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Was war. Was wird.

What game shall we play today? Der Sommer geht zu Ende, Betriebssystem-Evangelisten feiern fröhliche Urständ, und Hal Faber erfreut sich an musikalischer Geschichtsphilosophie im Angesicht einer allzu unernsten IT-Branche.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Summertime, and the living is easy: Schön war's in diesem Sommer, mehr oder weniger aufregendes Sommertheater, nettes Wetter, auch wenn manche über Temperaturen klagten, die unsereins in der Regel als recht angenehm empfand. Ja, manch einen verschlägt's in die norddeutsche Tiefebene, der im Süden besser aufgehoben wäre. Nun ist's vorbei, mit dem guten Wetter und mit der Ruhe, es schüttet mal wieder aus Eimern, die Menschen bereiten sich nach und nach darauf vor, dass der Herbst die ersten Nebelschwaden durch die Häuserschluchten schiebt. Und die wildgewordenen PR-Flaks beenden ebenfalls die sommerliche, den Temperaturen geschuldete Ruhe und rufen alles mögliche aus, bis hin zum Jahr des vernetzten Zuhauses. Wenn die IFA für manche den Eindruck erweckt, eine Linux-Messe mit Fernsehen zu sein, kommt miträtselnd Freund Shakespeare zum Zuge: "In Bereitschaft sein ist alles. Da kein Mensch weiß, was er verlässt, was kommt's darauf an, frühzeitig zu verlassen? Mag's sein." Das aber hat sich offensichtlich die Branche auch für ihren Vorstoß in ganz neue Bereiche zu Herzen genommen. Es gab mal eine Zeit, da warb der deutsche Fernverkehr mit einem gemütlichen Dicken, der als Kreuzung aus Obelix und Panzerknacker auf vier Rädern durch die Gegend rollte. Dort, wo "Brummi" anatomisch gesprochen vom Mensch zum Laster mutierte, sitzt jetzt die On-Board-Unit (OBU) von TollCollect und zwickt ihn gewaltig. Heute, wenn das sonntägliche Fahrverbot endet, sollte es eigentlich Ernst werden mit der Lkw-Maut, dem Vorzeigeprojekt von DaimlerChrysler und Telekom. Mittlerweile buchstabiert sich TollCollect wie TrollCorrect, denn sämtliche Details sind nicht zum Vorzeigen, sondern zum Gotterbarmen realisiert. Das Einbuchen via Internet ist langsamer als die Installation eines Druckertreibers. Wer die Mautbrücken im Detail betrachtet, findet unschwer heraus, dass die Kameras alle passierenden Fahrzeuge erfassen und die Messung, ob Brummi oder Normalo passieren, datenschutzwidrig hinterher vonstatten geht. Inmitten der Debatten um die Entmannung des deutschen Spediteursgewerbes gehen die feineren Details unter. Was ist, wenn die Electronic Vehicle Identification in dieses Szenario eingefügt wird und keine Software messen muss, wieviele Achsen am Gefährt durchrauschen? Gibt es nur den sozialen Vorbehalt, wenn Fahrzeuge sich so einfach verfolgen lassen, wie Menschen im ÖPNV, die sich mittels Transponder melden? Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn .... wie Brummi hat übrigens auch Kraftwerk bessere Tage gehabt.

**** History repeating: Kriechen sie also wieder aus ihren Löchern, die Helden der New Economy, und überrollen sie die IFA? Laufen sie zu neuer Form auf, unsere Bobos, und übernehmen arme Maut-Firmen? Zumindest scheinen sie nicht viel gelernt zu haben, wenn man sich die Sprüche so anhört. Die Neusprech der New Economy hat aber nicht nur wiedergängerische Bobos oder das altehrwürdige Oxford Dictionary of English erreicht, auch alteingesessene Firmen wie IBM vergnügen sich mit Wortschöpfungen wie "Preisverbesserungen". Vielleicht ist den Marketiers bei IBM ja doch der Schrecken in die Knochen gefahren? Mit Microsoft hatte man sich schließlich schon einmal einen Betriebssystem-Partner ins Boot geholt, der einem später dann eiskalt ausbootete -- dabei war es umgekehrt gedacht, ganz unabsichtlich stand man plötzlich als Underdog da. Immerhin, eine -- bei IBMs Marketing eher seltene -- genialische Idee verhalf OS/2 zu einem Revoluzzer-Image, das in einem späten Stadium gar Betriebssytem-Evangelisten gebar. Der Schuh!, der Schuh!: Nun hat man ganz unfreiwillig eine kleine Unix-Firma im Boot, die sich SCO schimpft, obwohl altgestandenen SCOlern dabei alle vorhandenen und auch die bereits ausgefallenen Haare zu Berge stehen. Wieder reingefallen? Möglicherweise. Es bewahrheitet sich erneut die Wahrheit des Satzes, mit dem Karl Marx schon einmal den guten Hegel vom Kopf auf die Füße stellte: Geschichte ereignet sich immer zwei Mal, "das eine mal als Tragödie, das andere Mal als Farce". Bei SCO weiß man heute nicht, wen man morgen verklagen will und wen man übermorgen von aller Schuld freispricht. In der Community dagegen evangelisieren sie nun wieder, die Betriebssystem-Propheten, und wünschen sich aufs neue multinationale Konzerne als die eigentlichen Revolutionäre. So falsch mag mancher da gar nicht liegen, zumindest, wenn man Karl Marx glauben darf: "Kapital flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens", zitiert Marx zustimmend. Na, ich bin gespannt, wie IBM stampfenderweise waghalsig wird, mit Perens und Stallman als vorauseilenden Fahnenträgern. Eine Farce jedenfalls kann auch als Sommertheater im Herbst die geneigten Beobachter Tränen vergießen lassen -- vor abgrundtiefer Traurigkeit oder vor schallendem Lachen.

