EU-Copyright-Reform: die Modernisierung des Urheberrechts ist aus dem Blickfeld geraten

Um Artikel 13 und Artikel 11 der EU-Copyrightreform tobt ein heftiger Streit. Dabei steht eigentlich eine Modernisierung des Urheberrechts auf der Agenda.

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Upload-Filter und Artikel 13: EU-Rechtspolitiker befürworten Copyright-Reform

(Bild: gotphotos / shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Es geht hoch her bei der EU-Copyright-Reform. Erklärungen von Interessenverbänden der Medien-Industrie auf der einen, Demos und Mail-Aktionen der Gegner der Reform auf der anderen Seite: Besonders Artikel 11 (mit einem europaweiten Leistungsschutzrecht für Presseverlage) und Artikel 13 werden heftig kritisiert. Betreiber von Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten haften laut dem besonders umstrittenen Artikel 13 künftig für unautorisierte Veröffentlichungen urheberrechtlich geschützter Werke. Alternativ müssen sie sich um Lizenzen auch für das von Dritten hochgeladene Material bemühen und prinzipiell Mechanismen vorhalten, um Werke gar nicht erst verfügbar zu machen, bei denen die Rechteinhaber ihre Ansprüche nachgewiesen haben. Viele Portale dürften so wohl nicht darum herumkommen, Upload-Filter zu installieren

Das eigentliche Ziel aber hat die Urheberrechtsreform der EU mit den Schlachten um die beiden Artikel aus den Augen verloren, urteilt Reto Hilty, Urheberrechtsexperte und Geschäftsführender Direktor des Münchner Max Planck Institut für Innovation und Wettbewerb. Der im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments verabschiedete Text orientiere sich eher am Interesse klassischer Urheberrechtsindustrien als an einer Modernisierung im Sinne des digitalen Binnenmarkts. Ohne die Bereitschaft zu grundsätzlichen Innovationen im Urheberrecht könnten am Ende die Verbraucher, aber auch Europas Industrie die Zeche bezahlen, erklärt Hilty im Gespräch mit heise online.

Reto Hilty

(Bild: Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb)

heise online: Sie und Ihre Kollegen haben im vergangenen Jahr noch empfohlen, den Artikel 13 in der damals vorgelegten Form nicht zu verabschieden, vor allem wegen mangelnder Einpassung in den Rechtsrahmen und Widersprüche zu Grundrechten. Ist der neue Artikel 13 Ihrer Meinung nach verabschiedungswürdig?

Reto Hilty: Nicht wirklich. Einzelne Vorgaben zulasten jener Provider, die von der Norm erfasst werden sollen, sind zwar etwas abgeschwächt worden. Auch fallen neu in den Markt eintretende Provider bis zu einem gewissen Umsatzvolumen nicht unter die Norm. Die Mitgliedstaaten sollen außerdem Sorge tragen, dass Nutzer bezogen auf gesetzliche Schrankenbestimmungen, z.B. die Parodiefreiheit, nicht beeinträchtigt werden. Dennoch bleiben die grundsätzlichen Probleme bestehen. Nach wie vor geht es im Kern darum, dass Provider Inhalte, für die sie die notwendigen Nutzungsrechte nicht erwerben können, unzugänglich machen müssen. Mit den vielen Anpassungen, die zu einem Kompromiss ermöglichen sollen, hat die Komplexität der Bestimmung, die von vornherein schwer verständlich war, außerdem nochmals zugenommen.

heise online: In der Neufassung des Kompromisses wird versucht, den Kreis der betroffenen Unternehmen zu präzisieren. Ausgenommen werden eine Reihe spezieller Anbieter, etwa kollaborative Software-Entwicklerplattformen und nicht-kommerzielle Online-Lexika. Sind die neuen Definitionen ausreichend präzise und rechtsklar?

