Bitkom: Deutsche Wirtschaft sucht 137.000 IT-Fachkräfte

Der Branchenverband Bitkom sieht eine noch angespanntere Lage auf dem Markt für IT-Fachleute als vor Beginn der Coronapandemie.

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(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Das Drama um den IT-Fachkräftemangel spitzt sich zu. Derzeit fehlen in Deutschlands Unternehmen 137.000 IT-Expertinnen und -Experten. Corona hatte den Mangel an IT-Personal zwischenzeitlich leicht abgemildert. Im Vergleich zu 2019, also vor der Pandemie, ist die Zahl der unbesetzten Stellen um 13.000 gestiegen.

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"Der Mangel an IT-Fachkräften hat sich drastisch verschärft. Der Grund dafür ist der weiter voranschreitende demografisch Wandel", sagte Bitkom-Präsident Achim Berg heute bei der Vorstellung einer repräsentativen Befragung im September von rund 850 Unternehmen aller Branchen.

Das Dilemma: Immer weniger junge Menschen kommen auf den Arbeitsmarkt, zugleich scheiden immer mehr Ältere aus. 70 Prozent der befragten Firmen rechnen damit, dass sich der Fachkräftemangel sogar noch verschärfen wird. Das ist eine erschreckende Prognose für die digitale Transformation in Deutschland. Der IT-Personalmangel entwickelt sich zu deren Haupthindernis.

Aktuell ist der Arbeitsmarkt in Deutschland insgesamt rückläufig. Nach einer Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist im dritten Quartal 2022 die Zahl der offenen Stellen gegenüber dem vorherigen Quartal um 5 Prozent zurückgegangen. Mit 1,8 Millionen vakanten Positionen liege sie aber weiterhin auf einem sehr hohen Niveau.

Im Vergleich zum dritten Quartal 2021 gibt es derzeit rund 438.000 offene Stellen, das sind etwa ein Drittel mehr. Der derzeitige Rückgang lässt sich teilweise mit dem Krieg in der Ukraine und der dadurch verursachten Energiekrise erklären. Tendenziell steigen die offenen Stellen seit Jahren: Zum Jahresende 2010 waren es 803.000 – heute sind es eine Million mehr.

Das führt dazu, dass es immer länger dauert, bis Firmen Fachkräfte finden. "Auch hier findet eine deutliche Verschiebung in die falsche Richtung statt", sagt Berg. Durchschnittlich dauert es inzwischen 7,1 Monate, bis eine IT-Stelle besetzt ist. Das ist ein Anstieg um gut zwei Wochen gegenüber dem Vorjahr. Bei der Besetzung ihrer Stellen finden die Firmen ihr Personal vor allem über Initiativbewerbungen (97 Prozent) und Stellenausschreibungen (93 Prozent). Beide Werte sind im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert.

Eine starke Zunahme fand bei der Übernahme von Praktikanten, im Headhunting und Active Sourcing statt, der gezielten Ansprache interessanter Kandidaten. Letztgenannter Versuch ist nach Angaben von Berg "recht erfoglreich". Immerhin ein Fünftel der Firmen kommt so an neues IT-Personal.

Beim Rekrutieren versuchen die Firmen Bewerbungen so einfach wie möglich zu gestalten, um den Bewerbern diesen Prozess zu erleichtern. Sie akzeptieren Bewerbungen per Mail, über Tools und Apps sowie direkt aus Business-Netztwerken. Wer mag, darf seine Bewerbungsmappe schriftlich schicken.

Auch im weiteren Bewerbungsprozess setzen die Unternehmen überwiegend auf digitale Methoden. Drei Viertel nutzen mindestens teilweise Videokonferenzen für Bewerbungsgespräche, fast ebensoviele betreiben einen Bewerbungspool. Das ist eine Datenbank mit Profilen potenzieller Kandidaten, die fürs Active Sourcing genutzt wird. "Die Unternehmen bespielen beim Recruiting die komplette Klaviatur", sagt Berg. Das hilft zwar im Einzelfall, den gesamtwirtschaftlichen Fachkräftemangel löst es aber nicht.

Trotz hervorragender Berufsaussichten sinkt das Interesse am Informatikstudium. Von 2019 bis 2021 ist die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger um 6.000 auf 72.000 zurückgegangen. Nur weniger als die Hälfte schließt ihr Studium auch ab. Das Informatikstudium gilt als äußerst anspruchsvoll. Etwa 31.000 waren es im vergangenen Jahr.

Ein Studium ist ein Weg in die Informatik, Zuwanderung von IT-Fachräften ein anderer. "Die Politik sollte Einwanderung erleichtern", sagt Berg. Die Bundesregierung arbeitet aktuell an einer Novelle des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Dabei sei es laut Berg wichtig, berufspraktische Erfahrung genauso zu berücksichtigen wie formale Abschlüsse. Er hält es für wichtig, den Einwanderungsprozess zu digitalisieren und zu entbürokratisieren. Das alles sind keine neuen Forderungen, Berg stellt sie seit Jahren und hofft nun, dass endlich etwas geschieht. Vor allem, dass Deutschland für Zuwanderer attraktiv wird. Bislang sei das Interesse sehr gering.

Zurzeit ist die Zuwanderung von IT-Fachkräften aus Russland und Belarus eine attraktive Variante gegen den Fachkräftemangel. Rund ein Drittel der Unternehmen mit offenen Stellen würde russische und belarussische IT-Expertinnen und -Experten einstellen, sofern sie vorher eine behördliche Sicherheitsprüfung durchlaufen haben.

Tatsächlich hat nur jedes hunderteste Unternehmen IT-Fachkräfte aus diesen Ländern eingestellt. Jedes Zehnte, das IT-Personal von dort einstellen wollte, ist an bürokratischen Hürden gescheitert. "Das hat mich in den Umfrageergebnissen besonders geärgert", sagt Berg.

Der Bitkom geht von 59.000 Stellen aus, die mit IT-Fachkräften aus Russland und Belarus besetzt werden könnten. Rund eine Million IT-Spezialisten soll es in diesen Ländern vor dem Krieg gegeben haben. Ein Viertel sei bereits ausgereist. Aus der Ukraine sollen laut Berg keine IT-Fachkräfte abgeworben werden. Das würde das Land schwächen.

So dramatisch wie die Bitkom-Befragung den IT-Fachkräftemangel darstellt, ist er nach dem Fachkräfte-Index von Hays nicht. Danach flaut die Suche nach IT-Experten seit Jahresbeginn ab, 12 Prozent weniger Stellen wurden in den ersten drei Quartalen weniger ausgeschrieben im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Absolut betrachten werden aber immer noch gut 100.000 IT-Fachkräfe monatlich gesucht. Der Rückgang ist jedoch der erste seit erstmaliger Erhebung des Indes im Jahr 2015. Die Personalberatung wertet für den Index Stellenanzeigen der meistfrequentierten Online-Jobbörsen, von Tageszeitungen und dem Business-Netzwerk Xing aus.

Update

Die bisherige Meldung wurde durch einen ausführlichen Autorenbericht ersetzt.

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