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"Wir dachten, Deutschland würde mehr Aktivität entfalten"

Niels Boeing

Pat Mooney von der kanadischen Umweltorganisation ETC Group über die Notwendigkeit eines Gefahrensymbols für Nanomaterialien, den Stand der Nanorisikodebatte und nützliche Anwendungen von Nanotechtnik.

Vor vier Jahren sorgte die kanadische ETC Group [1] (kurz für „Action Group on Erosion, Technology and Concentration“) mit der Forderung für Aufsehen, die nanotechnische Forschung weltweit für einige Zeit auszusetzen, um erst einmal den Umgang mit den Risiken der Nanotechnik zu klären. Damit war sie die erste Umweltorganisation, die sich im gerade einsetzenden Nano-Hype des Themas annahm. Die Nanotech-Gemeinde reagierte verschnupft – die Forderung sei maßlos, die Gefahren seien rein hypothetisch.

Seitdem haben Toxikologen erste Studien [2] vorgelegt, dass manche Nanomaterialien unter Umständen Organismen schädigen könnten. Inzwischen ist in den in der Nanoforschung führenden Ländern eine Debatte über eine mögliche Regulierung von Nanomaterialien in Gang gekommen. Die ETC Group hat nun kürzlich einen Wettbewerb für ein Nano-Gefahrensymbol ausgeschrieben, das analog zu den bekannten Symbolen etwa für Radioaktivität Problembereiche kennzeichnen soll. Auf dem Weltsozialforum in Nairobi sind nun von den fast 500 Einsendungen [3] drei Kandidaten ausgewählt (diese und einige andere sind in der Bilderstrecke zu sehen).

Technology Review sprach mit Pat Mooney [4], dem leitenden Direktor der ETC Group, über Sinn und Notwendigkeit eines solchen Symbols sowie über den Stand der Nanorisikodebatte.

Technology Review: Herr Mooney, warum brauchen wir ein Nano-Gefahrensymbol?

Pat Mooney: Weil es bislang so gut wie keine Regulierung gibt, die den Umgang mit Nanotechnologien regelt. Auf der anderen Seite sind bereits viele Nano-Produkte auf dem Markt. Bis wir absolut sicher sind, dass ihre Sicherheit kontrolliert wird, sollte es ein solches Symbol auf Nano-Produkten geben, die mit der Haut in Berührung kommen, die wir einatmen oder in die Umwelt freisetzen können.

TR: Das bedeutet, dass das Symbol in erster Linie für Produkte gedacht ist?

Mooney: Ja, wir sorgen uns nicht so sehr um Nanomaterialien im Computer oder im Auto.

TR: Wie groß sind die Chancen, dass eins der drei ausgewählten Symbole von Regulierungsbehörden aufgegriffen wird?

Mooney: Wir werden sie auf jeden Fall auffordern, eins auszuwählen. Die andere Frage ist: Werden sie das tun? Wenn wir ehrlich sind, erwarten wir das nicht. Ich glaube eher, dass die Behörden ihr Bestes tun werden, unsere drei Empfehlungen zu ignorieren.

TR: Wie hat sich die Nanotechnik entwickelt, seit die ETC Group vor vier Jahren ein globales Moratorium forderte?

Mooney: Die Situation hat sich zum Teil verbessert. Die Reaktion auf den Wettbewerb für das Nano-Gefahrensymbol war bemerkenswert. Wir hatten wirklich nicht damit gerechnet, dass er so viel Aufmerksamkeit bekommen würde. Wir waren überrascht, dass sogar die Washington Post und andere Medien das aufgegriffen haben. Das hilft unserer Sache, denn man muss allmählich anerkennen, dass es ein Problem gibt. Gerade die Anstrengungen anderer Nichtregierungsorganisationen, das zu lösen, besonders in der EU, finden wir ermutigend. Inzwischen wird wenigstens darüber geredet.

TR: Halten Sie an dem Moratorium immer noch fest?

Mooney: Auf jeden Fall. Das Problem ist ja immer noch da. Wir haben das Moratorium anfangs vor allem aus Sorge um Labormitarbeiter vorgeschlagen, weil es keine Sicherheitsstandards für sie gab. Das erschien uns unfair. Wir haben allerdings nie im Sinn gehabt, dass es lange dauern sollte, vielleicht ein paar Wochen. Alles, was wir wollten, war, dass Wissenschaft und Regierungen miteinander darüber sprechen, wie man die Sicherheit im Umgang mit Nanomaterialien überwachen und Regeln für eine gute Praxis etablieren könnte, wenn die Forschung dann wieder weitergeht.

TR: Welche Aspekte der Nanotechnik beschäftigen die ETC Group jetzt, 2007?

