Biometrie: Von Lagos bis Manila über Wiesbaden

Biometrie soll in Zukunft nicht nur die Pässe der Bürger schützen -- doch welche biometrischen Merkmale, ob Finger, Iris, Vene oder das Gesicht, zur erweiterten Personenkontrolle herangezogen werden, das ist noch völlig ungeklärt.

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Von
  • Detlef Borchers

Biometrische Merkmale sollen in Zukunft die Pässe der Bürger schützen, die Ausgabe von Visa vereinfachen und im elektronischen Rechtsverkehr die digitale Signatur ergänzen. Doch welche biometrischen Merkmale dies sein werden, ob Finger, Iris, Vene oder das Gesicht zur erweiterten Personenkontrolle herangezogen werden, das ist noch völlig ungeklärt. Die Verfahren sind da, die Standards fehlen, dieses Fazit der zum zweiten Male stattfindenden Fraunhofer-Tagung Biosig könnte für Forscher nicht besser ausfallen, verspricht es doch Forschungsprojekte ohne Ende. Die Biometrie als wichtige Waffe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus hat Oberwasser, die Sitzungstermine jagen einander. Vom 7. bis 12. September treffen sich die 6 Arbeitsgruppen, die die biometrischen Standards der ISO/IEC-Norm SC 37 festlegen, vom 18. bis 19. September tagen in Berlin hochrangige Regierungsexperten der G8-Länder, die ein gemeinsames Vorgehen in Passfragen abklären sollen. Hinzu kommen Termine der deutschen DIN-Arbeitsgruppe NI-37 und der Fachleute für das Schengen-Informations-System II: Allein in den bald erweiterten EU-Staaten soll ein vereinheitlichtes Visa-Informationssystem (C-VIS) mit biometrischen Informationen auf der Basis von Fingerabdrucken 70 Millionen Antragssteller aufnehmen und in einer zentralen Datenbank speichern.

Warum Biometrie gefragt ist, fasste der Titel der Tagungs-Keynote prägnant zusammen, die Klaus Keus, Referatsleiter Schlüsseltechnologien beim BSI, hielt: "Biometrics -- a possible technical contribution for homeland and worldwide security". Keus führte aus, wie seit der Verschärfung der Einreisebestimmungen im Januar 2002 bei der Vergabe von Visa mit Personen aus so genannten Risikoländern die "Homeland Security" in das Land des Antragsstellers verlegt wird. So berichtete Keus vom Visa-Prüfsystem, das in Lagos eingesetzt wird: Der gerollte Fingerabdruck aller zehn Finger wird Online nach Wiesbaden geschickt und durch das AFIS-System geschleust. Das Resultat wandert innerhalb weniger Minuten nach Lagos. Auf diese Weise würden bis zu 70 Vorfälle pro Tag auffliegen, bei denen die Antragssteller falsche Angaben machen. Ein weiteres Projekt dieser Art ist nach Keus in Manila unter der Leitung des Bundesinnenministerims im Aufbau: Dort soll geprüft werden, ob die Iris-Erkennung ein besseres System liefert, das abgewiesene Antragssteller in den Neuverfahren identifiziert. Keus bezeichnete die Iris-Methode als effizienter, machte aber darauf aufmerksam, dass sie durch ein bis 2005 gültiges Patent behindert wird. Möglich werden all diese ausgelagerten Verfahren, weil das Auswärtige Amt derzeit alle 217 Botschaften in einem Hochleistungs-VPN auf Linux-Basis integriert.

In seinem Vortrag machte Keus deutlich, wie stark alle Szenarien für den Einsatz der Biometrie von internationalen Abkommen abhängig sind. Er forderte die Teilnehmer auf, die deutsche Position insbesondere bei den anstehenden Verhandlungen mit der Flugbehörde ICAO stärker zu vertreten. Wenn ab 2005 biometrische Merkmale der Reisenden auf Transpondern (RFID-Chips) der Flugtickets gespeichert werden, wie es die ICAO plane, dann müsse es im deutschen Interesse liegen, diese Daten bruchlos in die eigenen Systeme einpflegen und analysieren zu können. Ob diese Form der Lobbyarbeit gelingen wird, ist offen. In einem Vortrag über den Stand der nationalen wie internationalen Normierungsgremien entführte BSI-Mitarbeiter Rainer Plaga die Teilnehmer der Biosig 2003 in ein Labyrinth der Gremien und Grüppchen und Länderstandards, die alle auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden sollen.

Besser hatten es da die Fachleute, die über biometrische Methoden referierten, an denen sie forschen. So beschäftigte sich Heinz Hertlein von der Firma HumanScan mit der Möglichkeit, Personen mittels Spracherkennungssystemen in allen Geräuschlagen eindeutig zu identifizieren, zeigten Arslan Brömme und Stephan Al-Zubi von der Universität Magdeburg mit Tablet-PCs, wie selbst bei Zeichnungen nach Vorlagen die Identität eines Kandidaten ermittelt werden kann. Ullrich Martini von der Firma Giesecke und Devrient demonstrierte, wie aus einem Fingerabdruck eine virtuelle PIN erzeugt werden kann, die etwa bei Bankgeschäften zum Einsatz kommen kann. Etliche Vorträge widmeten sich der Frage, wie gut biometrische Verfahren skalieren und damit leistungsfähig genug sind, um im behördlichen Einsatz genutzt werden zu können. In den gemeinsam vom Fraunhofer-Institut und dem BSI gestarteten Projekten wie BioFace und BioFinger geht es etwa darum, ein Passbild mit 50.000 gespeicherten Bildern zu vergleichen. Mit Blick auf den schwächelnden IT-Markt bemängelten nicht wenige Teilnehmer der Biosig 2003 die fehlende Ausgereiftheit biometrischer Lösungen, die beim Einsatz im großen Stil zu unbefriedigenden Resultaten führen würde. Dennoch gilt es für die Experten als ausgemacht, dass die Nutzung der Biometrie immer weitere Kreise zieht. "Die Biometrie ist eine natürliche Technik, die dem Menschen weit entgegenkommt", brachte es Andreas Wolf von der Firma Voicetrust auf den Punkt.

Da verwundert es den Beobachter schon, wenn Wolf wie die übrigen auf der Biosig versammelten Forscher klagte: "Das schwierigste Problem ist die Beschaffung von ausreichend vielen und willigen Probanden." Wenn Biometrie so natürlich ist und wie im Film Minority Report zur alltäglich genutzten Technik werden soll, die nicht nur im Reisepass, sondern an jeder Ecke zum Einsatz kommt, dann wären diese Widerstände einen eigenen Kongress wert. (Detlef Borchers) / (jk)