Bundestagsanhörung: "E-Sportler sehen sich als Athleten"

Im Sportausschuss ging es um die Frage, inwieweit E-Sport dem klassischen Sport gleichgestellt werden kann. Knackpunkt sind insbesondere die Ego-Shooter.

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Bundestagsanhörung: "E-Sportler sehen sich als Athleten"

League of Legends auf der Gamescom.

(Bild: Gamescom)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Sollten E-Sport-Vereine wie klassische Sportvereine als gemeinnützig anerkannt und damit steuerlich privilegiert werden? Insbesondere mit dieser Frage hat sich am Mittwoch der Sportausschuss des deutschen Bundestags beschäftigt. Vertreter der E-Sport-Szene verdeutlichten dabei, dass sie eine Trennung in Sportsimulationen und E-Gaming, wie es der Deutsche Olympische Sportbund empfohlen hatte, nicht akzeptieren wollen.

Hans Jagnow, Präsident des E-Sport-Bunds Deutschland (ESBD), präsentierte den E-Sport als gesellschaftlich breite Bewegung, die zwar andere Eigenschaften als bereits etablierte Sportarten habe, aber diesen in keinem Punkt nachstehe. Wenn der Gesetzgeber den E-Sport als gemeinnützig anerkenne, erkenne er nur eine gesellschaftliche Realität an. Die professionellen E-Sportler seien kaum von anderen Sportlern zu unterscheiden, auch wenn sie während der Ausübung hinter einer Konsole säßen: "Die Menschen verstehen sich als Athleten, als Sportler", betonte Jagnow.

Mit dieser Ansicht stieß der Verbandsvertreter auf teilweise heftigen Widerspruch der vom Ausschuss bestellten Experten. Insbesondere die Sportwissenschaftlerin Prof. Dr. Carmen Borggrefe von der Universität Stuttgart sprach dem E-Sport jede Qualifizierung als Sportart ab. "Die Faszination des Sports liegt doch gerade darin, dass man hier mit Hilfe des Körpers noch Unmittelbarkeit und Authenzität erfahren kann, was in anderen Gesellschaftsbereichen zunehmend verdrängt wird", betonte Borggrefe. Deshalb gelte es, sich nicht für den E-Sport zu öffnen, vielmehr sei eine Abgrenzung notwendig. Schon die Aufnahme des Motorsports in den 1980er Jahren sei aus ihrer Sicht ein Fehler gewesen.

Auch der Leipziger Sportpsychologe Junior-Professor Thomas Wendeborn sieht die Hinwendung der Politik zum E-Sport als kritisch. Die vom ESBD vertretene These, dass E-Sport den Jugendlichen bei dem Erwerb wichtiger Fähigkeiten in einer zunehmend digitalisierten Welt helfe, sei durch nichts bewiesen. "Eine E-Sport-Rendite ist hier nicht erkennbar", erklärte Wendeborn. Gleichzeitig erkannte er die gesellschaftliche Funktion der stark wachsenden E-Sport-Vereine an. Die Leistung der vielen Ehrenamtlichen, die sich etwa als Trainer oder Schiedsrichter engagierten, sei durchaus mit der Arbeit der klassischen Sportvereine zu vergleichen.

Der Deutsche Olympischen Sportbund (DOSB) hatte sich Ende 2018 auf eine vermeintliche Mittel-Position festgelegt: Der Spitzen-Sportverband hat einen Platz für Sport-Simulationen innerhalb der klassischen Sportvereine eingeräumt – alle anderen Titel aus dem E-Sport-Bereich will der Verband jedoch als "E-Gaming" abqualifizieren. In der Ausschusssitzung stellte Veronika Rücker, Vorstandsvorsitzende des DOSB klar, dass sie in den virtuellen Sportarten in erster Linie einen Weg sieht, um neue Zielgruppen für klassische Sportarten zu begeistern.

"Wir sehen uns als Anwalt für Sport und Bewegung", betonte Rücker. Deswegen sei es auch unnötig, für E-Sport-Aktivitäten in klassischen Sportvereinen eigene Strukturen einzuräumen. Beispielsweise Segelvereine könnten eine Segel-Simulation in das übliche Trainingsprogramm integrieren statt eigenständige E-Sport-Teams oder gar -Vereine zu schaffen. Gleichzeitig lehnte Rücker ab, dem E-Sport eine gleichberechtigte Stellung neben dem Sport einzuräumen: Dadurch verlören die ehrenamtlich organisierten Sportvereine ein Alleinstellungsmerkmal.

