Forscher sprechen global IPv6

EU-Kommissar Erkki Liikanen gab gestern den offiziellen Startschuss für das erste weltweite Forschernetz über IPv6.

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Von
  • Monika Ermert

EU-Kommissar Erkki Liikanen hat gestern den offiziellen Startschuss für das erste weltweite Forschernetz über IPv6 gegeben. Basis ist Géant, Europas 16 mal 10 Gigabit-Netz, an das Forschungsnetze von insgesamt 43 Ländern von Island bis zum Kaukasus angeschlossen sind. Mit von der Partie beim globalen IPv6-Netz sind außerdem das US-amerikanische Internet2, das russische Freenet, Forschungsnetzwerke in Kanada (Canarie), Lateinamerika (Carla), Japan (WIDE), Korea und China (Cernet). Vertreter der Forschungs-Netze waren für den offiziellen Startschuss nach Brüssel gekommen. In Australien werden gerade zwei neue 10 Gigabit-Unterseekabel in Betrieb genommen, dann soll auch der fünfte Kontinent mit von der Partie sein. Mit dem Startschuss gestern gibt es nun ein weltweites Hochleistungsnetzwerk, das sowohl IPv6 als auch IPv4 spricht (dual stack) und völlig auf Tunnel verzichten kann (natives IPv6).

"Wir können mit diesem Schritt wirklich sagen, dass IPv6 ready for deployment ist", sagte Liikanen bei der Feier in Brüssel. 99 Millionen Euro hat die Kommission in den vergangenen Jahren für die Einführung der neuen 128bit-Adressen ausgegeben, unter anderem im Rahmen des v6-Forschungs-Pilotnetzes 6ren und des kommerziellen v6-Backbones Euro6ix. Das Géant-Netz lassen sich Kommission und Mitgliedsländer jährlich rund 50 Millionen Euro kosten. Technisch soll Géant künftig ein hybrides Netz werden, das in einen gerouteten und eine billigere, ungeroutete Punkt zu Punkt-Verbindungen geteilt wird, sagte Bernhard Fabianek von der Kommission.

Künftig soll sich jeder einzelne Forscher und Student an jeder einzelnen der angeschlossenen Forschungsinstitutionen -- 3500 sind es allein bei Géant -- einfach und ohne Anpassung ins Netz gehen können. "Wir arbeiten nun daran, dass jeder damit auch sofort automatisch den Zugriff auf seine lokale Arbeitsumgebung an seiner Heimuniversität hat", sagte Dany Vandromme, Chef der 29 Mitarbeiter von Géant. "Noch ist unser Job nicht erledigt", erinnerte Bill Arnand vom Canarie-Netz. Die EU, die bei v6 in den vergangenen Jahren eine Führungsrolle gespielt habe, müsse schon jetzt darauf blicken, was nach IPv6 kommt.

Auf dem kommerziellen Markt tut sich IPv6 hingegen noch immer schwer, trotz klarer Bekenntnisse von adresshungrigen Mobilfunkern und Militärs. Kaum eine Hand voll kommerzieller Provider bietet v6-Konnektivität an, bei den v6-fähigen Produkten steht Europa hinter Spitzenreiter Asien und selbst dem v6-skeptischeren Nordamerika an letzter Stelle. Ein entschiedenes Bekenntnis zu IPv6 legten in Brüssel vor allem Nokia und 6Wind ab. Nokias Netzwerkkomponenten werden noch in diesem Jahr voll v6-fähig sein.

Das von den Forschern hochgehaltene Bekenntnis für die Wiederherstellung des End-to-End-Prinzips reicht allerdings als Argument für die Investition in die neue Infrastruktur nicht aus. Phil Holmes, CTO von BT Exact, dem Forschungsarm der British Telekom, nannte IPv6 zwar das Kernprotokoll für alle Netze der Zukunft, die insgesamt viel stärker auf Mobilität ausgerichtet sein werden. Auch wenn das Protokoll inzwischen ausgereift ist -- die von Simson Garfinkel genannten technischen Probleme sind nach Ansicht der Forscher gelöst -- und die Router-Hersteller längst standardmäßig v6 anbieten, noch fehlt es an Applikationen.

Ein ganz anderes Bild entwarf dagegen Hiroshi Esaki von WIDE. Eine Menge Geräte aus der Unterhaltungselektronik sei bereits v6-fähig, im Bereich Medizintechnik, Verkehr und Spiele werde an v6-Produkten gearbeitet. Allein der Breitbandspitzenreiter Korea gibt bis 2007 etwa 160 Millionen US-Dollar für IPv6 aus. Weil man in Asien mehr als in Europa mit der Knappheit von Adressraum rechnen muss, haben dort viele Hersteller und Dienstleister klare IPv6-Strategien. Als Clou wurden in Brüssel zwei Ipv6 Renault präsentiert, die auch auf der Autobahn noch "always on" sind. In Japan ist das v6-Auto als Taxi schon im ersten Einsatz. Die Zentrale kann durch die Dauerverbindung das "Routing" verbessern, die Fahrer selbst werden laufend über Verkehrs-, Wetter- und Auftragslage informiert.

Siehe zum Thema auch in Technology Review:

(Monika Ermert) / (anw)