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Was war. Was wird. Von heimlichen Philanthropen und vermummten Netzbürgern

An intimen Leibesübungen des Schaukampfsportlers Hulk Hogan flammt die Debatte über die Pressefreiheit wieder auf. Dabei stimmt Hal Faber der Meinung der Jura-Professorin Khiara Bridges zu: Arme haben keine Privatsphäre.

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Was war. Was wird. Von oxymoronischen Botschaften und möglicherweise fliegenden Schweinen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Philanthropie – altgriechisch für die Menschenfreundlichkeit – ist ein schönes Wort. Im alten, gedruckten Duden steht es zwischen der Phiale, der Schale für ein Blutopfer und der Philatelie, von Herrn Duden wortwörtlich übersetzt als Liebhaberei von Gebührenfreiheitsmarken. Okay, im digitalen Zeitalter schauen wir lieber in die Wikipedia und lesen dann eine halbe Doktorarbeit zu dem Thema. Alternativ bietet sich die vorige Wochenschau an, die sich mit Philanthropie beschäftigt. Oder wir e-blättern in der New York Times und lesen einen Text, in dem der Milliardär und Internet-Übervestor Peter Thiel davon spricht, dass sein Investment in den Schaukampfsportler Hulk Hogan nicht nur den modernen Journalismus definiert, sondern "eines meiner größeren phlianthropischen Dinge ist, die ich je getan habe. Ich denke dabei in solchen Begriffen".

*** Was hat Peter Thiel, als erklärter Libertär ein Liebhaber von Gebührenfreiheiten aller Art getan? Der Super-Investor hat 10 Millionen dafür bereitgestellt, dass Hulk Hogan und einige andere das Netz-Klatschblatt Gawker mit Prozessen in den Ruin treiben können. Bislang geht die Strategie auf: 140 Millionen Dollar Schadenersatz hat ein Gericht nach dem Studium von 4235 Dokumenten dem Hulk zugesprochen, weil Gawker ein Sex-Video mit dem Wrestler veröffentlicht hat.

*** Weitere Prozesse sind im Anmarsch: 10 Millionen Dollar will die Journalistin Ashley Terrill haben, weil sie nach einem Gawker-Bericht belästigt wurde. 35 Millionen will Shiva Ayyadurai haben, der selbsternannte Erfinder der E-Mail, was der Gawker-Ableger Gizmodo rundweg bestreitet. Die Lösung: Ayyadurai hatte als Student 1978 ein Programm geschrieben, das er "Email" nannte. Doch der teuflische Kern der ganzen Pudelei ist neun Jahre alt: Damals veröffentlichte der Gawker als erster eine Geschichte über Peter Thiels Homosexualität. Dies soll ihn beim Verhandeln mit saudi-arabischen Investoren geschadet haben.

*** Mit dem Eingeständnis über seine ach so menschenfreundliche Unterstützungstat in der New York Times hat Thiel eine Debatte über die Pressefreiheit in Gang gesetzt. Sie ist bekanntlich nach einem geflügelten Wort Paul Sethes das Recht von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Kommt jetzt das Recht der Superreichen hinzu, Meinungen zu verbieten? Sethe kannte keine jungreichen Multimilliardäre wie Peter Thiel, aber er kannte sehr wohl das Prinzip: "Frei ist, wer reich ist. Das ist nicht von Karl Marx, sondern von Paul Sethe", schrieb er in einem Leserbrief an den Spiegel. Was Peter Thiel über Gawker sagt, klingt nicht so prägnant wie bei Sethe, meint aber dasselbe: "Ich kann mich selbst verteidigen, aber die meisten Leute, die sie angreifen, sind nicht wie ich." Ohne jetzt große Sympathien für ein Klatschblatt wie Gawker zu haben, das vom Super-Investor Pierre Omidyar unterstützt wird: Die Methode stinkt. Neu ist sie auch nicht: Mother Jones kann ein Lied davon singen, wie man ums Überleben kämpft. Was Gawker auch tut.

*** Denn auch das ist eine erstaunliche Tatsache, mit Klatsch und Tratsch aus dem Silicon Valley der disruptiven Startups und Risikokapitalisten über 45 Millionen Dollar Umsatz im Jahr erzielen zu können. Im neuen "Tal der Puppen" zählt die Privatsphäre derer, die aus den Daten anderer das nächste große Ding zusammenbasteln. Prägnant fasst diesen tiefen US-amerikanischen Klassenwiderspruch die Jura-Professorin Khiara Bridges in ihrer Studie zu Datensammlungen in den USA zusammen: Arme haben keine Privatsphäre.