Mooney: Uns ging es bei unserer Arbeit immer um die Fragen, wem Technik gehört, wer sie kontrolliert und wie sie genutzt wird. Umwelt, Gesundheit und Sicherheit haben eigentlich nie so sehr im Vordergrund gestanden. Der einzige Grund, weshalb wir uns damit befasst haben, bestand darin, dass es in krasser Weise offensichtlich war, dass etwas getan werden musste, aber sich niemand darum kümmerte. Ich halte die Probleme von Nanomaterialien für Umwelt, Gesundheit und Sicherheit in hohem Maße für lösbar. Unsere Sorgen hinsichtlich Eigentum an und Kontrolle von Technik haben sich hingegen nicht geändert.

TR: Wie beurteilen Sie die Debatte über Nanorisiken, seitdem die britische Royal Society 2004 in ihrem Technikfolgenabschätzungsbericht [5] einige Warnungen ausgesprochen hat?

Mooney: Enttäuschend. Selbst die Royal Society war enttäuscht, dass nicht mehr getan worden ist, nicht einmal für freiwillige Vereinbarungen. Die Debatte geht noch nicht weit genug. Ich war ehrlich überrascht, dass der Ruf der Royal Society nach einer Intervention der Regierung nicht so aufgenommen worden ist, wie wir erwartet hatten. Oder nehmen sie die Reaktionen in Deutschland auf den Fall „Magic Nano“ – wir dachten, daraufhin würde viel mehr Aktivität in Deutschland entfaltet.

TR: Man hatte ja im März 2006 zunächst vermutet, dass in dem Badversiegelungsspray toxische Nanopartikel enthalten wären, nachdem einige Anwender über Atembeschwerden geklagt hatten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat dann später keine Nanopartikel in dem Spray gefunden. „Magic Nano“ war also eher ein Fall von irreführender Vermarktung [6]. Eine echte Gefahr ging ja von dem Produkt nicht aus.

Mooney: Das war es auf jeden Fall. Aber es hat das Problem ziemlich klar gezeigt. Über Monate konnte niemand mit Sicherheit sagen, ob es überhaupt ein nanotechnisches Problem war, denn es gab keine Standards, die Nanokomponente zu bestimmen. Der Fall hat das völlige Fehlen von Untersuchungskapazitäten in Regierung und Industrie gezeigt. Ziemlich schockierend eigentlich.

TR: Wo steht Deutschland in der Nanorisikodebatte ihres Erachtens?

Mooney: Ich kenne die deutsche Debatte nicht so gut. Aber es wundert mich schon, dass Deutschland so überraschend vorsichtig an das Thema Regulierung herangeht. Ich hätte erwartet, dass man bei Ihnen aktiver wäre. Die Debatte ist in Deutschland langsamer vorangegangen. Ich habe den Eindruck, dass man in Ländern wie Schweden, Norwegen oder Großbritannien aufgeschlossener ist.

TR: Woran liegt es, dass noch nicht sehr viele andere Umwelt- und Bürgerrechtsorganisationen das Thema aufgegriffen haben?

Mooney: Ich weiß, die Leute fragen mich oft: Bist du nicht enttäuscht? Um ganz offen zu sein: Für uns entwickelt sich die Debatte ziemlich schnell. In der Biotechnik hat es 15, 10 Jahre gedauert, bevor man angefangen hat, über mögliche Probleme zu reden. Deshalb finden wir es ermutigend, dass sich in nur sechs Jahren schon etwas bewegt hat.

Wir sind kürzlich auf einer Anhörung in Washington gewesen. Da waren 30 verschiedene Bürgerrechtsgruppen und alle großen Umweltorganisationen vertreten. Die arbeiten inzwischen alle an dem Thema Nanorisiken und Regulierung. Dass es dennoch nicht schneller vorangeht, liegt vielleicht auch daran, dass die Wissenschaft noch nicht genügend Fördermittel für das Thema bekommt. Das ist wohl jenseits des Horizonts der geldgebenden Behörden.

TR: Sehen Sie auch nützlichen Anwendungen der Nanotechnik, etwa für die Umwelt oder in der Medizin?

Mooney: Sicher. Ich wäre auch sehr überrascht, wenn es keine nützlichen Anwendungen gäbe. Die sehe ich auf den Gebieten Energie, Trinkwasser oder Recycling. Dennoch: Es kommt darauf an, ob die je eine Chance haben werden. Wo werden all die Kontrollmechanismen herkommen, die sicherstellen, dass das offensichtlich konstruktiv genutzt wird?

Bei Medizin bin ich mir nicht ganz so sicher, aber auch da könnte viel getan werden. Ich bezweifle nicht, dass diese Technik nicht nur faszinierend ist, sondern auch ein lohnenswertes Potenzial hat. (nbo [7])


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https://www.heise.de/-279553

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[1] http://www.etcgroup.org/gallery2/v/nanohazard/
[2] http://www.heise.de/tr/artikel/bilderstrecke/22
[3] http://www.etcgroup.org/gallery2/v/nanohazard/
[4] http://www.etcgroup.org/en/about/staff/pat_mooney.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Angst-vor-den-Nanogiften-278517.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Angst-vor-den-Nanogiften-278517.html
[7] mailto:nbo@bitfaction.com