Canons Motorisierung und die KI-Persona Mia – die Fotonews der Woche 44/2023

Eine neue Klasse von Hybridobjektiven kommt wie aus dem Nichts, und eine fast volldigitale Persönlichkeit ist mehr als ein Experiment.

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Canons neues 24-105 mit angebautem Zoommotor – fast schon eine TV-Kamera.

(Bild: Canon)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Nico Ernst
  • Christine Bruns
Inhaltsverzeichnis

Erster! Nein, hier ist nicht das Layout unserer Seite kaputt, und es wird nicht das Heise-Forum von circa 1998 dargestellt – vielmehr kann Canon nun wirklich einmal mit Fug und Recht von sich behaupten, Erster zu sein.

Denn ein Kleinbild-Objektiv mit durchgehender Blendenöffnung von f/2.8 bei einem Zoombereich von 24-105 Millimetern mit der Option auf eine professionelle Fernsteuerung gab es tatsächlich noch nie. Und wenn man schon so innovativ ist, kann man mit der Benennung als RF 24-105mm f/2.8 L IS USM Z auch gleich dem Konkurrenten Nikon eine lange Nase drehen. Denn für den Z-Mount von Nikon ist das Canon-Objektiv natürlich nicht gedacht, sondern für das RF-Bajonett von Canons spiegellosen Kameras.

Mit dem Buchstaben Z will Canon eine neue Linie von Hybridobjektiven starten, die im professionellen Bereich sowohl zum Fotografieren als auch zum Filmen taugen. Kommen wir gleich zum Preis: 3600 Euro sind gefordert, oder rund das Anderthalbfache eines 70-200-mm-Teles mit f/2.8 vom Originalhersteller, das nicht nur an Canon-Bodys oft als universelles Objektiv für Events verwendet wird. Für Aufnahmen in engen Räumen, denken wir an den Empfang nach einer Trauung, ist das natürlich nichts.

Die Hochzeitsfotografie fällt bei einem Objektiv mit diesen Daten natürlich sofort als Anwendungsfall ein, muss der Fotograf dort heute doch neben Bildern in der Regel auch Videos produzieren. Das muss man aber üben, denn mit über 1,3 Kilogramm und 20 Zentimetern Länge ist das neue Canon schon reichlich unhandlich – ein Einbeinstativ stellt da oft den besten Kompromiss zwischen Leistung und Mobilität dar.

Aber nicht nur dieses klassische Feld der Fotografie dürfte Canon im Blick haben, auch zahllose andere Bereiche wie die Produktion von Webvideos oder gleich ganzen Kinofilmen. Außer üblichen Eigenschaften wie Blendenring und Wetterfestigkeit ist dafür auch Fokusstabilität notwendig. Das bedeutet, dass das Objektiv die Schärfe über den gesamten Zoombereich halten kann. Nur so sind etwa bei live übertragenen Fernsehevents die rasanten Zooms möglich. TV-Kameras haben dafür motorisierte Objektive, erst die Kombination der bekannten Bewegung dieses Zoommotors und der Fokussierung des Objektivs macht das gesamte System fokusstabil.

Es ist noch nicht absehbar, wie gut das mit EOS und dem Z-Objektiv – dem von Canon, siehe oben – funktioniert, mit dem optionalen "Power Zoom Adapter" PZ-E2 verspricht der Hersteller jedenfalls Fokusstabilität. Der sieht vielleicht nach einer Bastellösung aus, funktioniert jedoch genauso wie bei einer professionellen Filmkamera: Ein Zahnrad rastet am Zoomring ein und dreht dann am Objektiv. Beim PZ-E2 wird der Motorzoom per Funk gesteuert, zum Beispiel mithilfe einer App. Für das Modell PZ-E2B gibt es noch Canons proprietären 20-poligen Anschluss für eine Fernbedienung zum Zoomen und Scharfstellen, wie man sie beispielsweise an Videostativen findet. Zack, fertig ist die eigene, kleine TV-Kamera.

Natürlich sind auch die Motoren nicht billig, sie kosten 1200 Euro für das Funkgerät und 1600 Euro beim B-Modell mit zusätzlichem Kabelanschluss. Ein Grund dürfte sein, dass sich Canon trotz des immer noch erheblichen Preisabstands sein Geschäft mit den TV- und Cine-Geräten nicht zu sehr verderben will. Das ist aber auch deswegen nicht zu befürchten, weil das in der Regel mit einem Umstieg auf den RF-Mount einen Systemwechsel bedeuten würde.

