Elektronische Gesundheitskarte: Regierungsberater fordert Verzicht auf Rollout [Update]

Solange die Karte keine weitergehenden Funktionen als die herkömmliche Krankenversicherungskarte habe, sei ihr Einsatz sinnlos und werde allein aus politischen Gründen betrieben, meint Jürgen Wasem kurz vor einer Bundestagsdebatte über ein eGK-Moratorium.

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Von
  • Detlef Borchers

Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement und enger Berater von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, hat gegenüber dem TV-Magazin Monitor des Westdeutschen Rundfunks gefordert, dass alle Beteiligten auf den zum 1. Oktober geplanten Start der elektronischen Gesundheitslkarte (eGK) verzichten. Solange die Karte keine weitergehenden Funktionen als die herkömmliche Krankenversicherungskarte habe, sei ihr Einsatz sinnlos und werde allein aus politischen Gründen betrieben.

Mit der prononcierten Äußerung von Wasem, der in der Medizinpolitik einflussreiche Positionen besetzt, geht einer der Architekten der neuen deutschen Gesundheitspolitik vom Kurs ab, die Gesundheitskarte zu fördern. Wadsem hatte zwar schon früher das "Kärtchen" kritisiert, aber keinen Verzicht gefordert. Seine Forderung auf einen vorläufigen Verzicht, die eGK einzuführen, erfolgt vor dem Abschluss der Feldtests in der Modellregion Bochum-Essen. Im Projektrat dieses Feldtests war eine wissenschaftliche Mitarbeiterin seines Lehrstuhls vertreten. Das TV-Magazin Monitor berichtet von "gravierenden Mängeln" bei der Ausstellung von elektronischen Rezepten und anderen Aktionen, Daten auf die eGK zu schreiben.

Die Vorabmeldung zur morgen geplanten Ausstrahlung des Beitrags im Fernsehen erfolgt vor dem Hintergrund, dass morgen der Bundestag in den Abendstunden über einen Antrag der FDP-Fraktion (PDF-Datei) entscheidet, ein "Moratorium für die elektronische Gesundheitskarte" einzulegen. Ebenfalls zur Abstimmung steht ein Antrag der Grünen (PDF-Datei), den Datenschutz bei der eGK strikt einzuhalten. Die Zustimmung von Patienten und Ärzten sei wichtiger als das Einhalten politisch gesetzter Zeitpläne, meint die Ökopartei.

Ungeachtet der parlamentarischen Vorgänge kurz vor der Sommerpause dürfte der Fernsehbeitrag Munition für den anstehenden Wahlkampf liefern. Monitor zitiert Klaus Detlef Dietz, den Geschäftsführer des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen. Der Verband hat gerade bekannt gegeben, dass die privaten Versicherungen beschlossen haben, nicht am Rollout der eGK teilzunehmen (PDF-Datei). Ausschlaggebend für den Verzicht soll eine Schätzung der Privatversicherungen sein, nach der die eGK-Einführung insgesamt 5,4 Milliarden Euro kosten werde. Im Gegensatz zu dieser Schätzung steht die Zahl von 1,4 Milliarden Euro, die das Bundesgesundheitsministerium nach wie vor ausgibt. Die von den Privatversicherungen genannte Summe deckt sich mit einem im Jahr 2006 zurückgezogenen Gutachten der Unternehmensberater Booz Allen Hamilton. Damals prognostizierten die Berater Einführungskosten von 2,8 Milliarden, im "worst case" sogar 5,4 Milliarden Euro.

Update: Wie Monitor in einer Ergänzungsmeldung ausführt, kann die Einführung der Gesundheitskarte nach Auskunft der Projektgesellschaft Gematik bis zu 14,1 Milliarden Euro kosten. Bis die Karte mit allen angedachten Funktionen (elektronisches Rezept, klinischer Basisdatensatz/Notfalldaten, Organspendebereitschaft, Schlüssel zur netzbasierten Gesundheitsakte) funktioniert könnten acht bis zehn Jahre vergehen. (Detlef Borchers) / (jk)