" fordert halt seine Opfer, naschen oder vernascht werden, das ist die schwer pädagogische Frage. Verstörend ist allein, dass es keinen ordentlichen Sex gibt, sondern nur Minigames unter den geschlechtslosen Wesen. Piñatas, die sich fortpflanzen wollen, müssen Minigames absolvieren. Der Sieger bekommt ein Neugeborenes, kahl wie Britney, das aufgezogen werden muss.

*** Wie wird diese gekonnte Umgehung des Themas Nr. 1 wohl in der nächsten Panorama-Sendung über die schlimmen, bösen Computerspiele aussehen? Wenn in "Morden und Foltern als Freizeitspaß" allen Ernstes behauptet werden kann, dass Spieler in Grand Theft Auto mit Vergewaltigungen Punkte sammeln können, dürften die Minigames bald als Oralsex mit Ponys diffamiert werden. Schleierhaft bleibt auch, was ein "Experte" einer Firma macht, die fast täglich Server von fundamentalistischen Terroristen meldet, um ihre Filter- und Suchsoftware anzupreisen. Nach monatelanger Beobachtung der Call of Duty-Szene entdeckt er Hakenkreuze, die nicht zu dem Spiel gehören. Da passt es schon, wenn die Aussagen eines Heise-Kollegen weggeschnitten werden, weil der Beitrag "zu lang" war. Kurz, einseitig und gebührenfinanziert auf der Spielerszene rumtrampeln, das macht sich viel besser, selbst wenn danach die Zuschauer meckern.

*** Unterdessen trampelte die gesamte deutsche Printpresse in Second Life herum. Nimmt man die Masse an SL-Veröffenlichungen allein in dieser Woche, dann ist die Frage, ob es ein Leben ohne Computer gibt, definitiv entschieden: Leben gibt es wirklich nur im Computer, und dann nur in Second Life. Eingehaucht wird es vor allem von dem Superstar Anshe Chung, der Cicciolina des Web 2.0. Es regnet schonmal Pimmel in Anspielung an ihre Vergangenheit als virtueller Escort-Service, wenn sie interviewt wird. Wie rührend ist es da, dass sich die Goldrausch-Reporter freuen können, dass "die hessische Lehrerin" als Immobilienmaklerin Lebensbezirke für schwul-lesbische Avatare oder für die Fursuites vertickert, die schon einmal dafür sorgten, dass meine kleine Wochenschau nicht jugendfrei war. Und wie rührend, wenn sich der virtuelle Reporter mit flammenden Artikeln die Diskiminierung der Bepelzten bekämpft. Nun zieht die Politik ins zweite Leben und bringt ihre Konflikte mit. Die französische Rechte um Jean-Marie LePen hatte ein Parteibüro in Second Life eröffnet und damit eine Avatar-Demo sowie schwere Krawalle ausgelöst. Jetzt ist die Front National wieder weg. Der virtuelle Gutmensch kann sich zufrieden zurücklehnen und freuen, seine schöne neue Welt vom Bösen befreit zu haben. Erfreut wird er die wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis lesen, dass seine schöne neue Welt doch ein normengerechtes Abbild der alten ist, in der Nazis keine Chance haben.

*** Mitunter ist es schwer, das Virtuelle, den Fake und die echte Poltik auseinanderzuhalten. Nach den Äußerungen des Bundesinnenministers zum "Bundestrojaner" preist der virtuelle Innenminister die deutschen Tugenden des Bundestrojaners: "Die Hymne und die Fahnen machen deutlich, dass er aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Das ist nicht nur aufgeklärter, das ist aufklärender Patriotismus, das ist die ideale Kombination aus deutscher Ausgelassenheit, wie sie bei der WM zu beobachten war, und deutscher Selbstkontrolle, wie sie unser Volk seit Jahrhunderten erfolgreich praktiziert. Dieser Trojaner ist ein echter Deutscher." Einer wie Schäuble halt, der lebenslänglich bei RAF-Tätern etwas lebenslänglicher machen möchte und glaubt, dass es ein Gesetz geben muss, nach dem die Terroristen ihre Taten aufklären und bereuen müssen, nachdem sie über 20 Jahre weggeschlossen wurden. Inklusive des Verbotes, in Talkshows aufzutreten und Computer oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, solange die nicht einfach abgeschossen oder gesprengt werden können. Ach, das ist jetzt also übertrieben?

