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Was war. Was wird. Von der besten aller möglichen Welten.

Ob man Sympathie für den Teufel haben muss? Hal Faber weiß es nicht. Er bemüht sich aber, diese Welt ein bisschen wunderbar zu finden. Manche Filme helfen.

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"What a wonderful world" juchzte Louis Armstrong; er mag es anders gemeint haben als Gottfried Wilhelm Leibniz, aber doch sich der Ansicht nicht verschlossen haben, dass die beste aller möglichen Welten immer die ist, in der man lebt. Denn andernfalls würde man es doch ändern, oder? Wobei Leibniz da dann doch auch Ansprüche an ein Wesen namens Gott stellte. So sei dann doch die beste aller möglichen Welten auch immer eine Ansicht, die im Auge des Betrachters liegt.

(Bild: Miha Creative / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Leben wir in der besten aller möglichen Welten, wie es Gottfried Wilhelm Leibniz behauptete?

Ein Blick auf die Nachrichten über die aufgefundenen Massengräber in der Ukraine mag diese Aussage anzweifeln. In welcher möglichen Welt leben wir überhaupt? Die Frage stellte sich der Kinomann Jean-Luc Godard in seinem Hauptwerk Histoire(s) de Cinéma, einer einzigen Videocollage von Kinobildern, Tönen und Geräuschen und von Geschichtsbildern: "Der eigentliche Fluchtpunkt der Histoire(s) aber sind der Holocaust, Hitler, das 'Dritte Reich', der Jugoslawienkrieg, die Menschheitsverbrechen – und das Versagen des Kinos, das Tod und Gewalt nicht verhindert hat." schreibt der Filmkritiker. Auf Twitter wird seiner Aufnahme der Rolling Stones gedacht, die im Studio "Sympathy for the Devil" proben. Und kaum ein Nachruf kommt ohne Godards Satz aus, dass er alle zehn Jahre ein neues Leben angefangen habe. Herausgekommen sind neun Leben wie bei einer Katze, bis er seinem Leben selbstbestimmt ein Ende setzte. Er war nicht krank, er war nur erschöpft nach neun Leben in neun Welten. Neben dem größten lebenden Filmemacher ist auch Saul Kripke, der größte lebende Philosoph, gestorben. Aus den möglichen Welten in der Theodizee von Leibniz entwickelte er die Semantik der Modallogik und eine einheitliche Namenstheorie für alle möglichen Welten und Weltkugeln. "It really is a nice theory. The only defect I think it has is probably common to all philosophical theories. It's wrong." Kripke beschäftigte sich auch mit Wittgenstein und seinem Satz: "Wir sind, wenn wir philosophieren, wie Wilde, primitive Menschen, die die Ausdrucksweise zivilisierter Menschen hören, sie missdeuten und nun die seltsamsten Schlüsse aus ihrer Deutung ziehen."

*** Doch wen interessieren schon Godard und Kripke, wenn die britische Königin aufgebahrt in London liegt? Die Hofberichterstattung will einfach kein Ende nehmen, die Super-Superlative sind zu viele. Es wird die größte Beerdigung nach dem Tod von Nelson Mandela sein. Selbst eine tageszeitung zollt dem Elizabethanismus Tribut, wenngleich mit Geschichten aus der übergriffigen Kolonialzeit oder über königliche Hunde, diese seltsamen Corgis und Dorgies. Dennoch gibt es Gegenden in dieser unserer möglichen Welt, in der Menschen nicht um die Queen trauern. Und dann gibt es da noch eine ganz hässliche Sache: Viele Staatsoberhäupter und Blaublütler werden zur Beerdigung in London erwartet (nur Putin und seine Komplizen sind nicht eingeladen, was sie sehr beleidigend finden), also in London, dieser Weltstadt, in der der Australier Julian Assange hinter Gittern verrottet, wie einst Gefangene im Tower. Wie wäre es mit einem klärenden Gespräch zwischen Joe Biden, Liz Truss und Anthony Albanese? Man muss der dieser Tage wieder einmal der ausgezeichneten Dokumentarfilmerin Laura Poitras zustimmen, die bei der Übergabe des Goldenen Löwen in ihrer Rede an Julian Assange erinnerte, über den sie 2016 den Dokumentarfilm "Risk" gedreht hatte: "This is literally the most important issue facing journalism globally right now is the U.S. prosecution of Assange over the Espionage Act. There is nothing more serious that threatens the First Amendment, not just in this country, but also threatens journalism globally, because what the U.S. government is doing is they are trying to extradite him, bring him back, try him under the Espionage Act for publishing, for literally revealing war crimes in the U.S. occupations of Iraq, Afghanistan." Vielleicht kann auch der tintenklecksende neue König bei der offiziellen Thronbesteigung seine Unterschrift unter ein Dokument setzen, dass die Gefangenschaft beendet.