Geradezu günstig ist da das neue Supertele mit 200-800 Millimetern für den RF-Mount, für das Canon 2500 Euro verlangt. Der Haken ist die geringe Lichtstärke von f/6.3-9. Die alte Faustregel "Sonne lacht – Blende acht" passt hier endlich einmal auch in diese Kolumne und soll als Beleg dafür dienen, dass das neue Canon ein Schönwetterobjektiv ist, obwohl es Staub- und Spritzwasserschutz mitbringt. Daneben gibt es auch ein neues RF-S 10-18mm F4.5-6.3 IS STM für APS-C-Bodys von Canon, die Daten aller drei Objektive finden sich in einer eigenen Meldung.

Während die meisten Anderen der Fotobranche – zuletzt Leica mit der M11-P – ihre großen Neuvorstellungen für 2023 schon gemacht haben, steht von Sony noch so einiges aus. Dass das bald erfolgt, hat das Unternehmen nun selbst angekündigt. Ganz im Apple-Stil soll es am 8. und 9. November ein "Special Event" geben, bei dem es um Alphas geht. Erwartet wird ein neues High-End-Modell für unter anderem Sportfotografie, denn Mitte 2024 finden in Paris die nächsten Olympischen Spiele statt. Als ziemlich sicher darf gelten, dass Sony ein 300 mm f/2.8 G-Master auf der Veranstaltung zeigt, denn dieses Objektiv hat das Unternehmen selbst bereits im Januar angekündigt.

Ewig angekündigt, aber immer noch nicht erhältlich ist Sigmas neues Standardtele mit 70-200mm und f/2.8. Natürlich ist es eine PR-Strategie, dazu immer häppchenweise kleine Details zu verraten, damit das Glas in der Diskussion bleibt. Da spielen wir diesmal auch nur deswegen mit, weil das aktuelle Häppchen wirklich aufhorchen lässt: Fast ein Pfund leichter als der Vorgänger an DSLRs soll das Objektiv in der Version für Sonys E- und Leicas L-Mount werden. Dass dafür Linsen eingespart wurden, ist dank Sigmas Beitrag auf Instagram auch schon bekannt, nicht aber, wie gut die optischen Leistungen dabei noch sind. Weil, wie bei allen hier schon genannten Unternehmen, der Kampf um das Weihnachtsgeld der potenziellen Kunden voll im Gange ist, dürfte die tatsächliche Vorstellung inklusive Preisangabe bald bevorstehen.

Nach so viel Hardware nun unsere Empfehlung zum Long Read fürs Wochenende, bei der es um Bilder rein aus Software geht, nämlich solche, die eine KI generiert hat. Im konkreten Fall geht es um eine Persona namens Mia. Die junge Frau existiert nicht, daher auch der Begriff Persona, nicht Person. Und es handelt sich nicht, wie schon geschehen, um einen Fake, den Versuch, das Publikum zu betrügen. Mia ist eine Erfindung, die junge Frau wird von ihrer Erschafferin auf Instagram von Anfang an als digitale Fiktion bezeichnet. Auch das gab es, manchmal auch mit Betrugsabsicht, schon öfter, selten treten jedoch die realen Personen hinter der Persona in die Öffentlichkeit.

Das ist nun aber geschehen, denn die Erfinderin von Mia sprach mit Petapixel. Weil die Bilder und auch die Geschichte hinter Mia so perfekt sind, hat die im Artikel Caroline genannte Künstlerin auch einen professionellen Hintergrund: Sie ist Fotografin, arbeitet im Marketing und schreibt. Was aus dem Artikel nicht hervorgeht, ist, ob die Texte von Mia zumindest teilweise per KI erstellt werden. Die Motivation hinter dem Projekt erscheint konsequent künstlerisch und authentisch, unter anderem soll Mia in Zukunft wie eine reale Person altern.

Wie sonst häufig auf Instagram bewirbt Mia keine Produkte, dafür ist die Reichweite von rund 11.000 Followern auch noch zu gering. Menschen mit weniger künstlerischem Anspruch arbeiten jedoch mit Sicherheit bereits an digitalen Personas als Werbeträger, deren Inhalte in Bild und Text rein aus der KI kommen und dann wie in einem digitalen Sklavenhandel als Gesamtsystem verkauft werden könnten. Da plaudern wir hier keine böse Idee aus, denn ganz sicher wird KI für die Mechanismen von Social-Media-Marketing über die bisherigen Gepflogenheiten hinaus eingesetzt werden.

Es ist nicht überspitzt zu behaupten, dass uns bald erfundene Personen mit digitalem Eigenleben reale Produkte empfehlen werden, die dann echte Menschen für selbst erarbeitetes Geld kaufen werden. Oder auch für selbst errechnetes Kryptogeld, womit die Grenze zwischen Realität und digitaler Fiktion endgültig verwischt. Wobei: Dabei kann immer noch so einiges schiefgehen.

(nie)