Hilty: Im Ansatz ist es sicher zu begrüßen, wenn Anbieter wie z.B. Wikipedia nicht unter die Norm fallen. Gleichzeitig führen Bereichsausnahmen immer zu Abgrenzungs- und Auslegungsfragen. Eine gewisse Beeinträchtigung der Rechtssicherheit ist damit unausweichlich. Allerdings kann eine nicht völlig präzise Norm auch mehr Flexibilität verschaffen. Künftige Geschäftsmodelle sind heute ja noch nicht bekannt. Lässt sich eine ausreichend offen formulierte Norm durch Auslegung auf einen neuen Sachverhalt anwenden, hat dies den Vorteil, dass nicht ständig der Gesetzgeber nachjustieren muss.

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heise online: Hier sehen Sie also eine gewisse Verbesserung?

Hilty: Das kommt auf die Perspektive an. Der Preis, der für höhere Flexibilität zu bezahlen ist, liegt in üblicherweise langwierigen Vorlageverfahren vor dem EuGH. Das kennen wir von der InfoSoc-Richtlinie aus dem Jahr 2001. Nach bald zwei Jahrzehnten legen nationale Gerichte immer noch ganz fundamentale Fragen vor, um die Tragweite des EU-Rechts auszuloten. Schön wäre es gewesen, wenn die neue Richtlinie bezogen auf das bereits bestehende europäische Urheberrecht für mehr Klarheit und Konsistenz gesorgt hätte. Dem ist leider nicht so. Vielmehr wird die neue Richtlinie eine Vielzahl neuer Fragen aufwerfen.

heise online: Einer Ihrer Kritikpunkte im vergangenen Jahr war, dass die geplanten Bestimmungen bestehendem EU-Recht widersprechen, etwa dem Haftungsprivileg der E-Commerce Richtlinie. Ist der Widerspruch dadurch, dass die "Online Content Sharing Provider" einfach grundsätzlich für die Inhalte ihrer Nutzer haften, aufgehoben?

Hilty: In der europäischen Gesetzgebung ist es durchaus üblich, dass sich Regelungsmaterien überschneiden. Entstehen dadurch Widersprüche, ist das problematisch. Beseitigt man diese durch Klarstellung, ist dies prinzipiell positiv. Die vorgeschlagene Ergänzung versucht nun eine Art Bereichsausnahme für die grundsätzliche Haftungsfreistellung nach der E-Commerce Richtlinie zu etablieren. Eine solche Sonderregelung ist nicht nur möglich, sondern letztlich unausweichlich, wenn der vorgeschlagene Artikel 13 seine Wirkung entfalten soll. Eine andere Frage ist, ob eine solche Sonderregelung rechtspolitisch gewünscht und sachlich sinnvoll ist.

heise online: Kritiker bemängeln, dass zwar eine Ausnahmeregelung für Start-Ups geschaffen wurde. Diese beziehe sich aber nicht auf Kleinunternehmen, die älter als drei Jahre sind. Werden diese gegenüber den großen Plattformen benachteiligt?

Hilty: Das stimmt so wahrscheinlich nicht ganz. Zwar ist es richtig, dass die Privilegierung für Start-Ups auf drei Jahre befristet ist; gerade diese "harte" Grenze dient indessen ja der Rechtssicherheit. Darüber hinaus sieht aber der einschlägige Absatz mehrere Kriterien vor, nach denen zu bestimmen ist, ob ein Provider seinen Pflichten nachgekommen ist. Mit berücksichtigt werden der Typ des Dienstes, das Publikum und die Größe, sowie die Art der von den Nutzern eingestellten Werke. (derzeit Artikel 13 Absatz 4a, (a)).

Was das hilft, wird man sehen. Denn die nationalen Gesetzgeber, die diese Richtlinie umsetzen müssen, haben einen enormen Auslegungsspielraum. Sie können diese Norm jedenfalls kaum einfach abschreiben, sondern sollten der Rechtspraxis genauere Kriterien vorgehen. Ob solche dann mit dem EU-Recht konform sind, wird jedoch wiederum der EuGH zu beurteilen haben. Insoweit mag man diese Norm kritisieren, aber ihr Zweck ist es gerade, kleinere Provider mit diesen neuen Pflichten nicht übermäßig zu belasten.

heise online: Inwieweit werden kleine Unternehmen und Organisationen zusätzlich durch die Aufforderung zur Vergütung von Presseverlagen im Artikel 11 belastet?

