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Was war. Was wird.

Nach der anstrengenden Moderation des Großen Preises der Computermusik stärkt sich Hal Faber erstmal mit einem Elektrobier, bevor er sich auf eine beschwerliche Expedition ins sagenumwobene Bielefeld macht.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Willkommen beim Großen Preis der Computermusik! Mit ihm feiere ich heute, ja, was feiere ich eigentlich in einer Zeit, in der Heino nicht mehr singen kann und selbst Bild geschockt ist von der Arbeit der Journalisten? Man könnte feiern, dass heute vor 52 Jahren Allen Ginsberg sein berühmtes Gedicht Howl rezitierte, aber das hatten wir schon. Man könnte feiern, das heute vor 40 Jahren in Berlin Hochhuths "Die Soldaten. Nekrolog aus Genf" uraufgeführt wurden, eines der seltenen Theaterstücke, bei denen Freunde des britischen Humors keinen hatten. Oder wie wäre es mit der pompösen Feier zum 40. Jahrestag der DDR an jenem 7. Oktober 1989, auf die die Demonstration von 10.000 Mutigen in Leipzig folgte?

*** Nix da, ich bleibe Mainstream und feiere mit den etablierten, am Euter der Kultur hängenden Journalisten den Kindergeburtstag mit LSD, als heute vor 40 Jahren der "Summer of love" zu Grabe getragen wurde. Das hat zwei Vorteile: Erstens kann ich wieder einmal auf den Song "White Rabbit" verlinken, mit dem die Entstehung der PC-Kultur verbunden ist – wir hatten das im Sommerrätsel. Zweitens ehrt diese außergewöhnlich schöne Interpretation den außergewöhnlichen George Takei, vielen besser als Hikaru Sulu bekannt.

*** Ohnehin ist schwer die Frage, was Jubiläen sollen. Sind sie nicht, genau wie der Große Preis der Computermusik, kaum mehr als ein Anlass, eine Flasche zu entkorken? In diesen Tagen, das Datum ist etwas unbestimmt, wird Slashdot 10 Jahre alt und feiert das mit einer Reihe von Partys. Seit 10 Jahren leben wir mit dem Vorwurf, im Ticker aus der niederdeutschen Tiefebene eh nur von /. abzuschreiben, seit 10 Jahren wird die Antwort mit der journalistischen Recherche nicht ernst genommen. So hat jeder seine eigene Geschichte zu erzählen. Dazu passt die Geschichte von den Nominierungen zum großen Preis der Computermusik. Denn wenn ich die diversen Meldungen addiere, dann würde der Hackersong der Free Software Foundation sämtliche Preise abräumen. Allerdings wurden viele unterschiedlichen Song-Distributionen nominiert, vom Original im Sieben-Achtel-Takt bis zum Rock der Stallman Brothers Band.

*** Ähnlich ist eigentlich das Schicksal von Kraftwerk gelagert. "Einfach alles von Kraftwerk nehmen", wie von den Lesern eingesendet, schaffte es einfach nicht in die Charts zum Großen Preis der Computermusik, die mit Georg Danzer beginnen. Sein Zerschlagt die Computer brachte es auf Platz 10 der Charts. Im Netz ist das Lied leider nur auf iTunes zu finden. Platz 9 ging an den Umgang von Man or Astroman mit ihrem Eeviac, den man heute wahrscheinlich eEviac schreiben müsste. Ganz wundervoll auf Platz 8 landeten die Opas von den Rolling Stones mit ihrem 2000 Man, einem Lied über einen englischen Premierminister, der im Jahre 2000 mit einem x-beliebigen Computer rummacht. Ganz so promiskuitiv kann es bei uns in Deutschland natürlich nicht zugehen, darum hat in unseren Charts France Gall mit dem Computer Nr.3 die Stones abgehängt.

