Der Gott, der lächelt: Zum 50. Todestag von Albert Einstein

Am 18. April 1955 starb der "Mann des Jahrhunderts" und populärste Physiker aller Zeiten im Krankenhaus von Princeton.

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Von
  • Ralf Bülow

Seine letzten Worte sind unbekannt, da die Nachtschwester im Hospital von Princeton kein Deutsch konnte. Albert Einstein, seit 1933 in der Universitätsstadt im US-Bundesstaat New Jersey ansässig, war am 15. April 1955 eingeliefert worden, nachdem die Hauptschlagader im Bauch geplatzt war. Der Physiker hatte schon länger von der Gefahr eines Durchbruchs der Aorta gewusst, doch eine vorbeugende Operation stets abgelehnt. Auch im Krankenhaus wehrte er sich gegen jeden chirurgischen Eingriff. Morphiumspritzen linderten die Schmerzen, doch in den frühen Morgenstunden des 18. April war Einsteins Leben zu Ende. Sein Leichnam wurde nach Entfernen des Gehirns am selben Tage verbrannt, die Asche an einem geheimen Ort verstreut. Überreste seines Denkorgans liegen nach einer absurden Odyssee heute wieder da, wo sie vor 50 Jahren entnommen wurden.

Geboren am 14. März 1879 in Ulm, ist Einstein der bedeutendste deutsche Naturwissenschaftler aller Zeiten und noch immer der populärste Forscher der Welt. Seine Vita und seine Leistungen werden momentan in Büchern, Presse und TV, auf Websites und Veranstaltungen ausgebreitet, denn wir leben, wie man weiß, im Einsteinjahr. Vor 100 Jahren, in seinem annus mirabilis 1905, publizierte der Experte III. Klasse des Patentamts Bern die Spezielle Relativitätstheorie, die eine neue Sicht auf die Grundlagen der Physik lieferte, und zwei Arbeiten zur Brownschen Bewegung und zum Photo-Effekt: Erstere bewies die Existenz von Atomen, letztere diejenige von Lichtquanten und sollte Einstein später den Nobelpreis einbringen. Hinzu kamen seine Dissertation über Moleküldimensionen und ein Text mit dem unschuldigen Titel "Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?". Dieser enthielt die Urfassung der Gleichung E = mc2, der theoretischen Vorahnung der Atombombe.

In seinem zweiten Wunderjahr 1915 vollendete Einstein, inzwischen Mitglied und Forscher der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, die Allgemeine Relativitätstheorie, die die Gravitation und die Dynamik des Kosmos erklärte. 1917 entwickelt er die Basis der Laser-Physik, 1924 schließlich die Quantentheorie des einatomigen idealen Gases, woraus das so genannten Bose-Einstein-Kondensat hervorging, das 1995 zum ersten Mal im Labor erzeugt wurde. Der neuen, 1925 von Werner Heisenberg geschaffenen Quantenmechanik stand Einstein bis zum Lebensende kritisch gegenüber. Seine letzten drei Jahrzehnte widmete er vor allem der Suche nach einem einheitlichen System für Gravitation und Elektromagnetismus, einem Problem, an dem er scheiterte, das aber auch die moderne String-Theorie erst noch lösen muss.

Einstein wäre nicht Einstein ohne die Künstlermähne, das legere Outfit, die fehlenden Socken und die rausgestreckte Zunge. Vergessen wir jedoch nicht seinen Einsatz für den gesunden Menschenverstand, für Frieden, Demokratie und Menschenrechte sowie für Verfolgte des Nazi-Regimes, denen er als Bürge half, Deutschland zu entkommen. Er selbst hatte das Land schon 1932 für eine USA-Reise verlassen und war nach Hitlers Machtübernahme nicht mehr zurückgekehrt. Von 1933 an wirkte er im Institute for Advanced Study in Princeton, gelegentlich unterstützt von jüngeren Assistenten wie dem BASIC-Miterfinder John Kemeny.