*** Der geistige Bruder des Trojaners ist übrigens der Datenübertragungsfehler. Er lauscht nicht mit, sondern schleicht sich in die Texte ein, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr ist. Ein Beispiel dafür lieferte diese Woche die die zweite Ausgabe von Vanity Fair. Das Blatt ist das neue deutsche Flaggschiff des Tom Kummer-Journalismus, der deutschen Leistungselite, gemacht von einem Chefredakteur, der Vermutungen nährt, er könnte seinen akademischen Titel beim Karaokewettbewerb auf der Semester-Abschlussparty gewonnen haben. In ihr findet sich ein Leserbrief des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, der sich über einen angeblich von ihm verfassten Text lustig macht, der zu zwei Dritteln nicht von ihm stammt und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lobt. Artig entschuldigt sich die Reaktion – und macht einen "Datenübertragungsfehler" dafür verantwortlich, dass etwas Blauäugiges in den Text gerutscht ist. So kann man die Tom Kummer-Technik natürlich auch erklären. Wie kummerlich das Blatt arbeitet, zeigt ein Text über die Rede von Wladimir Putin. Putin: "Haben wir aber die Mittel zur Verfügung, um diese Bedrohungen abzuwehren? Natürlich haben wir. Es genügt, die jüngste Geschichte in Erinnerung zu rufen. Immerhin ist in unserem Land ein friedlicher Übergang zur Demokratie erfolgt. Immerhin hat eine friedliche Transformation des Sowjetregimes stattgefunden." Vanity Unfair gibt wieder: "Wir haben Waffen, die dieses System überwinden können", und kommentiert das mit "Putin warnt die USA, das Raketenabwehrsystem schütze sie nicht vor den Russen". Wo Putin von Demokratie spricht (die er selbst nicht unbedingt liebt), hört die deutsche Leistungselite Raketenabwehrsystem. Ob da wieder dieser böse, böse Datenübertragungsfehler im Spiel war?

*** Im Jahre 1958 hatte der Film "Totenschiff" seine Premiere, der heute als Kommentar zu dem Leiden afrikanischer Migranten gesehen werden kann. Damals trat ein gewisser Hal Croves in Erscheinung, ein Mann, der sich auch B. Traven, Traven Torvsan oder Ret Marut nannte. Ein sympathisches Vorbild für alle, die nicht den größenwahnsinnigen "Autor" geben wollen, den Macker, der in der Identitätsfalle sitzt. Die geistige Unsitte, die in Deutschland dazu führt, Mullahs im Karneval auf der Achse des Humors zu verspotten. Vor 125 Jahren wurde der unter dem Namen B. Traven schreibende Mensch als Otto Alber Max Feige am 23. Februar in Schwiebus geboren – ein gutes Datum, um an seine Bücher zu erinnern. Außerdem gibt es das erste Interview mit dem Mann zu vermelden. Und statt sich angeekelt daran zu erinnern, dass ausgerechnet in einer Nachbarstadt dieser unserer kleinen Ticker-Webmetropole vor 75 Jahren Adolf Hitler zum Regierungsrat und damit erst zum deutschen Staatsbürger gemacht wurde, gedenken wir lieber des Geburtstags des großen Anthony Burgess, dem wir Clockwork Orange und "Hier kommt Alex" von den Toten Hosen verdanken. Fehlt nur noch der Panorama-Bericht, der beweist, wie Jugendliche unter dem Einfluss der schändlichen Musik von Beethoven zu Vergewaltigern werden.

Was wird.

Die CeBIT naht, die wirklich wichtigen Fragen des Lebens ziehen dräuend auf, die Pressemeldungen übersteigen die tägliche Spamflut, es gibt mehr innovative Lösungen als Viagra-Angebote. Doch wo sind die Antworten auf die Fragen? Gibt es ein Leben außerhalb von Hannover? Kommt Apple? Kommen die Häuser an die Macht, in deren Schutz die Computer werkeln, in denen sich das wahre Leben abspielt? Gibt es Menschen oder Rechner, die an etwas anderes denken als die CeBIT? Gibt es ein Leben nach der CeBIT? Aber ja doch, es findet Berlin statt und wird von Menschen organisiert, die sich an der Kreuzung von Katzencontent und Pinguin versuchen. Die eine Veranstaltung namens re:publica abhalten und um einen freundlichen Hinweis gebeten haben, ohne die CeBIT zu erwähnen. Mach ich doch glatt. (Hal Faber) / (jk)