Hilty: Das ist eine ganz andere Frage. Das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverleger zielt darauf ab, dass Newsdienste künftig nur noch dann kürzeste Textteile aus Artikeln - sogenannte Snippets - verwenden dürfen, wenn sie dafür bezahlen. Diese Regelung ist schon deswegen in höchstem Maße kritikwürdig, weil sie die tatsächlichen Zusammenhänge ignoriert. Denn gewiss ist richtig, dass solche Newsdienste ohne News nicht funktionieren, und selbstverständlich sind es die Presseunternehmen, die in diese Inhalte investieren. Aber nur diese Seite der Medaille zu betrachten, greift zu kurz. Denn letztlich profitieren wiederum die Presseverleger von jenem Traffic, den die Provider ihnen zuführen. Ob sie mit solchen Besuchern dann auch wirklich etwas verdienen können, hängt von ihren Geschäftsmodellen und insbesondere davon ab, wie sie ihre Werbung platzieren.

Gewiss mag es Presseverleger geben, die solche Gelegenheitsbesucher gar nicht wollen. Dann können sie diese Art der Weiterleitung von Besuchern eines Newsdienstes freilich mit einfachen technischen Mitteln verhindern. Die überwiegende Zahl möchte das jedoch gar nicht. Vielmehr geht es Presseverlegern primär darum, an den Gewinnen der Newsdienste zu partizipieren. Bei Giganten wie Google sind diese Gewinne zweifellos riesig im Vergleich zu dem, was ein durchschnittlicher Presseverleger zu erwirtschaften vermag. Bei kleineren, spezialisierten - und vielleicht auch lokalen - Providern ist das aber nicht unbedingt so. Dies führt zur paradoxen Situation, dass ein Unternehmen wie Google sich die erwünschte Vergütung zwar wohl leisten könnte, mit seiner Marktmacht aber durchaus Möglichkeiten haben wird, eine Zahlung zu vermeiden.

heise online: Beispiele dafür, dass die Regeln nicht den gewünschten Effekt erbringen, gibt es ja schon ...

Hilty: Richtig. Google hat in Spanien seinen Newsdienst schlicht eingestellt, nachdem dort ein zwingendes Vergütungsrecht eingeführt worden war. In Deutschland, wo zugunsten der Presseverleger nur ein Leistungsschutzrecht geschaffen wurde, das diese befähigen sollte, mit solche Newsdiensten kostenpflichtige Lizenzen auszuhandeln, knickten praktisch alle Presseverleger ein und gewährten Google Gratislizenzen, um genau jenen Traffic nicht zu verlieren.

heise online: Die Befürworter argumentieren, dass eine EU-weite-Regel die Giganten doch noch in die Knie zwingen kann. Was sagen Sie dazu?

Hilty: Die Befürworter des neuen Schutzrechts argumentieren in der Tat, der gesamte EU-Markt sei zu groß und zu bedeutend, als dass Google darauf verzichten werde. Vermutlich muss Google sich aber weder zurückziehen noch bezahlen. Denn Artikel 11 sieht ebenfalls nur ein Verbotsrecht mit Bezug auf die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung von Presseinhalten vor. Sinn und Zweck dieses Verbotsrechts liegen darin, solche Handlungen vertraglich erlauben und Lizenzzahlungen dafür verlangen zu können. Nichts zwingt die Presseverleger allerdings, kostenpflichtige Lizenzen zu erteilen. In der Tat verfügt Google vermutlich über genügend Marktmacht, um auf die Einräumung von Gratislizenzen zu bestehen, weil dies der einzige Weg sein wird, damit Presseverleger den für sie entscheidenden Traffic nicht verlieren.

(Bild: RossEdwardCairney / shutterstock.com)

Diese Marktmacht haben kleine Provider aber naturgemäß nicht. Hinzu kommt, dass der Druck von der Straße sehr schnell zunehmen dürfte, wenn liebgewonnene Möglichkeiten, auf einfache Weise Inhalte aufzufinden und auf sie zuzugreifen, in der EU plötzlich nicht mehr verfügbar sein sollten. Jene Massen zu mobilisieren, die notwendig sind, um Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, vermögen kleinere Anbieter hingegen kaum.

heise online: Zurück zu Artikel 13. Ist es für Kleinunternehmer darstellbar, einerseits zu lizenzieren, andererseits dadurch aber dennoch nicht generell von einer zusätzlichen Haftung befreit zu sein?

