Behindertenvertreter begrüßen EU-Konsultation zum Urheberrecht

Behindertenvertreter und Wissenschaftler erhoffen sich von der nun eingeleiteten Konsultation der EU-Kommission einen besseren Zugang zu Bibliotheken und wissenschaftlichen Werken.

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Von
  • Monika Ermert

Der freie Zugang zu den Inhalten von Wissenschaftlern sollte die Regel und nicht die durch Schrankenregelung ermöglichte Ausnahme sein, fordert der Sprecher des Aktionsbündnisses Urheberrecht in der Informationsgesellschaft Rainer Kuhlen. "Das verstehe ich unter der von der EU-Kommission angesprochenen fünften Freiheit", sagte Kuhlen gegenüber heise online. Er reagiert damit auf das in der vergangenen Woche von EU-Binnenmarktskommissar Charlie McCreevy vorgelegte Grünbuch zum Urheberrecht in der Wissengesellschaft (PDF-Datei).

Das Grünbuch soll die Diskussion über die beste Form der Online-Verbreitung von Informationen für Forschung, Wissenschaft und Unterricht in Gang bringen. Auch die Schrankenregelungen für Bibliotheken und Behinderte sollen überdacht werden. Für Kuhlen kommt die Konsultation aus deutscher Sicht möglicherweise genau zum richtigen Zeitpunkt, da die Diskussion um einen möglichen dritten Korb zur Urheberrechtsnovelle in Deutschland noch offen sei. Das Aktionsbündnis will noch vor Abschluss der Konsultationsfrist ein europäisches Netzwerk von wissenschaftlichen Institutionen zum Urheberrecht schmieden und dann gemeinschaftlich Stellung nehmen.

Es sei nie zu spät, um eine schlechte Rechtslage zu verbessern, meint auch Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München. Es sei erfreulich, dass die Kommission die mangelnde Flexibilität von Schrankenregelungen für Wissenschaft und Forschung endlich thematisiere. "Vielleicht führt dies auch in Deutschland zu einem Umdenken, das einen 'dritten Korb' begünstigen würde", hofft Hilty. Dazu wären allerdings auch Änderungen im europäischen Recht notwendig.

Vorschläge für solche Änderungen wollen auch die europäischen Mitglieder des DAISY-Konsortiums (Digital Accessible Information System) geben. Dessen deutsches Mitglied Medibus macht seit der Einführung einer Schrankenregelung im Urheberrecht Gebrauch davon, um Hörbücher für Blinde und Sehbehinderte herzustellen. Verlage müssen heute lediglich informiert werden. Die finanziellen Ansprüche der Autoren werden bei der VG Wort mit 12 Euro plus Mehrwertsteuer pro Werk abgegolten.

Im Grünbuch steht nun ein Verzicht auf diese symbolischen Beträge zur Diskussion. Elke Dittmer, die die deutschen Blindenbibliotheken im DAISY Consortium vertritt, sagt, dass damit einiger administrativer Aufwand eingespart werden könne – und auch jährlich rund 25.000 Euro Kosten. Noch wichtiger sei eine Debatte über die Ausweitung der Schrankenregelung auf andere Behinderungen. Menschen mit Leseschwächen oder Aphasien müssten die Blindenbibliotheken so beim Versand der Daisy-Hörbücher schon abweisen. Auch sei bei der Einführung der Schranke für Blinde der Bereich der Downloads oder des E-Mail-Versands wohl einfach vergessen worden. Dafür benötigen die Blindenverbände vorerst noch vertragliche Sonderregelungen mit den Verlagen.

Ähnlich kurzsichtig sei die aktuelle Schrankenregelung für Bibliotheken, kritisiert Kuhlen. Die EU scheine "selbst Zweifel zu bekommen, ob die Regelung noch zeitgemäß ist, dass die von Bibliotheken digitalisierten Werke nur an speziellen Arbeitsplätzen in den Bibliotheken eingesehen werden dürfen, wo doch so gut wie jeder Forscher über die Netze mit den eigenen Rechnern im Prinzip von überall darauf zugreifen könnte", heißt es in einer Mitteilung des Aktionsbündnisses.

Skeptisch macht Kuhlen allerdings die im Grünbuch wiederholte Frage nach möglichen vertraglichen Lösungen, die die Schrankenregelung unnötig machen würden. "Auf dieser Geige spielen derzeit die Verleger", sagt Hilty. Sie verwiesen darauf, dass Schranken, die etwa den Kopienversand erlaubten, gar nicht erforderlich seien, "denn sie würden das Gewünschte schon selbst in geeigneter Form anbieten". Das Problem dabei: Gerade im Spitzenbereich der Wissenschaft würden Forschungsergebnisse oft nur noch in kommerziellen Onlinejournalen veröffentlicht, Verlage verlangten dabei ausschließliche Rechte. Von einem gesunden Wettbewerb sei dann nicht mehr die Rede.

Jeglicher ökonomischer wie urheberrechtlicher Rechtfertigung entbehre der zugleich mit dem Grünbuch veröffentlichte Vorschlag für die Verlängerung der Schutzfrist für ausübende Künstler und Tonträger von 50 auf 95 Jahre. Zu "verdanken" sei dies "einer weiteren, konzertierten Lobbyaktion der Musikindustrie", urteilt Hilty und fordert: "Nun liegt es halt an den betroffenen Wissenschaftskreisen, sich ebenfalls zu koordinieren und jenen Ball der Kommission aufzunehmen, den sie mit dem Grünbuch in die Luft geworfen hat." (Monika Ermert) / (anw)