Vom Netz genommen: IETF hört Bericht über Lage in Gaza und der Westbank

Menschen in Gaza werden derzeit zum dritten Mal von Kommunikationskanälen abgeschnitten. Bei der IETF wird das und auch die Lage der Ukraine angesprochen.

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(Bild: Digitalphaser / Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
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Normalerweise kümmert sich die Internet Engineering Task Force um die Entwicklung von Protokollen. Beim laufenden Treffen in Prag gibt es dagegen gleich zwei Berichte aus Kriegsgebieten. Die Human Rights Protocol Considerations Forschungsgruppe bekam am Montag ein Update zur Situation der Netze im umkämpften Gazastreifen und im Plenum am Mittwoch berichtet die Global Network Operators Group über die weiter laufende Initiative KeepUkraineConnected.

Nach der Terrorattacke der Hamas gegen Zivilisten in Israel am 7. Oktober rückt Israels Armee nun mit konzentrierten Kampfeinsätzen in Gebieten des Gazastreifens vor. Seit Sonntagabend läuft im Zuge dessen laut der Organisation Netblocks bereits der dritte kollektive Shutdown der Kommunikationsnetze im Gazastreifen. Die ersten beiden fanden am 27. Oktober und 1. November statt.

Neben der fortschreitenden Zerstörung der Infrastruktur und fehlender Elektrizität mache sich bei den kollektiven Shutdowns bemerkbar, wie stark die israelische Regierung das Netz in der Enklave kontrolliert. Das berichtete Ahmad Alsadeh, Informatiker im Electrical and Computer Engineering Department der Birzeit Universität in Ramallah im besetzten Westjordanland, bei der Sitzung der HRCP Forschungsgruppe in Prag.

Alsadeh, der Vorsitzender des palästinensischen Chapters der Internet Society ist, sprach in Prag von einer "digitalen Okkupationspolitik" Israels. Seit vielen Jahren diktiere Israels Regierung die Möglichkeit der Netzentwicklung im Gazastreifen und der besetzten Westbank, bilanzierte er nüchtern. Laut des Oslo Abkommens hat Israel die Hoheit über die Zuteilung von Frequenzen und hat den Ausbau der Netze von 2G auf 3G lange verzögert. Bis heute kann Paltel laut einer Analyse der Weltbank im Gazastreifen lediglich 2G Qualität anbieten. Einem Beschluss der Internationalen Telekommunikationsunion von 2019 über konkrete Schritte in Richtung 3G und 4G ist Israels Regierung bislang noch nicht nachgekommen.

Neben der Verknappung der Frequenzen verzögert Israel durch Dual-Use-Bestimmungen von Equipment die Einfuhr notwendiger Netzausrüstung, berichtete Alsadeh. Die Beschränkungen durch die israelische Regierung bei der Frequenzvergabe und beim Import von Telekomausrüstung, sowie die Konkurrenz durch in Palästina eigentlich nicht zugelassene, israelische Konkurrenten, die aufgrund fehlender Beschränkungen billiger ihre Dienste anbieten können, nennt die Weltbank in einem jüngeren Bericht die Haupthindernisse für die Entwicklung der Netze in den palästinensischen Gebieten.

Besondere Kontrollmöglichkeiten hat Israels Regierung aber durch die praktisch komplett über israelische Leitungen hergestellte internationale Konnektivität. Die einzige Glasfaserverbindung zwischen Gaza und dem Rest der Welt laufe über Israel, unterstreicht Alsadeh. "Fast aller Internetverkehr in der Westbank und Gaza wird über Switches geroutet, die in Israel sind", schreibt die Weltbank. "Selbst die Telefonverkehre laufen über den israelischen Backbone", heißt es im Bericht.

Diese Netzstruktur macht die gezielten Shutdowns und auch die von Alsadeh scharf kritisierte Ausspähung palästinensischer Nutzer einfach. Der Informatiker forderte nach seinem über Videolink präsentierten Bericht ein Ende der "digitalen Besetzung" und Respekt für die Grundrechte der Nutzer in Gaza und der Westbank. "Israel muss seine Verpflichtungen nach internationalem Recht einhalten und den Palästinensern erlauben, ihre eigene Netzinfrastruktur aufzubauen", so sein Appell an die außergewöhnlich schweigsamen Teilnehmer der IETF-Runde.

Andrew Sullivan, Präsident der internationalen Internet Society (ISOC), sagte am Rande des Treffens gegenüber heise online, dass seine Organisation geopolitische Fragen nicht kommentiere. "Das ist nicht unsere Aufgabe." Ganz klar als eigene Aufgabe betrachte die ISOC allerdings das Eintreten gegen Internet-Shutdowns. "Das Internet ist in Katastrophenfällen oft das, was noch funktioniert. Daher sind wir entschieden gegen alle Shutdowns", so Sullivan.

Die ISOC beobachte mit zunehmender Sorge die Zunahme der Netzblockaden und den Trend von Regierungen, nur wenige Austauschpunkte ins internationale Netz zuzulassen, um mehr Kontrolle auszuüben. Der Preis dafür sei ein weniger resilientes Netz.

Hinter vorgehaltener Hand mahnte ein Teilnehmer, er hätte eine israelische Perspektive in der Diskussion richtig gefunden. Andere Teilnehmende, einschließlich des Vertreters des UN-Menschenrechtskommissars, zeigten sich schockiert von Alsadehs Darstellung.

Jan Zorz, einer der Initiatoren der Initiative KeepUkraineConnected sagte auf Nachfrage von heise online, tatsächlich dränge sich angesichts der Situation die Frage auf, ob es nicht auch eine vergleichbare Initiative für Gaza geben müsse. In der Region habe man aber keine Ansprechpartner. Vorerst denkt die Initiative ohnehin über einen anderen Krisenherd nach: den Sudan. Auch dabei steht man vor riesigen Hindernissen in Bezug auf die Logistik, sagte Zorz, der im Plenum am Mittwoch über den Stand des Netzes in der Ukraine berichtet.

Die Möglichkeit, Gaza via Starlink wieder sicherer ans Netz zu holen, hat Starlink Gründer Elon Musk nur einmal kurz erwähnt, bevor Israels Minister für Kommunikation ankündigte, dass sie das mit allen Mitteln – und auf Kosten von künftigen Geschäften mit Musk – verhindern würden. Alsadeh bezeichnete die in der Ukraine praktizierte "Notlösung" zugleich als unpraktikabel für Gaza. Zu teuer, zu schwer ins Land zu bekommen und dann auch noch ein leichtes Ziel, fürchtet er.

(kbe)