*** Bekanntlich fordern die USA Assanges Auslieferung, weil Wikileaks im Jahre 2017 mit Vault 7 "im großen Maßstab Informationen über Abhörtechniken der CIA im IT-Bereich" veröffentlicht hatte, wie das in der Wikipedia formuliert wird. Tatsächlich hatte diese Veröffentlichung des vom CIA-Mitarbeiter Joshua Schulte gemopsten Materials großen Schaden in der IT der CIA angerichtet. Dass das Material immer noch schädlich sein soll, ist eher unwahrscheinlich. Insofern könnte eben diese Central Intelligence Agency, die am heutigen Sonntag ihren 75. Geburtstag feiert, zum festlichen Ereignis über ihren Schatten springen und die Klage fallen lassen. Was natürlich nicht passieren wird, weshalb es Kunstaktionen wie Noisyleaks gibt, die auf das Schicksal von Assange und Wikileaks aufmerksam machen wollen. Bleibt die Frage, ob die CIA wirklich Grund zum Feiern mit einem schicken Logo hat. In der Liste der bekannten Operationen finden sich niederträchtige Taten, wie das Project FUBELT mit dem Ziel, die sozialistische Regierung in Chile zu bekämpfen. Bis heute leidet das Land unter den Folgen der Ära Pinochet, wie das gescheiterte Verfassungsreferendum zeigt.

*** Ein anderes Jubiläum ist da schon erfreulicher: Am 18. September 1822, also vor 200 Jahren konstituierte sich in Jena die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, die in der Entwicklung der Naturwissenschaften und der Medizin sehr einflussreich war. Alexander von Humboldt referierte 1836 über die Besteigung der Anden. Der Arzt und Psychiater Peter Willers sprach sich 1846 für den Verzicht auf physische Zwangsmittel in den Anstalten der Geisteskranken aus. Aus den Naturforschern wurden bald Naturwissenschaftler und begeistert verkündete Werner von Siemens 1886 den "Beginn des naturwissenschaftlichen Zeitalters". Was dann kam, waren zwei Weltkriege und übelste Lehren von der deutschen Physik. Zur nächsten Jahrhundertwende war man vorsichtiger, ohne den Gedanken an den steten Fortschritt aufzugeben: "Wir erwarten am Ausgang des 20. Jahrhunderts nicht mehr, dass mit dem Fortschreiten naturwissenschaftlicher Entdeckungen und Erfindungen eine rationale gesellschaftliche Entwicklung gekoppelt sei, aber wir wissen ebenso gut, dass eine prospektiv geplante Entwicklung oder auch nur rationale Regulierung unserer Weltverhältnisse nicht möglich ist ohne eine adäquate wissenschaftliche Methodik. Wir bleiben überzeugt, dass Wissenschaft immer noch das zuverlässigste Instrument ist zur Bewältigung des Fortschritts". Was die rationale gesellschaftliche Entwicklung im Lichte der Wissenschaft anbelangt, zeigten die Bilder vom Sturm auf die Wiesn in München bei diesem Coronafest.

Der kommende Dienstag ist ein wichtiger Tag. Denn an diesem Tag wird der europäische Gerichtshof in Luxemburg seine Entscheidung über die Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung bekannt geben. Das ist die Überwachungstechnik, die unsere Innenministerin Nacy Faeser unbedingt einführen will, damit die Händler und Tauscher von Kinderpornographie nicht mehr den Ermittlern "durch die Lappen gehen". Der uralte Jägerbrauch, das Wild durch aufgehängte bunte Lappen am Ausbrechen aus dem Kessel zu verhindern, wird mit der Komplettspeicherung unserer Kommunikationsdaten gleichgesetzt.

Es ist leider mal wieder an der Zeit, an die nun auch schon wieder ein Jahr alte Erklärung des AK Vorrat an die Adresse der SPD zu erinnern. Die aufgeführten Punkte sollte Nancy Faeser gelesen und verstanden haben. Doch damit nicht genug, es gibt ja noch die EU-Kommission und ihren Vorschlag zur Chatkontrolle. Bekanntlich hat sich der Bundesrat gerade für effiziente und zielgerichtete Maßnahmen ausgesprochen. Für die Ausgestaltung einer Chatkontrolle ist das Innenministerium zuständig, wenn die Maßnahme gesetzlich geregelt wird. Wie schreibt Netzpolitik.org hübsch süffisant: "Aus dem Ministerium von Nancy Faeser sind verschiedene und ambivalente Positionen zu vernehmen, klare Ansagen sind nicht öffentlich dokumentiert." Genauere Angaben würden die Bevölkerung verunsichern.

(jk)