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Was war. Was wird. Von Befreiung und Freiheit.

Manches pfeifen die Spatzen von den Dächern, und kein Geheimdienst kann ihr Pfeifen stopfen. Hofft Hal Faber zumindest, der unter Freiheit etwas anderes versteht als die aufheulenden Polizeigewerkschaften.

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Spatz, Freiheit
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die $sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Sarah Harrison bekommt 1 Panda (in der Tüte) ...

... und wird von Jacob Appelbaum durch die Luft geschwüngert.

*** "Christoph, wir beide wissen, dass es wirklich eine große Herausforderung (und vielleicht sogar unmöglich) sein wird, die öffentliche Debatte unter Kontrolle zu halten, aber wir sollten nichts sagen, was die Erklärung möglicher neuer Enthüllungen und den Umgang damit noch schiweiger macht. Richtig?"

Richtig liegt zumindest die Süddeutsche Zeitung mit ihrer Ansicht, dass diese Diplomatenmail eine saftige Ohrfeige ist. Geschrieben hat sie Jim Melville, der zweite Mann der US-amerikanischen Botschaft in Berlin an Christoph Heusgen, den außenpolitischen Berater von Kanzlerin Angela Merkel. Der hatte zuvor gejammert über die kritische Phase des Wahlkampfes und dass man für den Fall vorausplanen müsse, "dass etwas Neues von Snowden kommt". Zum Muttertag bekommt Mutti nur das Beste, in diesem Fall eine detaillierte Analyse ihrer untertänigen Stellung zu Barack Obama und die Aufarbeitung der Schmierenkomödie vom abgehörten Merkel-Handy. Als diese Aktion, von der es keine Beweise gibt, zwischen Merkel und Obama telefonisch besprochen wurde, schlug die USA tatsächlich ein No-Spy-Abkommen vor - zwischen Präsident und Kanzlerin. Wie reagierte der Spitzenbeamte Heusgen in seiner Mail?

"Wir glauben, es ist ein wenig zu eng, die Verpflichtung, keine Überwachungsmaßnahmen durchzuführen, lediglich auf den Präsidenten und die Kanzlerin zu beziehen."

Obi, Obi, es zwickt und passt nicht. Geht es nicht etwas weiter? Ein wenig zu eng ist es, doch Änderungen kommen nicht in Frage. Überarbeitungen werden nicht akzeptiert, heißt es in der Antwort-Mail. Pünktlich zu den 70-Jahr-Feiern der Befreiung vom Faschismus und zum Muttertag kann die deutsche Öffentlichkeit im Mailwechsel nachlesen, was seit der Kapitulation der 4-Mächte-Status bedeutet, und das nicht nur bei Foschepoth. Die deutsche Souveranität hat klare Grenzen, die jeder Kanzler und jede Kanzlerin anerkennen muss. Da mag noch so viel Falsches oder Halbwahres von Snowdens "Übersetzern" gekommen sein: Allein für diese Aufdeckung des permanenten Ausnahmezustandes hat Snowden unseren Dank verdient. Ganz nebenbei wird uns anschaulich vor Augen geführt, wie sehr die große Politik damit beschäftigt ist, wenn "etwas Neues von Snowden kommt".

*** Zur Lage Deutschland passen die neuesten Erkenntnisse, die der NSA-Untersuchungsausschuss vom hypomnesischen Bundesnachrichtendienst ans Tageslicht gefördert hat. Was immer es mit den Selektoren auf sich hat, kann nicht mehr geklärt werden, weil die Datei nicht mehr vorhanden ist und es keine Sicherheits-Backups gibt. Der Rechner, auf dem sie sich befand, "ist irgendwann abgezogen worden". Von wem der Befehl zum Abzug kam, wohin der Rechner zog, das alles ist natürlich schwer geheim. Aber da halten wir Optimisten es ganz mit dem US-Diplomaten Jim Melville: Es ist unmöglich, die öffentliche Debatte unter Kontrolle zu halten. Die Crowdfahndung läuft. Insofern halte ich es nicht mit dem wackeren Wolfgang Kaleck, der recht subversiv behauptet, dass es egal sei, von welchem Geheimdienst man ausspioniert wird: Der Untersuchungsausschuss kann sich nun einmal gemäß den politischen AGB nur mit deutschen Diensten beschäftigen, auch wenn er liebend gern NSA-Mitarbeiter einladen würde: Where, oh where are the little selectors gone? Nein, das Leben ist kein Hundehof. Aber wir armen Hündchen versprechen, artig zu sein:

"Wie Sie wissen, haben wir den Versuch mit der Aussicht auf den Abschluss eines 'No-Spy-Agreements' begonnen. Ich verspreche, diesen Ausdruck künftig nicht wieder zu verwenden. Wir haben realisiert, dass wir dieses Ziel nicht erreichen werden."