*** Über diese gefährlichen Algorithmen wird dieser Tage argwöhnisch gewacht; sie werden kommentiert und mit gut gelaunten JubilarInnen diskutiert. Manchmal kommt dabei ziemlicher Blödsinn heraus, wenn Microsofts Tay als irrlaufender Algorithmus bezeichnet wird, während es doch Menschen waren, die Tay gezielt mit ihren verzerrten Weltbildern fütterten, bis das System schließlich abgeschaltet werden musste. Der umlaufende Hass im Internet hat unseren Bundesinnenminister auf den Plan gerufen, der anlässlich der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik von einer Zunahme der Volksverhetzung sprach und hastunichtgesehen ein Vermummungsverbot für das Internet forderte. Ist es die schiere Dummheit grundrechtsnegierender Placebos, wie es der Netzgrüne von Notz formuliert? Hat ein Troll-Algorithmus vom Innenminister Besitz ergriffen? Offen sollst du auftreten, Netizen, wie wir das von Hillary Clinton (hdr22@clintonemail.com) kennen.

*** Ein Vermummungsverbot gilt in Deutschland nur auf Versammlungen, was den Schluss zulässt, dass unser Innenminister das Netz im Neuland als eine einzige Versammlung begreift, in der Menschen wie Hal Faber und Reiner Unsinn allein vor ihren Bildschirmen sitzen, natürlich als Hunde verkleidet. Wie kann man diese Vermummungs-Terroristen, diese Experten der Sprachradikalisierung finden, wenn nicht mit einer gemeinsamen Anti-Vermummungsdatei (GAV), gehostet beim BKA, gespeist von den Vermummungsexperten von BND und Verfassungsschutz? Wenn man dann entmummt unterwegs ist und versonnen in die Webcam lächelt, schlägt ein israelischer Algorithmus zu. Was fehlt beim entmummten, gläsernen Bürger? Eine sauber geklärte Vermögenslage abseits panamischer Briefkästen? Kein Problem, bald haben wir auch diese Anonymität im Griff.

Was wird.

Der Juni beflügelt, zumindest was diese Geschichte mit der Sicherheit vor Cybercrime anbelangt. Da treffen sich die führenden Kämpfer auf der 2. nationalen Cyber-Sicherheitskonferenz in Potsdam. Voriges Jahr wurde dort über den Angriff auf die Bundestags-IT mit großer Souveränität diskutiert, diesmal wird für die Chefs von Verfassungsschutz, BKA und BSI zusammen mit dem Bundes-CIO sicher wieder ein vergleichbarer Cyberknüller für Diskussionsstoff sorgen. Wie wäre es mit der absoluten Bankrotterklärung des polizeilichen Informationsaustausches? Zudem ist der Chef von Airbus Defence and Space mit von der Partie, da könnte man hübsch über die vielen Probleme mit dem Airbus 400M reden und sich fragen, ob da nicht auch ein bisserl Cyber mit im Spiel war.

Außerdem ist unweit von Potsdam vor den Toren von Berlin die Berlin Air Show: So ein Airbus vor der imposanten Kulisse des Flughafens Berlin-Brandenburg, auch das beflügelt ungemein, so als Symbolbild. Mit Firmen wie Teraki, Synergeticon und anderen sind erstmals Startups mit dabei, die sich auf "disruptive Entwicklungen in der Luftfahrt" spezialisiert haben, wie der Veranstalter verkündet. Nur Fliegen ist schöner? Von wegen.

In Vorzeigeprojekten wie A400M und BER darf die De-Mail nicht fehlen, ein Mail-System auf der Basis von totgerittenen Pferden. In Berlin entscheidet das Anwaltsgericht, ob Rechtsanwälte das elektronische Anwaltspostfach ab dem 29. September 2016 nutzen müssen oder nur oder mindestens eine De-Mail-Adresse haben müssen, damit der ordentlich identifizierte Bürger mit seinem Anwalt vertraulich verkehren kann. Man darf gespannt sein, wie die Pferde bei diesem Mummenschanz antraben.

Die Google-Bildersuche nach De-Mail bring tatsächlich ein Burn-Out für
Pferde.

(anw)