Hilty: Ich denke nicht, dass es auf die Unternehmensgröße ankommt, wenn es darum geht, die Widersprüche aufzulösen, die nach wie vor in Artikel 13 stecken. Ein entscheidender Widerspruch liegt darin, dass einerseits über Lizenzgebühren Einnahmen generiert werden sollen, andererseits nicht lizenzierte Inhalte unzugänglich gemacht werden müssen. Das klingt auf den ersten Blick einleuchtend, ist aber nicht so einfach unter einen Hut zu bringen. Zunächst wird es nur mit Bezug auf solche Inhalte möglich sein, überhaupt Lizenzen zu verhandeln, für welche die Rechteinhaber ohne erheblichen Aufwand auffindbar sind, etwa für kommerziell vertriebene Filme oder Musik.

Doch selbst wenn ein Rechteinhaber auffindbar ist, wird er nicht ohne weiteres bereit sein, die notwendigen Lizenzen zu erteilen. Denn damit würde der Rechteinhaber unter Umständen sein eigenes - kommerzielles - Angebot kannibalisieren. Lizenziert er daher nicht, wird ein Werk aber trotzdem hochgeladen, so statuiert die neue Richtlinie eine Verpflichtung des Providers, diesen konkreten Inhalt zu sperren.

Welche Inhalte nicht lizenziert sind, lässt sich relativ einfach - und weitgehend automatisiert - feststellen, soweit es um ein bestimmtes Werk geht. Insoweit kommt es auch nicht unbedingt auf die Unternehmensgröße eines Providers an. Allerdings laufen diese Verpflichtungen des Providers just auf jenes allgemeine Monitoring hinaus, das nicht nur gemäß Absatz 7 der neuen Richtlinie nicht Pflicht werden soll, sondern auch nach Artikel 15 der E-Commerce-Richtlinie einem Provider nicht auferlegt werden darf.

Weit schwieriger festzustellen sind Rechtsverletzungen bei Werken, die von Nutzern verändert worden sind, also beim sogenannten "user generated content". Handelt es sich hier üblicherweise um die Bearbeitung eines zugrundeliegenden Werks, so muss dessen Rechteinhaber grundsätzlich zustimmen, damit derartige Inhalte z.B. in ein soziales Netzwerk hochgeladen werden dürfen. Praktisch betrachtet wird eine solche Zustimmung aber kaum je erfolgen. Das bedeutet, dass derartige Inhalte im Prinzip illegal, d.h. vom Provider zu sperren sind - es sei denn, es liege eine gesetzliche Ermächtigung vor. Von Gesetzes wegen erlaubt ist beispielsweise das Parodieren eines vorbestehenden Werks. Auf derartige gesetzliche Nutzungsermächtigungen zielt nun der neu eingefügte Absatz 5 ab. Er soll verhindern, dass die Pflicht des Providers, illegale Inhalte zu blockieren, derart erlaubte Nutzungen aushebelt.

heise online: Kann das funktionieren?

Hilty: Das ist sehr fraglich. Praktisch ist es schwer vorstellbar, wie verhindert werden kann, dass nicht zumindest eine vorübergehende Beeinträchtigung eintritt. Auch ohne allgemeine Monitoring-Pflicht wird ein Provider im Lichte seiner weitreichenden Pflichten nach Absatz 4 nämlich spätestens dann aktiv werden müssen, wenn ein Rechteinhaber eine Rechtsverletzung geltend macht. Im Zweifel wird er einen Inhalt also erst einmal blocken. Wehrt sich der hochladende Nutzer, soll ein Schlichtungs- oder nötigenfalls auch ein Gerichtsmechanismus einsetzen. Dadurch soll der betroffene Nutzer erreichen können, dass ein nicht rechtsverletzender Inhalt am Schluss nicht gesperrt bleibt. Dabei sind aber hoch komplexe Fragestellungen zu beantworten, und ein Prozess kann Jahre dauern. Ist etwa ein Meme - also ein geschütztes Bild, das nachträglich mit kurzen, prägnanten Texten versehen wird, um dann in sozialen Medien geteilt zu werden - ein Zitat, eine Karikatur oder eine Parodie, oder schlicht Ausdruck der allgemeinen (mangels besonderer Schranke aber nicht erlaubten) freien Meinungsäußerung? Dies selbst zu beurteilen wird keinem Provider möglich sein - unabhängig von seiner Größe.