*** Rockin' in a free world: Von Bobos und ähnlichen Wiedergängern weiß weder Neil Young noch der berühmteste Zauberlehrling der letzten Jahre etwas. Zumal ja im Vatikan und einigen erzkonservativen Sekten unter den religiösen Fanatikern der USA die Ansicht vorherrschen mag, Harry Potter sei genauso gefährlich für die freie Welt wie das kleine grüne Buch, das der ehemalige Oberschurke und nun reumütig Schadensersatz um sich werfende Genosse Muammar einst schrieb. Und nun kommt auch noch das große grüne Buch -- Herr, sei uns gnädig, das Ende der Welt naht. Wenn aber der Hauptton bei der Schutzumschlagsfarbe eines Kinderbuchs den Agenturen eine Meldung wert ist, dann mag zumindest das Ende der freien Welt tatsächlich nicht mehr fern sein. Kulturpessimistische Anwandlungen haben etwas von Allerwelts-Intellektuellenmelancholie, die sich dummerweise aber unter intelligenten Menschen zum Dauerleiden entwickelt. Was nicht verwundert angesichts der Ikonen der freien Welt.

*** Alles wird besser, alles wird besser, aber nichts wird gut: Man streitet sich noch, steht nun Pittiplatsch oder Karl-Eduard von Schnitzler für die DDR? Egal, lustig waren sie in seliger Erinnerung beide. War da was? "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." "Den Sozialismus in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf." "Ich liebe euch doch alle." Ja, Spielverderber sind heute nicht etwa die Stasi-IMs, sondern diejenigen, die in all der Ostalgie-Sauce darauf bestehen, auch an die Opfer einer Diktatur zu erinnern. So muss man wohl davon ausgehen, dass wir doch bald Johannes Heesters' fröhliche Dritte-Reich-Show bekommen. Immerhin feiert Heesters bald seinen 100. Geburtstag, das wäre doch ein schöner Anlass. Natürlich könnte es störende Momenten bei so einer Veranstaltung geben, etwa wenn einer der Gäste, der mehr im Kopf hat als Rühmann-Filme und Leander-Songs, daran erinnerte, dass vor siebzig Jahren, in der Nacht vom 30. zum 31. August, der große Hannoveraner Theodor Lessing in Marienbad starb, erschossen von zwei sudetendeutschen Nationalsozialisten. Seine Erkenntnis, dass es kein vernünftiges Fortschreiten der Geschichte gibt, dass dieses Fortschreiten nur eine nachträgliche Konstruktion ist, scheint auch heute noch vielen Zeitgenossen eine überraschende Erkenntnis zu sein. Die Einsicht in "Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen" überfordert Ossis wie Wessis gleichermaßen. "Von der unergründlichen Dummheit der deutschen Geschichte habe ich viele lehrreiche Proben miterlebt und vor Augen gehabt: Einen Bildersaal voll von Betrügern und Betrogenen, geltenden Strohpuppen, brüllenden Bullen, hohlen Nichtswissern." Der eine von Lessings Mördern machte in der BRD der 60er Jahre zur Rente geltend, dass er "Außerordentliches für das deutsche Volk" geleistet habe, der andere soll ein geehrter Genosse in der heutzutage nostalgisch besungenen Deutschen Demokratischen Republik gewesen sein. Theodor Lessing, der scharfe Kritiker der "Weimarer Zeit", der jüdische Philosoph, dachte übrigens Amerika und Europa in der Maschinenkunst zusammen: "Lebemaschinen, geschniegelt und seelenroh zugleich, selbstbewusst und selbstgerecht alle Werke der Geistigkeit aufsammelnd, genießend und erschaffend, als Eroberer und Herrenmenschen die ganze Erde übermächtigend, dank der bloßen werktümlichen Überlegenheiten, das ist Europa!, das ist Amerika!"

