Bürgerrechtler an Staatschefs: Bitte an die Nutzer denken

Zum Auftakt des Treffens der OECD-Staaten in Seoul appellierten Nichtregierungsorganisationen an die versammelten Regierungsvertreter, den Zugang zu Informationen im Internetzeitalter zu gewährleisten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 11 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Freier Zugang zum Netz und zu Informationen jeder Art sowie ein diskriminierungsfreier Zugang zu Diensten – so lauten die drei Hauptforderungen der Nichtregierungsorganisationen (NGO) an die am heutigen Dienstag in Seoul zusammentreffenden Regierungsvertreter der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die unter dem Dach von "The Public Voice" zusammenarbeitenden NGOs wollen beim Gipfel zur Zukunft der Internetökonomie insbesondere die Idee vom Netz als einem Dienst für die Bürger in aller Welt unterstreichen und warnen vor Einschränkungen durch ein verschärftes Urheberrecht, proprietäre Standards und intransparente Netzwerkmanagement-Entscheidungen.

In einer gemeinsamen Erklärung (PDF-Datei) mit dem Trade Union Advisory Committee (TUAC) rufen die NGOs an erster Stelle dazu auf, Menschenrechte und Meinungsfreiheit in der digitalen Welt zu sichern. Auch die Internet Society (ISOC) wandte sich mit Empfehlungen an die Gipfelteilnehmer. Sie warb in ihrer Erklärung insbesondere für einen Erhalt der Innovationskraft durch einen Verzicht auf Regulierung.

Zugang, Zugang und nochmal Zugang, so könnte man das Hintergrundpapier (PDF-Datei) der NGOs zusammenfassen, das in seinen Forderungen noch weiter geht als die offizielle Erklärung. Der Zugang zu Kommunikationsnetzen gerade für die ärmsten Länder müsse verbessert werden. Für diese sollten die Zusammenschaltungskosten deutlich verringert werden, fordern die NGOs von den reichen OECD-Ländern. Dabei sollte der Umstand genutzt werden, dass über Mobilfunknetze der Zugang an vielen Stellen rascher realisiert werden kann.

Dem Zugang zum Wissen widmen die NGOs eines der ausführlichsten Kapitel. Hier sehen sie Probleme durch die zunehmende Ausweitung von Exklusivrechten im Urheber- und Patentrecht. Die Abkehr vom bislang in vielen Ländern gepflegten Haftungsprivileg für Internet Service Provider sei ebenfalls kontraproduktiv für die Informationsgesellschaft. In den USA und Europa konstatieren die Organisationen Bestrebungen, Provider zu Kontrolleuren ihrer Nutzer oder Filterinstanzen zu machen. Die NGOs sehen darin nicht nur eine gewisse Innovationsfeindlichkeit, sondern auch Einschränkungen für den Zugang zu wissenschaftlicher Information und Bildung.

Die dritte von den NGOs aufgeworfene Zugangsfrage befasst sich mit dem Schlagwort Netzneutralität und offenen Standards. Insbesondere im öffentlichen Bereich sei darauf zu achten, dass offene Standards zum Einsatz kommen. Ob sich die Definition der offenen Standards als lizenzfrei durchsetzen kann, darf allerdings bezweifelt werden. Ebenso dürfte der Hinweis auf den von US-Bürgerrechtlern initiierten neuen Völkerrechtsvertrag über den "Zugang zum Wissen" keinen leichten Stand in Seoul haben, da eine Reihe von OECD-Mitgliedern mit dem hinter verschlossenen Türen verhandelten Anti-Counterfeit Trade Agreement (ACTA) eher in die andere Richtung ziehen. Zur viel diskutierten Netzneutralität schlägt die Gruppe vor, Richtlinien von der OECD einerseits für "neutrale Netze", andererseits für "Transparenz beim Netzwerkmanagement" zu entwickeln.

Weitere Unterstützung der OECD und ihrer Experten in Paris fordern die NGOs im Bereich des Verbraucherschutzes. Die Zeit sei reif für eine Novelle der OECD-Richtlinien zum Verbraucherschutz im E-Commerce, die aus dem Jahr 1998 stammen. Der Verbraucherschutz habe wie der Datenschutz nicht mit der Entwicklung von Technologie und Markt Schritt gehalten. Auch bessere Sicherheit für Mobilfunknutzer und eine stark verbesserte Durchsetzung von Datenschutzbestimmungen stehen auf der Wunschliste. Beim Identitätsmanagement wenden sich die NGOs gegen aktuelle Vorschläge bei der International Telecommunication Union (ITU), die den Identitätsprovider zum Herren über die Datenbewegungen der Kunden machen wollen.

Die OECD-Tagung, die viel Internet-Prominenz nach Seoul bringt, endet am morgigen Mittwoch mit einer von den anwesenden Staatschefs unterzeichneten Erklärung. Dann wird sich auch zeigen, ob man dem Wunsch der NGOs zur Einrichtung eines zivilgesellschaftlichen Forums bei der OECD entspricht, analog zum TUAC und dem Business Industry Advisory Committee (BIAC). (Monika Ermert) / (vbr)