*** Mit dem Gummitwist lieferte der Plan ein Lied ab, das bis auf Platz 6 klettern konnte. "Computerbulle, nascht den Transistor-Donut womit spülst du ihn runter?", fragten einstmals die Ärzte und die Antwort kam auf Platz 5: Elektrobier nach dem deutschen Reinheitsgebot muss es schon sein. Die Hymne Computerstaat von Abwärts wurde unlängst in dieser kleinen Wochenschau erwähnt und vorgestellt, vielleicht ein Grund, warum sie Platz 4 erreichen konnte. Mit Frank Zanders Interpretation von Hey, Captain Starlight, verlinkt zum Jahresbeginn der Wochenschauen, haben sich offenbar viele Leser anfreunden können. Die meisten Stimmen gingen indes zum großen Comdex-Hit ein, den Al Yankovic und seine Truppe einst mehrmals auf der längst vergessenen Messe präsentierten: All about the Pentiums brachte es darum auf Platz 2 im Großen Preis der Computermusik 2007, ein schöner Erfolg.

*** Wie im richtigen Leben, so ist auch in diesem Wettbewerb der erste Platz uneinholbar von Daisy Bell besetzt, entweder in der Interpretation des sterbenden Hal 9000 oder wahlweise als Output des IBM 704. Selbst die Commodore-Version mit den Geräuschen des 1541er Floppylaufwerks gehört noch in diese Sparte. Im Jahre 1951 soll die UNIVAC I ebenfalls den Computersong schlechthin gespielt haben, doch gibt es davon offenbar keine Aufzeichnungen. Wie das Liedgut unseres Großen Wettbewerbs zählt auch die UNIVAC-Version nicht zu den 24 Stücken der berüchtigten 220.000-Dollar-Playlist, für die schon der durchschnittliche iTunes-Preis zu viel ist.

*** Die scheinbar unwichtigen Nachrichten dieser Woche harren noch der Aufbereitung. Natürlich darf man sich über die Frage streiten, ob Forschungen zum Jetlag von Hamstern ignobelpreiswürdig sind – zumal die Viecher gar nicht von Buenos Aires nach Paris oder Peking geflogen sind. Wirklich wichtig sind dagegen die Erkenntnisse der Linguisten von der Universität Barcelona, dass Ratten nicht zwischen rückwärts gesprochenem Chinesisch und rückwärts gesprochenem Niederländisch unterscheiden können.

*** Ganz zu schweigen von der schwulen Bombe, die vielleicht noch gebraucht wird in der abstrakten Gefährdungslage, in der wir leben, genau wie die Online-Durchsuchung. Während Gutachter noch darüber befinden, ob diese juristisch problematisch ist, sollen Praktiker sie längst als prima Mittel zur Quellen-TKÜV einsetzen. Für kernige deutsche Politiker der Parteien mit dem großen C (wie in Kotau) ist die Sache klar: Wir sind der Gesetzgeber, nicht das Bundesverfassungsgericht! Und der wäre ein schlechter Gesetzgeber, wenn er keine Verordnung fände, die aus Trittbrettfahrern Terroristen machen kann.

Was wird.

Ein vorletzter Song für heute, der natürlich auch nichts mit Computern, dafür umso mehr mit Orgienengeln zu tun hat, denn, wie es im Refrain treffend heißt: Und sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann sehen wir uns in Bielefeld!. Jawohl, das geile Bielefeld ist wie in der letzten Woche schon die Stadt, der die Zukunft gehört, die Hauptstadt des Datenschutzes und das nicht nur, weil wieder einmal der Big Brother Award verliehen wird. Die Preisverleihung wird in diesem Jahr von zwei Jahres-Tagungen eingerahmt, die die Datenschützer und kritischen Informatiker abhalten.

Bald wird die spannende Frage beantwortet sein, welche unter Viagra stehenden Datenhamster von Staat, Verwaltung und Wirtschaft die begehrte Auszeichnung im Empfang nehmen können. Nicht dabei sein wird leider die Göttinger Polizei, die aus einer einzigen richterlichen Genehmigung zum Abhören eines Telefons illegalerweise eine Rundum-Observation machte. Braucht eine Truppe, die so vorgehen kann und erst von einem Gericht gestoppt werden muss, wirklich Online-Durchsuchungen? Brauchen wir einen Staat mit einem Innenminister, der sich dank der Lektüre von Theoretikern des Ausnahmezustands fortlaufend in selbigem wähnt? We got computer, we're tapping phone lines, I know that ain't allowed, sangen einstmals die Talking Heads. So ist es also, tralala, das hektische Leben in Kriegszeiten. (Hal Faber) /

(vbr)