Chefregulierer sieht Energiewende in Gefahr

Der neue Präsident der Bundesnetzagentur moniert das zögerliche Tempo beim Ausbau der Stromnetze, um diese für den Atomausstieg fit zu machen, Im Winter hätten Versorger mehrfach auf die so genannte Kaltreserve zurückgreifen müssen.

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Von
  • Sven-Olaf Suhl

Der neue Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA), Jochen Homann, hat zu mehr Anstrengung beim Ausbau der Stromnetze in Deutschland aufgerufen. Der durch die Energiewende notwendige Ausbau komme nur zögerlich voran, sagte Homann anlässlich der Vorlage des Jahresberichts 2011 (PDF-Datei) der Regulierungsbehörde in Bonn.

Wichtige Stromtrassen, die Windenergie von Nörd nach Süd leiten könnten, existieren bislang nur auf dem Papier.

(Bild: Bundesnetzagentur)

Von 1834 Kilometern seien erst 214 Kilometer realisiert. "Das ist nicht besonders berauschend", sagte Homann. Von diesen 214 Kilometern seien bisher weniger als 100 Kilometer tatsächlich in Betrieb. Bei weiteren Vorhaben hätten die Fahrpläne teils um ein bis zwei Jahre nach hinten geschoben werden müssen. "Für die Energiewende ist dies eine besorgniserregende Nachricht." [Update: Der Sollwert von 1834 km ergebe sich aus dem Gesetz zum Ausbau von Energieleitungen (EnLAG) von 2009, erläuterte eine BNetzA-Sprecherin gegenüber heise online.]

Für die kommende Woche kündigte Homann einen Bericht zur Netzsituation und zur Lage auf den Strom- und Gasmärkten im vergangenen Winter an. Anlass zur Entwarnung werde es nicht geben. So habe zwischen Dezember 2011 und März 2012 dreimal auf die "Kaltreserve" zurückgegriffen werden müssen, um die Stromnetze stabil zu halten. Auch die Zahl der Eingriffe der Netzbetreiber in Netze und Produktion habe deutlich zugenommen.

[Update: Homann kündigte auch steigende Stromkosten durch die steigenden Netzkosten an. "Dies muss ehrlich ausgesprochen werden." Der beschleunigte Ausbau von Infrastrukturen sei nicht kostenlos zu haben. "Tempo hat seinen Preis", sagte er. Seine Behörde werde aber alles daran setzen, dass die Kosteneffizienz gewahrt bleibe.]

Damit die Situation weiterhin beherrschbar bleibe, kündigte Homann mehrere Vorschläge an. Zunächst werde seine Behörde empfehlen, Kraftwerke nicht ungeplant stillzulegen. Abgeschaltete Kraftwerke müssten im Zweifel als Kaltreserve verfügbar bleiben. Zudem müsse die Versorgung systemrelevanter Gaskraftwerke mit dem Brennstoff gesichert werden. Dabei müsse die Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern im Strom- und im Gasbereich verbessert werden. Jüngst hatte auch der VDE nach einem "Rettungsschirm für die Energiewende" verlangt.

Mit Jochen Homann rückte im Februar erstmals ein Energieexperte an die Spitze der Bundesnetzagentur. Die Bonner Behörde ging aus der vormaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) hervor, die nach der Liberalisierung des Postmarkts und der Abschaffung des Bundespostministeriums 1998 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Der Name des ersten RegTP-Präsidenten, Klaus-Dieter Scheurle, ist bis heute mit der spektakulären UMTS-Auktion des Jahres 2000 verbunden, die rund 100 Milliarden DM in die Bundeskasse spülte. Nach seinem Amtsende wechselte der Bad Cannstätter Schwabe (Scheurle über Scheurle) in die private Telecom-Wirtschaft.

Unter seinem Nachfolger Matthias Kurth wurde die RegTP zur Bundesnetzagentur ausgebaut und erhielt die Zuständigkeit für weitere netzgebundene Industrien wie Strom- und Gasversorgung sowie die Eisenbahn. 2006, ein Jahr nach dem Amtsantritt von Angela Merkel, kandidierte der SPD-Mann Kurth erfolglos für den Chefposten der International Telecommunications Union (ITU). Kurth blieb schließlich bis Anfang 2012 BNetzA-Präsident, bevor ihm mit Homann der Wunschkandidat von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) folgte.

Der Volkswirt Homann wurde 1953 geboren und war nach 1982 im Bundeswirtschaftsministerium tätig, seit 2008 als beamteter Staatssekretär. Zuvor schrieb unter anderem für die Minister Martin Bangemann und Helmut Haussmann (beide FDP) Reden. Der spätere EU-Kommissar Bangemann war in die Kritik geraten, nachdem er mit dem spanischen Ex-Monopolisten Telefónica einen Beratervertrag geschlossen hatte. (mit Material der dpa) (ssu)