heise online: Einige Gegner warnen, dass Plattformen wie Youtube, Twitter, Instagram unmöglich werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Hilty: Die Plattformen an sich werden nicht unmöglich, solange zumindest gewisse Lizenzen tatsächlich erteilt werden. Aber die Inhalte, die dort öffentlich zur Verfügung gestellt werden können, dürften erheblich dezimiert werden.

heise online: In der Stellungnahme des MPI vom vergangenen Jahr wird eine erleichterte Lizenzierung dringend empfohlen. Ist dies eingelöst?

Hilty: Nein, das grundsätzliche System ist unverändert. Entweder werden seitens der Rechteinhaber Lizenzen - vertraglich - erteilt, oder hochgeladene Inhalte bleiben illegal und sind zu sperren. Die Idee der erleichterten Lizenzierung geht einen anderen Weg. Sie ist inspiriert vom geltenden Recht, das für gewisse Nutzungsarten eine gesetzliche Erlaubnis kennt, d.h. der Rechteinhaber kann solche Nutzungen nicht verbieten, erhält dafür aber eine Vergütung. Diese Vergütung wiederum kann der Rechteinhaber aber nicht direkt eintreiben, sondern sie wird kollektiv eingezogen, d.h. durch Einschaltung einer Verwertungsgesellschaft. Ein Beispiel ist die Privatkopie. Sie wurde in Deutschland 1965 - als sukzessive die entsprechenden Vervielfältigungstechnologien aufkamen (etwas das Tonband) - legalisiert, aber eben gegen Vergütung.

Ein großer Vorteil dieses Ansatzes ist die Entkriminalisierung der kreativen Nutzer. Denn heute geht es nicht mehr nur darum, passive Nutzungen wie die Privatkopie zu erlauben, für die ein Verbot kaum durchsetzbar wäre. Nun geht es namentlich darum, dass das Urheberrecht solche Kreativität, die auf vorbestehenden Werken beruht, nicht behindert. Dies ist aber der Fall, wenn deren Verbreitung über soziale Netzwerke nicht erlaubt ist.

Solches Handeln ist heute eine gesellschaftliche Realität, vor der das Urheberrecht die Augen nicht verschließen darf, wenn es nicht zunehmend an Akzeptanz verlieren will. Stattdessen auf Sperrungen entsprechender Inhalte zu setzen, ist ebenso weltfremd, wie seinerzeit ein Verhindern der Privatkopie nicht realistisch gewesen wäre. Wenn gleichzeitig kaum davon auszugehen ist, dass der jeweils betroffene Rechteinhaber kreativen Nutzungen zustimmt, ist der Gesetzgeber gefordert. Er kann die Einwilligung des Rechteinhabers nämlich - wie damals bei der Privatkopie - durch eine Schranke, das heißt eine gesetzliche Erlaubnis, ersetzen. Diese Erlaubnis kann an verschiedene Bedingungen geknüpft sein, z.B. eine Verbreitung nur für nicht kommerzielle Zwecke oder die Voraussetzung, dass die Verwertung des zugrundeliegenden Werks durch den Rechteinhaber nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Vor allem aber kann dafür eine Vergütung verlangt werden. Auch hier ginge es nicht darum, dass jeder kreative Nutzer selbständig zur Kasse gebeten würde. Vielmehr könnte der Provider die Zahlstelle sein, der ja auch nach der nun vorgesehenen Regelung zahlen muss - allerdings direkt an die Rechteinhaber zahlen müsste. Er wird also so oder anders die Kosten für die Nutzung geschützter Inhalte auf die Nutzer umlegen müssen.

