Vor 25 Jahren: Informationelle Selbstbestimmung wird Grundrecht
Am 15. Dezember 1983 fällte das Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung, die unter dem Namen Volkszählungsurteil bekannt wurde. Die Karlsruher Richter befanden, dass es ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gibt.
Heute vor 25 Jahren fällte das Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung, die unter dem Namen Volkszählungsurteil bekannt wurde. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde ableitend befanden die Karlsruher Richter, dass es ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gibt. Die Erkenntnis, dass es keine belanglosen Daten gibt, wenn Daten gesammelt werden, etablierte den Datenschutz als Persönlichkeitsschutz.
Hintergrund des epochalen Urteils bildete eine für das Jahr 1983 geplante Volkszählung, die im Kern auf die Erfassung der gesamten Bevölkerung mit den Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung hinauslief. Praktisch stand hinter der Volkszählung die Einführung eines Personenkennzeichens, die 1978 gescheitert war und bis zu einem gescheiterten Versuch des Reichsicherheitshauptamtes von 1944 zurückverfolgt werden konnte. Gegen diese Volkszählung lief darum das Volk Sturm, während die Politik den ganz großen Knüppel herausholte: So bezeichnete der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann die gegen die Volkszählung argumentierenden Datenschutzbeauftragten als Verfassungsfeinde, während sein Ministerium untersuchte, wie diesen Kritiker gekündigt werden könnte.
Beim Bundesverfassungsgericht wurden mehr als 1600 Beschwerden gegen das eigens für die Zählung vom Parlament verabschiedete Volkszählungsgesetz registriert. Vier Beschwerden wurden für die mündliche Verhandlung ausgewählt, darunter die Beschwerde des Informatikers Wilhelm Steinmüller. Dieser hatte zuvor in dem Gutachten "Grundlagen des Datenschutzes" für die Bundesregierung eine Idee seines Kollegens Bernd Lutterbeck zu einem umfassenden Datenschutzsystem ausgearbeitet. Wo Lutterbeck vom "phasenorientierten Datenschutz" sprach, setzte Steinmüller auf ein "informationelles Selbstbestimmungsrecht".
Steinmüller beschrieb das Vorhaben später so: "Unsere Strategie beruhte auf einem Aufsatz des vorher als Ordnungshüter wohl kaum bekannten früheren Bundesinnenministers Benda, der nun – als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes – sein letztes großes Urteil zu fällen hatte und sich damit für die Rechtsgeschichte qualifizieren konnte. Worauf wir bauten: Benda hatte soeben unter Aufgabe seiner früheren Lehrmeinung einen Festschriftbeitrag zum Datenschutz veröffentlicht, der zwar nicht seine überragende Kompetenz, wohl aber seine Ansprechbarkeit für das Thema bewies."
Während die Position der Informatiker vor dem Verfassungsgericht als wissenschaftliche Lehrmeinung vorgetragen werden sollte, gab es auch eine Klage aus der Protestbewegung gegen die Volkszählung, vorgetragen von den Hamburger Anwältinnen Gisela Wild und Maja Stadler-Euler. "Sie legten eine ziemlich heftige, fast anarchistisch-individualistische Verfassungsbeschwerde ein, vor deren Hintergrund wir uns abgeklärt, liberal und gemäßigt profilieren konnten: Selbstverständlich dürfe der Staat auch auf Vorrat Daten sammeln, trugen wir vor, aber nur für Planungszwecke und mit dem Korrelat entsprechender Abschottung der Statistik-Ämter gegenüber der übrigen Verwaltung. Das überzeugte das Gericht, zumal der Staat ja in der Tat 'auf Vorrat' Statistiken nicht nur führen, sondern auch pflegen muss. Damit fiel das Volkszählungsgesetz, das genau das nicht vorsah, und mit ihr die Volkszählung", heißt es in Steinmüllers Erinnerungen.
Vom Verfassungsgericht wurde damit der sogenannte Melderegisterabgleich aus dem Gesetz gestrichen. Es dürfe nicht sein, dass die Verwaltung Informationen in die Hände bekommen sollte, die eigentlich für die anonyme Statistik bestimmt waren. Damit war die Volkszählung vorerst gescheitert und konnte erst 1987 in einer überarbeiteten Form durchgeführt werden.
Das solchermaßen vor 25 Jahren entstandene informationelle Selbstbestimmungsrecht steht gegen eine Gesellschaftsordnung, "in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß". Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Entwicklungen möglich gemacht, die aktueller denn je sind, vom IT-Gütesiegel über das Scanning von KFZ-Kennzeichen bis hin zur jüngsten Entscheidung des Verfassungsgerichtes zu der [ticker:104314 Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme].
In seinem Rückblick auf 25 Jahre mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht formuliert Roland Appel, 1987 Autor des Buches "Vorsicht Volkszählung", wie heute die Konsequenzen aus dem Urteil gelebt werden müssen: "Ähnlich wie im 'Wilden Westen' hilft es auf absehbare Zeit nur, uns selbst zu schützen. Der Colt ist in diesem Falle ein möglichst sicherer Browser, Software und Betriebssysteme, die nur schwer von Dritten ausspioniert werden können. Dabei hat derzeit die einzige wirklich kostenlose Linux/Open-Source-Software die vermutlich größte Sicherheit zu bieten. Dazu ein guter Virenschutz und allem voran: Wissen und Bildung. Wissen ist Macht, das gilt im Internetzeitalter in verschärfter Form. Wem heute Wissen fehlt, wird morgen immer machtloser sein."
Als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefasst wurde, so Appel weiter, "hatte der Staat noch die Mittel, dieses Recht weitgehend durchzusetzen, Karteien, Daten und Computer zu beschlagnahmen und nachzusehen, ob gegen diesen Grundsatz verstoßen worden ist. Das hat sich grundlegend geändert, das demokratische Gewaltmonopol wird dem Staat im Internet von Suchmaschinen und Providern streitig gemacht." In diesem Sinne ist das Engagement für den Datenschutz aktueller denn je. Nicht von ungefähr belegt heute der "Datenklau" den dritten Platz als Wort des Jahres. (Detlef Borchers) / (anw)