Albert Einstein war der letzte romantische Physiker, der nur mit Füllfederhalter und einer profunden Kenntnis des Faches bewaffnet gegen Gott und das Universum antrat und ihre Rätsel löste. Viele seiner Arbeiten entstanden zusammen mit Fachkollegen wie dem Schweizer Marcel Grossmann, der ihm bei der Mathematik der Allgemeinen Relativitätstheorie half, doch hat sich Einstein nie eine universitäre Gefolgschaft verschafft. Das Establishment rächte sich auf subtile Weise, indem es seine späteren Texte als zweitrangig einstufte. Dabei schrieb Einstein in Princeton unter anderem über Gravitationslinsen, kosmische Wurmlöcher, quantenmechanisch verschränkte Teilchen -- das berühmte Einstein-Podolsky-Rosen-Paradox -- und mit seinem Koautor Leopold Infeld den populärwissenschaftlichen Bestseller "Die Evolution der Physik".

Woher rührt also sein Weltruhm? Ist es neben dem wissenschaftlichen Genie die Kniffligkeit seiner Theorien, die Verehrer und Mythos-Experten nicht ruhen lässt ? Ist es die besondere Beziehung zum "Alten", der seiner Geheimnisse beraubt im Himmel sitzt und nicht würfelt? Oder die unorthodoxe Lebensführung, auch im Felde der Erotik? Wir vermuten eher eine jungianisch angehauchte Sehnsucht nach Archetypen: So wie Caruso "der" Opernsänger und Picasso "der" moderne Künstler ist, so wurde Einstein zum Physiker an sich und als solchem, der uns mit weisem Lächeln an die Hand nimmt und zu den Gesetzen des Kosmos führt.

Im letzten Jubeljahr 1979 wurde Albert Einstein hauptsächlich mit der Speziellen Relativitätstheorie und der Weltformel E=mc2 verknüpft. Die Fortschritte der Computer- und Teleskop-Technik machten ihn seitdem zum Gründervater der modernen Kosmologie, und Urknall, Dunkle Materie, Schwarze Löcher und kosmische Expansion sind ohne die Allgemeine Relativitätstheorie nicht zu bewältigen. Mehr und mehr tritt aber auch der Schriftsteller hervor. In seinen Briefen, Vorträgen und Artikeln erweist sich Einstein als Meister der deutschen Prosa, der zugleich in klaren Worten sagt, worauf es ankommt, so 1930 auf der Berliner Funkausstellung: "Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben, als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst."

Wer sich betroffen fühlt, mag seine Wissenslücken auf einer der schon laufenden oder bald startenden Einstein-Ausstellungen füllen, sei es in Potsdam, München, Berlin oder Bern. Selbst die Söhne (und Töchter) Mannheims können ab September Einstein begreifen und neben Hands-on-Versuchen Tracks aus der ältesten und unbekanntesten Einstein-Oper genießen.

Die schönste Würdigung bietet allerdings eine Ausstellung in Winterthur, wo folgendes Gedicht zu lesen ist:

Warum lieben wir Einstein ?

Er ist viel klüger als wir und versteht das Universum.
(Seine Theorie der ganzen Welt versteht (fast) niemand.)
Er bleibt dabei aber so naiv wie wir.
(Seine Vorstellungen vom lieben Gott versteht jeder.)
Er benimmt sich wie er will (und wie wir es gerne würden).
Er nimmt kleine Kinder so ernst wie grosse Leute.
Er ist ein Gott, der lächelt - und zwar in unsere Richtung.

Zu Albert Einstein siehe auch:

  • Einstein und Doppelkopf, Zum Einstein-Jahr: ein kleines Spiel mit Namen und Begriffen für Physiker und andere, c't 9/2005, S. 23
  • Zeitfenster, Zum Einstein-Jahr: kleiner Exkurs zu Zeitmessung und PC, c't 9/2005, S. 168

(Ralf Bülow) / (jk)