(Bild: metamorworks / shutterstock.com)

heise online: Sie sind schon kurz darauf eingegangen, dass ein generelles Monitoring wegen der Vorgaben des Artikels 15 E-Commerce-Richtlinie vermieden werden soll. Laut dem Text sollen Take-Downs durch einen Menschen überprüft werden. Wie kann man sich das vorstellen?

Hilty: Tatsächlich wird nicht formell eine Pflicht zum generellen Monitoring statuiert, sondern es werden den betroffenen Providern nur Verhaltenspflichten auferlegt. Insbesondere müssen sie dann aktiv werden, wenn ihnen Rechtsverletzungen angezeigt werden. Eine andere Frage ist, ob sie es darauf ankommen lassen, oder ob sie sicherheitshalber eben doch - wenn auch ohne entsprechende Pflicht - ein automatisiertes Filtersystem einbauen. Gerade die Vorgabe, dass im Falle des Widerspruchs durch den Nutzer, der etwas hochgeladen hat, eine Überprüfung durch einen Menschen erfolgen muss, weist letztlich darauf hin, dass jene, die sich diesen Mechanismus ausgedacht haben, eben doch davon ausgehen, dass automatische Systeme - letztlich wohl auf der Basis von künstlicher Intelligenz - im Zweifel aussieben sollen, was an Inhalten nicht lizenziert wurde.

heise online: Ist das generelle Grundrechtsproblem gelöst?

Hilty: Der Wille scheint da zu sein, aber ob es ist, bin ich nicht so sicher. Denn Absatz 5, der nur gewisse gesetzliche Nutzungserlaubnisse (aber diese scheinbar abschließend) aufzählt, sagt nicht allgemein, dass z.B. die freie Meinungsäußerung sichergestellt werden müsse. Diese Absicht ergibt sich nun zwar aus dem neu eingefügten Erwägungsgrund 39a. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Gerichte Grundrechte kaum freihändig gegeneinander abwägen. Sie stellen vielmehr darauf ab, ob eine bestimmte Nutzungshandlung durch eine Schranke gedeckt sein könnte, und legen dann deren Reichweite im Lichte der Grundrechte aus.

In diesem Zusammenhang bestehen aber zwei Probleme. Zum einen hat es der europäische Gesetzgeber bis heute nicht geschafft, den Mitgliedstaaten die wichtigsten Schranken, die die freie Meinungsäußerung absichern, zwingend vorzuschreiben. Entsprechend finden kreative Nutzer, die sich auf dieses Grundrecht berufen möchten, in der EU keinen einheitlichen Rechtsrahmen vor. Zum andern ist der Irrglaube, Schranken seien eng auszulegen, nach wie vor nicht ausgerottet - selbst beim EuGH nicht. Wenn jener sich dereinst mit der Reichweite von Artikel 13 befassen muss, besteht also die Gefahr, dass er sich in erster Linie vom zentralen Anliegen jener Norm leiten lässt: Urheberrechte sollen auch im digitalen Kontext durchgesetzt werden können. Auch wenn vordergründig jeweils gesagt wird, Grundrechte seien gleichrangig, könnte das im Ergebnis auf eine Art Vorrang des Eigentumsrechts hinauslaufen.

heise online: Ein selbst gestecktes Ziel der Richtlinie ist eine Vergütung der Kreativen. Für wie schlagkräftig halten Sie die dafür vorgesehenen Regelungen? Rechnen Sie mit Mehrerlösen für Kreative oder wird dies durch die Möglichkeit zu Buy-Out-Verträgen verhindert?

Hilty: Artikel 13 selbst verlangt nicht, die Kreativen - also die eigentlichen Urheber - seien an den Lizenzeinnahmen zu beteiligen. Allerdings versuchen die Artikel 14 bis 16 (allgemein, und damit auch bezogen auf Artikel 13) sicherzustellen, dass Kreative an den Einnahmen der Verwerter - also z.B. der Musik- oder Filmproduzenten - angemessen und proportional partizipieren müssen. Dabei ist der Spielraum der Mitgliedstaaten, diese Vorgabe umzusetzen, allerdings groß, und es wird sich zeigen müssen, wo und wie gut das in der Praxis funktioniert.

Hier läge übrigens auch der Charme der von uns vorgeschlagenen gesetzlichen Nutzungserlaubnis mit einer Vergütungspflicht über Verwertungsgesellschaften. Mit diesem Ansatz ließen sich - unabhängig von vertraglichen Lizenzierungen - durchaus substanzielle Einnahmen generieren. Werden diese Einnahmen über Verwertungsgesellschaften abgewickelt, lässt sich zugleich vorschreiben, dass die Kreativen angemessen an den Ausschüttungen beteiligt werden müssen. Das ist deswegen wichtig, weil die fraglichen Rechte üblicherweise in den Händen der Verwerter liegen. Können jene die Lizenzierung an Provider, wie sie Artikel 13 zum Ziel hat, verweigern, so könnte es reines Wunschdenken bleiben, dass sich gestützt auf diese Norm überhaupt relevante Mehreinnahmen zugunsten der Kreativen erzielen lassen.

heise online: Können Sie sich zum Verfahren äußern? Bedarf aus juristischer Sicht die Debatte der neuesten Fassung mehr Zeit?

Hilty: Man sieht aus den hitzigen Debatten, wie sehr das Urheberrecht zu einer politischen Materie geworden ist und wie sehr es darum geht, welche Interessengruppen sich mit ihrem Lobbying durchzusetzen vermögen. Daran würde sich auch mit noch längerer Diskussion nicht viel ändern. In rechtlicher Hinsicht liegen die Probleme auf dem Tisch. Erweisen muss sich, was die vorgesehenen Regelungen tatsächlich bewirken werden. Insgesamt mag man sich die Frage stellen, ob es ein großer Schaden wäre, wenn die ganze Richtlinie scheitern sollte, was denkbar wäre, wenn der im Trilog erarbeitete Kompromiss vom EU-Parlament abgelehnt werden sollte.

(Bild: Blackboard / shutterstock.com)

Ich denke, dass eine Ablehnung eher neue Chancen eröffnen würde. Denn man muss sich bewusst sein, dass die ursprünglich deklarierte Zielsetzung, das Urheberrecht so zu modernisieren, dass es den Herausforderungen des digitalen Binnenmarktes gewachsen ist, weitgehend aus den Augen verloren wurde. Im Vordergrund stehen - was gerade die Artikel 11 und 13 zeigen - wie seit jeher die Interessen der Urheberrechtsindustrien. Kaum berücksichtigt wird, dass das Urheberrecht für viele neue und zukunftsträchtige Geschäftsmodelle zu einem Hindernis geworden ist, womit sich die Rechteinhaber einem Innovationswettbewerb auf der Anbieterseite viel leichter entziehen können.

Hier muss man auch die größeren Zusammenhänge sehen. Ein nicht zeitgemäßes Urheberrecht geht letztlich zulasten der Verbraucher in Europa, denen Angebote vorenthalten werden, die in anderen Regionen der Welt ganz selbstverständlich verfügbar sind. Aber auch die europäische Wirtschaft droht Schaden zu nehmen, wenn wir an einem überkommenen Urheberrechtsdenken festhalten.

Gerade auch die Ambitionen der EU, im globalen Wettbewerb rund um die künstliche Intelligenz Schritt halten zu können oder gar eine Führungsrolle einzunehmen, erscheinen wenig realistisch, wenn wir nicht bereit sind, die Funktionen des Urheberrechts in der Digitalwirtschaft grundsätzlicher zu überdenken. Ein neuer Anlauf im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Richtlinie nach den Wahlen im Mai dieses Jahres würde dazu die Chance bieten.

Tritt die nun ausgehandelte Fassung der Richtlinie hingegen in Kraft, dürfte es wieder Jahre dauern, bis weitere - und im Vergleich zu dem, was die Richtlinie erreichen kann, vielleicht viel wichtigere - Schritte zur Modernisierung des Urheberrechts in Angriff genommen werden. (jk)