Forscher nähern sich der Entschlüsselung der Wal-Sprache

Die Klicklaute von Pottwalen sind noch komplexer als bislang angenommen. Mithilfe von KI wollen Forscher nun Vokale und Diphthonge entdeckt haben.

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Pottwal-Mutter mit ihrem Kalb: Was sie sich wohl erzählen?

(Bild: Gabriel Barathieu / cc by-sa 2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Eike Kühl

Der strophenhafte, melodische Gesang der Buckelwale ist eine der bekanntesten Lautäußerungen im Tierreich. Weniger bekannt, aber nicht weniger faszinierend, ist die Kommunikation der Pottwale, die sich mit Klicklauten verständigen, die mit einem Schalldruckpegel von bis zu 230 Dezibel durch die Ozeane erklingen. Seit Jahren versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu entschlüsseln, welche Muster sich in den Klicklauten verbergen und was diese bedeuten könnten. Mithilfe künstlicher Intelligenz könnten sie jetzt einen wichtigen Schritt weiter sein.

In einer aktuellen, noch nicht von unabhängigen Experten überprüften Studie schreibt das Team um den Sprachwissenschaftler Gašper Beguš von der Universität von Kalifornien in Berkeley und den Meeresbiologen Shane Gero, dass die akustischen Eigenschaften dieser Klickgeräusche von Pottwalen "auf vielen Ebenen analog zu menschlichen Vokalen und Diphthongen" seien. Mehr noch, die Forschenden wollen sogar zwei Vokale identifiziert haben, die Pottwale aktiv untereinander austauschen. Die Lautäußerungen seien "informativer und komplexer als bisher angenommen", um nicht zu sagen: Sie könnten Bedeutung enthalten und somit näher an dem sein, was wir unter Sprache verstehen.

Konkret geht es in der Studie um die sogenannten Codas: So werden kurze Klick-Muster von durchschnittlich drei bis 20 Klicks genannt, die Pottwale in sozialen Situationen äußern und die sogar regionale Dialekte vorweisen. In der Vergangenheit hatten Forschende bereits verschiedene Codas identifiziert, die anhand der Anzahl der Klicks und den Pausen zwischen Klicks klassifiziert wurden. Wie Beguš und sein Team schreiben, sei aber auch das Frequenzspektrum der Klicklaute als zusätzlicher Parameter wichtig, also etwa die Tonhöhe. In dieser Hinsicht entsprächen die Klicklaute "den Impulsen der Stimmlippen bei der menschlichen Sprachproduktion".

Wale nutzen für Unterhaltungen, zum Navigieren und zum Aufspüren der Beute ihr natürliches Sonar-System. Die Klicklaute zur Echoortung erzeugen sie unterhalb des Nasenlochs. Sie wandern dann zum Kopf, wo sie vom Schädelknochen zurück über den Vorderteil des Kopfes hinaus in die Umwelt geworfen werden.

(Bild: Cetacean Translation Initiative / Alex Boersma)

Um das Frequenzspektrum der Codas zu analysieren, dockte das Team an eine Arbeit von Gašper Beguš aus dem Jahr 2021 an. Unter dem Namen fiwGAN hatte der Sprachwissenschaftler einen Deep-Learning-Algorithmus entwickelt, mit dem es möglich ist, Muster in akustischen Daten zu klassifizieren. In den vergangenen beiden Jahren wurde das Modell mit Aufnahmen von Pottwalen trainiert, wodurch die Forscher erste Hinweise darauf erhielten, dass in den Klick-Geräuschen womöglich noch mehr Informationen stecken als bislang angenommen. Für die aktuelle Folgestudie untersuchten die Forschenden 3948 Pottwal-Codas, die zwischen 2014 und 2018 mit direkt auf Walen platzierten Hydrophonen aufgezeichnet wurden.

Mithilfe Künstlicher Intelligenz fanden sie in der Spektrumanalyse zum einen heraus, dass die Codas der Pottwale zwei Arten von Vokalen enthalten, die das Team a-Typ und i-Typ nennt. Diese werden von den Walen bewusst geäußert, was sich den Wissenschaftlern zufolge darin bemerkbar macht, dass innerhalb einer Coda stets nur ein Vokal vorkommt, in einer kurzen Abfolge von Codas es aber regelmäßig zu Variationen kommt – in der Kombination der Vokale könnte somit Bedeutung stecken. Zusätzlich fanden die Forscher Hinweise darauf, dass die Frequenz der Codas mitunter fällt oder steigt und in dieser Hinsicht Ähnlichkeiten zu Diphthongen (Doppellauten wie in "ei" oder "au") in der menschlichen Sprache aufweist. Auch diese Diphthonge sollen die Wale bewusst einsetzen; sie seien nicht von Faktoren wie Bewegung oder Tauchtiefe abhängig, heißt es in der Studie.

In der menschlichen Sprache entsteht Bedeutung durch die akustischen Eigenschaften einer Äußerung, durch die Art und Weise, in welchem Abstand, in welcher Kombination und in welcher Frequenz Vokale zu Worten geformt werden. "Es scheint, dass die Pottwal-Codas all diese Merkmale erfüllen", schreiben Gašper Beguš und sein Team. Anders gesagt: Die Hinweise, dass es sich bei der Sprache von Walen tatsächlich um eine komplexe Sprache handelt, verdichten sich. Was genau sie sagen, bleibt indes weiterhin ungeklärt.

(jle)