*** Du weißt, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik erschienen ist, wenn eine der Polizeigewerkschaften aufheult und den dramatischen Anstieg der Fallzahlen beklagt, in diesem Fall den Anstieg um 1,8 Prozent bei den Wohnungseinbrüchen, ganz auf der alarmistischen Linie des Innenministeriums. Schaut man genauer in die Statistik oder auch nur in die entsprechende Pressemeldung, hatten die Wohnungseinbrüche prozentual das niedrigste Wachstum aller Delikte im Jahre 2014. Keinbruch, kein Ruf nach Predictive Policing? Oder geht der Ruf nach weitestgehend zentralisierten deliktsbezogenen Ermittlungen durch geschulte Einbruchssachbearbeiter in diese Richtung?

*** Ganz ohne jede vergleichende Aussage ist diesmal das "Tatmittel Internet" geblieben, weil die Statistik umgestellt wurde: Erstmals wurden "Cybercrime-Delikte nur dann erfasst, wenn die Tat innerhalb Deutschlands und nicht in den Tiefen des Internetzes begangen wurde. Die vom Ausland aus begangenen Delikte sollen künftig in einer eigenen Statistik erfasst werden und wurden diesmal überhaupt nicht erwähnt. 49.925 deutsche Fälle landeten in der Statistik, mit einer Aufklärungsquote von 29,3 Prozent, wobei der Teilbereich Computersabotage nur auf 17,7 Prozent kam. Was bleibt, ist eine leichte Trauer, dass die Internetkriminalitätshochburg Delmenhorst dank der neuen Zählweise von der Landkarte verschwunden ist. Dafür hat jetzt der interaktive Sicherheitsindikator neues Zahlenmaterial, mit dem das Stadt-Land-Gefälle beim Tatmittel Internet erklärt werden kann.

*** Die ach so aufklärerische re:publica ist vorbei, die erste ihrer Art, bei der Frank Schirrmacher nicht Hof hielt unter den Linden im Cafe Einstein und viele Redner und Besucher in Privataudienz zu sich kommen ließ. Sein Blatt berichtete von den verehrten Nerds aus China und davon, dass Hacktivisten Leute sind wie du und ich. Die Mühen und öden Ebenen politischer Arbeit waren vergessen, als der Aktivist Jacob Appelbaum die Aktivistin Sarah Harrison durch die Luft wirbelte und ihr einen ganz besonderen Panda schenkte, einen Geheimdienst-Bären. Nach China war Appelbaum von Rhizome geschickt worden, künstlerisch das Thema Mitleid und Ekel im Verein mit Ai Weiwei zu bearbeiten. Rhizome schickte auch einen in Ehrfurcht erstarrten Berichterstatter mit, der das Projekt beschreiben durfte. Die Rechtfertigung der Veröffentlichung von Dokumenten des Sony-Hacks, weil bei Sony "rassistische Arschlöcher" sitzen, zeigt eine ungewöhnliche Weltsicht. Das mitten in China per Cryptophone geführte Telefonat zwischen dem nicht Reisen dürfenden Ai Weiwei und dem nicht Reisen wollenden Julian Assange ist auch interessant. Letzterer hatte mit vielen Tweets in dieser Woche einen eigenen, heftigen Wahlkampf gegen David Cameron geführt, der von einer Last-Minute-Verzweifelung profitierte und nun der große Wahlsieger ist.

Was wird.

re:publica vorbei? Ach was, der Sommer kommt!

Liebe NSA, du kannst mit meinen Daten machen, was du willst. ABER NICHT MIT MEINEN AUGEN. Zu den vielen Seltsamkeiten rund um die Snowden-Dateien gehört die Erkenntnis, dass der mächtigste Geheimdienst der Welt ausgesprochen üble Powerpoints produziert. So vermutete man beim Guardian am Anfang, dass die Powerpoints nur deshalb geheim sind, weil sie so furchtbar hässlich sind. Bis zum 22. November läuft die Biennale in Venedig und dort kann man die Arbeit "Secret Power" des Künstlers Simon Denny bewundern, der sich (in Anspielung auf Nicky Hager) mit dem Grafikdesigner David Darchicourt, auseinandersetzt. Darchicourt illustrierte als "Creative Director of Defense Intelligence" der NSA von 2001 bis 2012 unter anderem die "Incorruptable Network Security" der NSA, entwarf das Briefpapier der Organisation und schuf zahlreiche Vorlagen für die Powerpoints, die Snowden bekannt machte. Während der politische Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit zahlreichen Invektiven gegen die absurde Form der NSA-Kritik hetzt, sie gleichsam in bester Nazi-Tradition sieht, weht im Feuilleton ein letzter Hauch von Schirrmacher, wenngleich schon von Jünger angehaucht in Diskursgewittern:

"Zu den größten Trümpfen der Sicherheitsdienste zählt, dass wir sie für eine Blackbox halten, eine Maschine, die im Geheimen Dinge verrichtet, die zu kompliziert sind, als dass wir sie verstehen können. Simon Denny gibt dieser Maschine nun ein Gesicht. Anhand von Bildern lernen wir - genau wie die NSA-Mitarbeiter -, die Arbeit des Geheimdienstes zu verstehen."

(jk)