Europarat gibt Empfehlungen für transparentere Online-Wahlkämpfe

Früher galt das Internet als das Werkzeug automatischer Demokratisierung. Heute sieht der Europarat dort die Meinungsfreiheit untergraben und gibt Empfehlungen.

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(Bild: Europarat)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert

Digitale Technologien können die Ausübung von Grundrechten stärken, "und das sollten sie auch tatsächlich tun", schreibt der Europarat in Straßburg in einem Paket neuer Empfehlungen zu Online-Wahlkampagnen, Medienpluralität und den Effekten digitaler Kommunikation auf die Meinungsfreiheit. Die meisten Empfehlungen gibt der Staatenbund für die bislang kaum geregelte Wahlwerbung im Internet.

Politische Werbung im Netz sollte nicht nur in Wahlkämpfen, sondern generell durch klare Regeln begrenzt werden, heißt es in der Empfehlung Nummer 12/2022. Hier gibt der Europarat konkrete Transparenzvorgaben wie das Archivieren aller politischer Anzeigen einschließlich exakter Angaben, wer auf welcher Datenbasis als Empfänger für bestimmte Anzeigen ausgewählt wurde.

Sowohl politische Parteien als auch große Plattformen sollen diese Archive für den Zugriff durch staatliche Aufseher, durch Forscher und Öffentlichkeit bereithalten, lautet die Empfehlung. Nutzer sollten einen Rechtsanspruch auf einen kompletten Opt-out von Werbung bekommen, die auf Microtargeting basiert. Auch kreative Lösungen seien gefragt: Entwickler könnten Tools zur Orientierung im Informationsüberfluss schaffen, etwa durch diverse Sets von Empfehlungslisten, zwischen denen Nutzer wechseln können. Unter das Transparenzgebot sollten auch von Wahlwerbern und Plattformen verwendete Algorithmen fallen. Automatische Accounts sollen überdies gelabelt, Bots und Fake-Accounts verboten sein.

Durch die drei neuen Empfehlungen zieht sich der Grundsatz, dass Unternehmen, Zivilgesellschaft und Staat bei der Entwicklung von Regeln zusammenarbeiten sollten und dabei, ihre Einhaltung zu überwachen. "Staatliche Regulierung sollte sich auf Verbote zur Verbreitung illegaler Inhalte beschränken", heißt es in der allgemeineren Empfehlung zur Auswirkung digitaler Technologien auf die Meinungsfreiheit. "Für legale Inhalte, die möglicherweise im Widerspruch zu anderen Grundrechten als der Meinungsfreiheit stehen, sollte nach alternative Antworten gesucht werden, die Schutzmaßnahmen gegenüber Verboten priorisieren." Der Staat sei aber verpflichtet, die Einhaltung von Grundrechten durch die neuen digitalen Gatekeeper sicherzustellen.

Der Staat könne für ein "Design der digitalen Infrastruktur" sorgen, durch das Offenheit und Grundrechte, Interoperabilität sowie fairen Wettbewerb gefördert wird, meint der Europarat. Dafür müsste die Medienkonzentrationspolitik modernisiert und sollten neue Typen von Regulierungsinstrumenten geschaffen werden. Da die klassischen Medien in der digitalen Welt unter Druck geraten, aber weiter unverzichtbar seien, hat der Europarat ihnen eigene Empfehlungen gewidmet.

Vor allem für die Aufsicht von Online-Wahlkampagnen rät der Europarat dazu, den beaufsichtigenden Behörden mehr Geld bereitzustellen, aber auch Forschern, die die dann maschinenlesbare Daten der Plattformen auswerten. Die Kriegskasse für die Verteidigung der Demokratie im Digitalen sei nicht gut genug gefüllt, meint der Europarat

Alle 46 Mitgliedsländer, darunter die Türkei, Aserbaidschan, Ungarn oder Polen, haben die Regeln gemeinsam verabschiedet. Verbindlich sind die Empfehlungen aber nicht, selbst um die völkerrechtlich verbindliche Konventionen des Europarats schert sich manches Mitglied wenig. Ein Mitglied hat der Europarat gerade zur Tür gewiesen. Die Russische Föderation, die an den Empfehlungen noch mitgearbeitet hat, wurde am 16. März wegen ihres Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgeschlossen.

(anw)