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Asylbewerber sind in der Arbeitsagentur demnächst willkommen

Ökonomische Gründe weiche das Arbeitsverbot für Flüchtlinge in Deutschland auf. Doch wie sehen die Arbeitsplätze aus und wie werden sie bezahlt?

"Wir müssen die falschen Anreize beseitigen, dass Menschen von den Leistungen unseres Sozialsystems angezogen werden.“ Mit diesem populistischen Satz zur Flüchtlingspolitik will der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im beginnenden Europawahlkampf gegen die Konkurrenz von der AfD in Stellung gehen. Dabei geht das Bundesamt für Migration und Flucht [1] schon seit Monaten ganz andere Wege, um die Anreize zu beseitigen, dass Geflüchtete im deutschen Sozialsystem landen.

Schon vor einigen Monaten wurde das Projekt "Ausländerbehörden – Willkommensbehörden" gestartet. Der Begriff Willkommenskultur wird mittlerweile inflationär gebraucht, wenn es darum geht, den Fachkräftemangel zu beheben. In einer Pressemitteilung [2] wird deutlich, dass ökonomische Gründe zu diesem Projekt führten. "Aktuell spielt wegen des demografischen Wandels die Bedeutung einer Willkommenskultur bei der Gewinnung von Fachkräften eine immer wichtigere Rolle. Die Relevanz dieses Themas wird auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verdeutlicht. Darin wird den Ausländerbehörden bei der Etablierung einer Willkommenskultur in Deutschland eine Schlüsselfunktion beigemessen, da sie oftmals die erste Anlaufstelle in Deutschland für Menschen mit Migrationshintergrund darstellen", heißt es dort.

Hier haben wir es mit einen der seltenen Fälle zu tun, wo ökonomische Interessen partiell mit den humanitären Bedürfnissen von Menschen, in diesem Fall der Geflüchteten, zusammenfallen können. Sie leiden unter dem gesetzlichen Arbeitsverbot, das sie zur Untätigkeit und zu Almosen zwingt. Gleichzeitig bietet es Populisten aller Couleur Stoff, um gegen Flüchtlinge zu agieren, die angeblich in die deutschen Sozialsysteme einwandern.

Arbeitsvermittlung ohne Dokumente

Seit einigen Wochen verschaffen Arbeitsagenturen in Augsburg, Bremen, Dresden, Freiburg, Hamburg und Köln Geflüchteten einen Zugang zum Arbeitsmarkt, auch wenn ihre Anerkennung als Flüchtlinge noch aussteht. Der Leiter der Bundesanstalt für Arbeit [3] sieht die Zeit reif für eine solche Regelung und lässt keinen Zweifel daran, dass die deutsche Wirtschaft von den brachliegenden Arbeitskräften zumindest zeitweilig profitieren kann. Denn einen Einfluss auf den Ausgang des Asylverfahrens hat die Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht. So können die Flüchtlinge nach wie vor nach einem jahrelangen Asylverfahren abgeschoben werden. Nur haben sie sich in der Wartezeit auch für die deutsche Wirtschaft nützlich gemacht.

Ökonomen kritisieren bereits länger, es sei kontraproduktiv, Flüchtlingen aus Prinzip den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verweigern, wenn sie gut qualifiziert sind und die Wirtschaft sie gut gebrauchen könnte. Diese Einsicht setzt sich bei schlaueren Populisten durch. So fordert die Alternative für Deutschland in ihrem Wahlprogramm [4] eine Aufhebung des Arbeitsverbots für Asylbewerber. Wenn sie sich dann auch gegen die Einwanderung von Flüchtlingen ausspricht, ist das die andere Seite der Medaille.

Die Bundesanstalt für Arbeit hat schon erklärt, dass das Modellprojekt, das es bisher lediglich in 6 Städten gibt, demnächst auf das ganze Land ausgedehnt werden könnte. Eine fünfstellige Zahl von Geflüchteten könnte so in den Arbeitsmarkt integriert werden. Bevorzugt werden sollen Menschen aus Ländern wie Syrien, Ägypten, Iran, Irak, Somalia, Eritrea, Pakistan, Sri Lanka, wo die politische Situation eine schnelle Abschiebung nicht so ohne weiteres möglich ist. Damit sollen Störungen im Arbeitsablauf durch eine zu große Fluktuation verhindert werden.

Wirklich ein Gewinn auch für die Flüchtlinge?

Ob die Willkommenskultur der Arbeitsagenturen eine Win-Win-Situation für beide Seiten ist, für die deutsche Wirtschaft und die Flüchtlinge, wie es die Leitung der Bundesagentur für Arbeit betont, hängt von der Ausgestaltung der Arbeitsplätze, den Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt der Lohnhöhe ab. Sollte hiermit ein neuer Niedriglohnsektor etabliert werden, wäre es in erster Linie ein Gewinn für die Wirtschaft.

Die Aufhebung des Arbeitsverbots wird von vielen Flüchtlingsorganisationen gefordert. Wenn es jetzt aus ökonomischen Notwendigkeiten umgesetzt wird, ist es auch an der Zeit, dass die Gewerkschaften in Geflüchteten potentielle Mitglieder sehen. Das ist noch gar nicht so selbstverständlich. Im letzten Jahr bekam noch ein Hamburger Ver.di-Sekretär eine Abmahnung [5], weil er Flüchtlinge aus Lybien in die Gewerkschaft aufgenommen hatte. Aus Protest dagegen initiierten zahlreiche Gewerkschafter einen Aufruf [6] für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatut. Sollte sich die Arbeitsvermittlung ohne Passkontrolle durchsetzen, wäre diese Initiative umso wichtiger, damit die neue "Willkommenskultur" der Arbeitsagenturen nicht den Niedriglohnsektor vergrößert.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2164529

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bamf.de
[2] http://www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/20140319-0009-presseeinladung-bamf-abh-projekt.html
[3] https://www.arbeitsagentur.de/web/content/DE/index.htm
[4] https://www.alternativefuer.de/partei/wahlprogramm/
[5] http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_verdi.pdf
[6] http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf