EU-Kommission will nur "mehr Macht"

Experten warnen vor einer Zentralisierung der Frequenzpolitik und dem Fall des Rundfunkprivilegs in Europa.

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Von
  • Monika Ermert

Vor einer Konzentration von Aufsichtsbefugnissen im Telekommunikationsbereich auf EU-Ebene warnten verschiedene Experten gestern bei einer Veranstaltung des Instituts für Urheber- und Medienrecht in München. Bei der Neufassung der Rahmenrichtlinie zur Telekommunikation gehe es "nicht nur um Sachverhalte, sondern auch um Macht," sagte Rüdiger Hahn, Abteilungsleiter Rechtsfragen der Regulierung Telekommunikation, Frequenzordnung der Bundesnetzagentur. Erstmals wolle sich etwa die Kommission ein Vetorecht gegen Regulierungsmaßnahmen der nationalen Behörden einräumen lassen. Bislang gab es das nur bei der Definition von Märkten. Vor allem aber warnten Hahn und zwei Rundfunkvertreter vor der Einrichtung einer zentralen Frequenzvergabe- oder allgemeinen Regulierungsbehörde. Würden die Veränderungen in der Telekommunikationsrahmenrichtlinie in der von der EU-Kommission vorgelegten Form umgesetzt, so Hahn, "wird hier kein Stein auf dem anderen bleiben".

Alle wünschten die Stärkung von Technologie- und Diensteneutralität und einen schnellen unbürokratischen Zugang zu Frequenzen, so Hahn zu den erklärten Zielen der Kommission. "Wenn die Kommission den Vorwurf erhebe, die Verfahren bei der Vergabe neuer Frequenzen seien derzeit zu lang, "dann ist das schon etwas pharisäerhaft". Gründlichkeit gehe bei den Vergabeverfahren vor Schnelligkeit und diene auch dem Schutz der Bewerber. Das Gemeinschaftsrecht sehe genau solche Verfahren vor, daher seien die Verfahren auf EU-Ebene auch langwierig. Der Begriff der pan-europäischen Dienste, für die sich die Kommission in besonderer Weise zuständig sieht, sei zudem kaum definiert. "Wir haben den Eindruck, dass die Kommission darunter alles versteht, was wirtschaftlich interessant ist."

Schließlich habe man mit dem bestehenden, 2002 eingeführten TK-Rechtsrahmen, der erst 2004 in Deutschland umgesetzt wurde, bislang kaum Erfahrungen sammeln können. Die Durchsetzung bestehenden Rechts solle aber Vorrang vor einer neuen Regelungsflut haben. Allgemeinvergabe und die Möglichkeit des Frequenzhandels, die beide für mehr Flexibilität im Frequenzmarkt sorgen sollen, seien überbewertet. "Während meiner ganzen Zeit wurde gerade einmal eine Frequenz übertragen," so Hahn. Zu wenig beachtet werde von der Kommission im übrigen das Problem von Interferenzen.

Einen Eingriff in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten sieht Hahn darin, dass die Kommission bei Ausnahmen von rein marktorientierten Vergabeverfahren aus Gründen der sprachlichen oder kulturellen Gegebenheiten mitreden will, etwa in Form von sogenannten Komitologieverfahren. Dabei wird in von Kommissionsbeamten geleiteten Ausschüssen mit Vertretern der Mitgliedsstaaten entschieden. Allerdings ist nach Ansicht von Hahn nicht klar, wer hier das letzte Wort hat. Auch die bislang gültige Bevorzugung des Rundfunks, das sogenannte Rundfunkprivileg, stehe damit zur Disposition.

Die Überlegung gehe dahin, eine spezifische Widmung von Frequenzen aufzuheben, um eine Gleichberechtigung aller Dienste - vom klassischen Rundfunk über den Mobilfunk bis hin zu neuen Diensten - herzustellen, erläuterte Hubertus Gersdorf, Medienrechtler von der Universität Rostock. Tatsächlich: "Die privilegierte Behandlung des Rundfunks entfiele," so Gersdorf. Das allerdings könnte etwa für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Gebührenerhöhung bedeuten, da Frequenzen künftig teuer eingekauft werden müssten. Eine Beschränkung des Rundfunkprivilegs allein auf die öffentlich-rechtlichen könnte andererseits für erhebliche Verwerfungen im deutschen dualen System sorgen. Karola Wille, Juristische Direktorin des Mitteldeutschen Rundfunks, und Claus Grewenig, Justitiar des Vereins Privater Rundfunk- und Telekommunikationsanbieter (VPRT), warnten denn auch vor einer Aufhebung des Privilegs.

Für die Einführung eines reinen Marktprinzips im gesamten Frequenzspektrum müsse zwar die nächste World Radio Conference abgewartet werden, sagte Gersdorf. Doch bis dahin könnten bereits durch die Digitalisierung frei werdende Frequenzen nach Marktgesichtspunkten vergeben werden. "Die Kommission ruft zur Diskussion auf über die Verteilung der digitalen Dividende," sagte Gersdorf. Dabei warf er die Frage auf: "Verdient aller Rundfunk die Rundfunkprivilegierung?". Warum etwa solle ein Teleshopping-Sender anders behandelt werden, als ein Abrufportal mit nachrichtlichen Inhalten? Während eine inhaltliche Abgrenzung kaum durchführbar sei, könnte das Privileg an formale Kriterien geknüpft werden. Wer etwa auf der Basis der Fernsehrichtlinie strengeren Jugendschutz- und Vielfaltsbestimmungen unterliege, der erhalte das Privileg. Auf jeden Fall müssten sich alle Betroffenen jetzt in die Diskussion einschalten.

Das taten Wille und Grewenig, die unter anderem auch vor einer Aufgabe der sogenannten Must-Carry-Regelungen gegenüber den Rundfunkübertragungsdienstleistern warnten. Während die Kommission sektorspezifische Regelungen im Rundfunkübertragungsmarkt (Markt Nummer 18) abschaffen will, hat die Bundesnetzagentur gerade erst fünf Rundfunkübertragungsdienstleister - nämlich Astra, Kabel BW, Kabel Deutschland, Unity Media und die T-Systems - zu jeweils marktbeherrschenden Unternehmen erklärt. Das Mehr an Verbreitungswegen nütze den Veranstaltern dabei nichts, so Grewenig, denn die einzelnen Kanäle wären eben nicht substituierbar. So lange Inhalteanbieter also nicht wie die TK-Anbieter einen Anspruch auf den Zugang zum jeweiligen Netz hätten, müssten die Must-Carry-Regelungen erhalten bleiben. Wille forderte, die Aufsicht müsse auch überlegen, wie man damit umgehen wolle, dass Infrastrukturbetreiber vermehrt selbst zu Anbietern würden. (Monika Ermert) (uk)