*** The Revolution will not be televised: Was ist nun aus Amerika geworden? Im Rückblick dieser Wochen gibt es einen deutschen Mord und einen amerikanischen Traum ein, letzterer ein Ausblick auf ein Land, das alle Möglichkeiten hatte, Träume zu verwirklichen. Vor vierzig Jahren hatte Martin Luther King am 28. August einen Traum, der von einem freien und gleichberechtigten Land handelte, in dem Schwarze und Juden, Muslime und Chinesen leben. Born in the USA als Versprechen ist, aus der fernen Zukunft betrachtet, ein Traum geblieben, unerfüllt und radikal wie ehedem. Eher kann sich in den USA eine Lebemaschine der heutigen Zeit, ein Roboter wie Leonardo einen Traum erfüllen, denn ein Schwarzer. Dabei träumen Roboter nicht. Nicht einmal von elektrischen Schafen.

*** Paul ist tot, kein Freispiel drin: Bleiben wir in Amerika, weil nicht nur die CSU Probleme mit der Aufbewahrung von E-Mail hat. Auch Microsoft ist in schweren Nöten mit der Erklärung, warum von 35 Wochen keine Aufzeichnungen vorliegen, alle Mails betreffend die Zweimannfirma Burst.com auf lokalen Rechnern wie auf den Mail-Servern gelöscht sind. Besonders apart die Erklärung der Rechtsanwälte, es sei wie die Suche nach der Nadel im Heufhaufen, wenn nicht gar unmöglich, einzelne Mails auf externen Sicherungsbändern zu finden. Dies von der Firma, die den Anspruch hegt, das führende Mail-System der Welt zu produzieren. Und wenn einer den Schaden hat, meint der andere, er spotte jeder Beschreibung: Sun jedenfalls ist der Ansicht, mit etwas Häme über die vireninfizierten Windows-Rechner in den Samtags-Tageszeitungen Reklame für die eigenen Systeme machen zu können. Aber wer sich "zu weit aus dem Window lehnt", wie Sun in arg bemüht-komischer Diktion formuliert, fällt anscheinend nicht unbedingt bei Sun ins Sicherungsnetz. Derweil beschäftigen sich die Windows-User mit den wirklichen Problemen der IT-Welt. Aber halt, es ist gut jetzt, man sollte sich nicht lustig machen: Die IT-Welt beschäftigt sich nur mit todernsten Angelegenheiten. Möglicherweise retten uns ja wirklich nur noch die Cyborgs, die inzwischen anscheinend aber einer eigenen Revolution bedürfen. Da trampelt dann Arnie mit Unterstützung von IBM vorneweg und holt sich Rat bei den Evangelisten der Open Source.

*** Happy together: Als Teilerfolg verbuchen die Datenschützer die Fortführung eines Dienstes, der unter staatlicher Aufsicht einen einzigen Datensatz protokollierte, um den nun gestritten werden darf. Andere Anonymisierer haben den Lackmus-Test des Verbrecher-Schutzes nicht bestanden. Provokant? Aber nicht doch. Am Ende ist jede strittige Frage ein neues Geschäftsfeld für Softwerker mit hochgekrempelten Ärmeln.

Was wird.

Mitunter ist ein Realitäts-Check eine nützliche Sache. Nehmen wir nur den Staate Dänemark, in dem seit Hamlet lange nichts mehr faul ist, einfach so. Die TAZ vom Wochenende erklärt, was aus dem liberalen Nordstaat inzwischen geworden ist, ein Musterland, in dem Stoibers CSU noch linksliberal erscheinen könnte. Immerhin: Zu den wenigen berichtenswerten Ereignissen der kommenden Woche gehört eine Konferenz über die Meinungsfreiheit in der Informationsgesellschaft, die als Vorbereitung einer anderen Konferenz an Bedeutung gewonnen hat, die wiederum eine Konferenz vorbereitet. Am Ende wird der Weltgipfel der Informationsgesellschaft starten und die Vorschläge der Zivilgesellschaft zur Anhörung bitten, morgens um 7, wenn die Welt noch in Ordnung ist -- und kein Schwein zuhört: What game shall we play today? (Hal Faber) / (jk)