Die Anerkennung des E-Sports scheitere nicht nur an mangelnder körperlicher Aktivität, sondern sei Ergebnis einer vielschichtigen Analyse. Rücker betonte die Abhängigkeit des E-Sports von Herstellern, die sich eine immer größere Rolle in Ligen und Wettkämpfen aneignen und mittlerweile auch direkt im Sponsorengeschäft tätig sind. Auch seien insbesondere Ego-Shooter mit den ethischen Grundlagen des Sports nicht zu vereinbaren.

Jagnow hingegen wollte diese Deutung nicht zulassen. Auf mehrfacher Nachfrage von Abgeordneten verwies er darauf, dass eine Trennung zwischen E-Sport-Titeln nicht praktikabel sei und von den drei Millionen bis vier Millionen Fans des E-Sports strikt abgelehnt werde. Zudem solle man sich nicht auf das virtuelle Geschehen auf dem Bildschirm konzentrieren – stattdessen sei entscheidend, wie die Werte von Fairness und Kooperation vor dem Bildschirm gelebt würden. Hier entspreche das ethische Grundgerüst des E-Sports ganz dem Leitbild des organisierten Sports. Dort etablierte Sportarten wie Boxen seien ungleich gewalttätiger als jeder E-Sport. Auch beim Fechten werde die Tötung eines Menschen simuliert. Dass der DOSB hingegen Fifa als Sportsimulation einstufe, sei nach objektiven Kriterien kaum nachvollziehbar, da die Spielweise viel näher an einem Titel wie League Of Legends erinnere.

Der E-Sport-Vertreter verwies auf die Dringlichkeit der Frage der Gemeinnützigkeit. Beim Verband seien schon zahlreiche Anfragen von Sportvereinen eingegangen, die sich neben klassischen Sportarten auch mit E-Sport beschäftigen wollen. Doch ein solches Engagement kann nach der Interpretation einiger Finanzämter zum Verlust der Gemeinnützigkeit und damit der Steuerbefreiung führen. Hier will der DOSB seinen Mitgliedsverbänden mit einem eigenen Gutachten zu Hilfe kommen, das allerdings noch in Arbeit ist.

Eine Anerkennung von E-Sport-Vereinen aufgrund einer Festlegung auf Kinder- und Jugendarbeit wie beim Verein Leipzig eSports sei keine Lösung auf Dauer und für jedes Team, erklärte Jagnow, da der E-Sport mittlerweile nicht mehr nur eine Beschäftigung von Jugendlichen sei, sondern bei manchen Vereinen der Altersdurchschnitt weit im Erwachsenenalter liege.

Die Abgeordneten stehen besonders durch die Festlegungen des Koalitionsvertrags zwischen SPD und CDU unter Druck, der die vollständige Anerkennung des E-Sports "als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht" vorsieht. Diese Festlegung hatte nicht nur die Sportverbände verstimmt, sondern stellte auch die Fachpolitiker vor vollendete Tatsachen, wie etwa der CDU-Abgeordnete Frank Steffel betonte: "Wir alle waren an diesem Teil des Koalitionsvertrags nicht beteiligt."

Dennoch zeigten sich die Vertreter von Union, SPD, Grünen und Linken grundsätzlich aufgeschlossen für die Frage, den E-Sport auf die eine oder andere Weise mit klassischen Sportverbänden gleichzustellen, fordern aber Anstrengungen bei Suchprävention und der Förderung von Frauen. Allein die Vertreter der AfD signalisierten eine strikte Ablehnung. Deren Obmann Jörn König erklärte: "Sie sind ein Unternehmerverband einer neuen, sehr erfolgreichen Wirtschaftsbranche" – eine steuerliche Förderung oder Vergünstigungen seien deshalb abzulehnen. Hierauf betonte Ralf Reichert, Gründer des Ligen-Veranstalters ESL, dass für die kommerziellen Aktivitäten im E-Sport-Bereich gar keine Gemeinnützigkeit angestrebt werde.

Wie deutsche Fußball-Bundesligisten in die lukrative Zusammenarbeit mit E-Sport-Firmen einsteigen ist Thema des Artikels:

(anw)