GNU-Health-Konferenz: Von freier Software für Gesundheitsakten und Co.

Neben der E-Patientenakte MyGNUHealth wurden auf der Konferenz zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten freier Software im Medizinbereich vorgestellt.

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Bild von der Verleihung des GNU-Health-Awards

Die Universität Hannover richtet nicht nur die diesjährige GNU Health Conference aus, sondern erhielt auch einen Social Medicine Award für die tatkräftige Unterstützung des GNU-Health-Projekts.

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Inhaltsverzeichnis

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Auf der internationalen GNU Health Conference (GHCon) in Hannover diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der GNU Health Community und der OrthancCon über Einsatzgebiete der freien Software im Gesundheitswesen sowie über Entwicklungen für den freien DICOM-Server "Orthanc". Letzterer dient der medizinische Bildgebung. Organisiert wurde die Konferenz, die diesmal erstmals zusammen mit der OrthancCon abgehalten wurde, durch ein Team um Professorin Gabriele von Voigt vom Fachgebiet "Computational Health Informatics" der Leibniz Universität Hannover. Die Talks beleuchteten GNU-Health-Projekte aus zahlreichen Ländern, die Veröffentlichung der persönlichen Gesundheitsakte MyGNUHealth 2.0 sowie die möglichen Gefahren generativer KI.

Weltweiter Einsatz von GNU Health

(Bild: Falcón)

Die persönliche Gesundheitsakte MyGNUHealth ist ein wichtiger Teil des GNU-Health-Ökosystems. Der Gründer der GNU-Health-Bewegung, Dr. Luis Falcón, selbst Arzt und Informatiker, stellte die sowohl für den Desktop als auch für mobile Geräte geeignete Anwendung vor, die das Plattform-übergreifende frei verfügbare Python-Entwicklungsframework Kivy nutzt. "Da wir gerade MyGH 2.0 veröffentlichen, werden wir in den kommenden Wochen die Android-App erstellen", erklärte Falcón auf der Konferenz. Nutzer können dort verschiedene Gesundheitsaspekte eintragen, bewerten und selbst einschätzen. Zudem lassen sich die Gesundheitsdaten mit medizinischen Fachleuten oder weiteren Institutionen teilen. MyGNUHealth ist unter GPL v3+ lizenziert.

MyGNUHealth 2.0 (6 Bilder)

Menü der MyGNUHealth-App (Bild: Falcón)

Ein weiteres Projekt von Falcón ist "Global Exposome". Mit Hilfe verschiedener GNU-Health-Module wie der persönlichen Gesundheitsakte sollen neben demografischen Daten auch Informationen über gesundheitsschädliche Umwelteinflüsse gesammelt werden. Dazu gehören Schimmel an den Wänden, aber auch soziale Komponenten wie der Familienstand. Das Projekt will mit offener Wissenschaft und tierversuchsfreier Forschung den Einfluss der Umwelt auf den Gesundheitszustand des Menschen untersuchen. Das Wichtigste an diesem Exposome-Projekt ist für Falcón, dass die Menschen durch wissenschaftliche Erkenntnisse aufgeklärt werden.

Falcón stellte auch das Projekt "Stiletto" vor, das Teil des Exposome-Projekts ist und ein Computermodell zur Simulation des Gehirns und angrenzender Bereiche zum Ziel hat. Basierend auf aktuellen anatomischen Erkenntnissen und mit menschlichen Hirnpräparaten soll es helfen, "spezifische Eigenschaften des Gefäßsystems im Kontext von Gesundheit und Krankheit besser zu verstehen". Dazu werden künftig klinische, genetische und demografische Daten aus den Datenbanken der beteiligten Institutionen verarbeitet. Dabei wird ausschließlich freie Software, Bibliotheken und Datensätze eingesetzt – neben GNU Health beispielsweise die bioinformatische Datenbank UniProtKB und Orthanc. Der Fokus liegt zunächst auf der Arteria cerebri media (eines der drei Hauptgefäße des Gehirns).

Ein Team um den spanischen Forscher Alvaro Cerezuela Fernandez de Palencia hat das Krankenhausinformationssystem der GNU-Health-Software unter anderem in Krankenhäusern in Kenia und Madagaskar eingeführt und Ärzte darin geschult, wichtige Daten rund um Operationen von Patienten zu erfassen. Die Forscherinnen und Forscher erhoffen sich davon eine bessere Versorgung und damit eine höhere Lebenserwartung der Patienten. Die in den Projekten erhobenen Daten zu Operationen und Demografie sollen an GNU Health zurückfließen. Im Oktober startet ein weiteres Projekt in Kédougou im Senegal.

Die Ärztin Marie Berthe Deudjeu präsentierte eine Fallstudie über den Einsatz des Krankenhausinformationssystems von GNU Health in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Im Krankenhaus werden die Informationen über die Patientinnen bisher in Papierform erfasst. Oft fehlt aber die Zeit, die Papiere herauszusuchen. Die digitale Transformation spare dort Zeit. Auch die Entscheidungsfindung werde erleichtert. Außerdem kann präventiv eingegriffen werden, wenn erkannt wird, dass sich Krankheiten anbahnen. Es zeigte sich auch, dass detaillierte Informationen über Mutter und Neugeborenes die Behandlungskosten senken können, da unnötige Doppeluntersuchungen vermieden werden. Überdies kann die Pflege transparent erfasst werden, etwa "wer hat was gemacht und wie gut hat die Person das gemacht" und so weiter. Dadurch wird die Arbeit insgesamt ernster genommen.

Auch Armand Mpassy-Nzoumba, der jahrelang als IT-Manager bei der WHO gearbeitet hatte, stellte ein Projekt zur Implementierung von GNU Health in verschiedenen afrikanischen Krankenhäusern vor. Auf GNU Health war er durch eine Recherche gestoßen. Er habe nach einem System gesucht, mit dem er sich um jeden kümmern könne und das nicht teuer sei. Seiner Meinung nach wird Gesundheit immer mehr zu einem Geschäftsmodell und deshalb war er von der sozialen Bewegung GNU Health begeistert. Obwohl sowohl die WHO als auch GNU Health eine globale Gesundheitsversorgung anstrebten, erhalte GNU Health nicht annähernd die finanzielle Unterstützung wie die WHO.

Armand Mpassy-Nzoumba stellte seine Arbeit mit GNU-Health in Krankenhäusern vor

Derzeit würden Krankenhäuser, vor allem in Teilen Subsahara-Afrikas, Millionen für Papier ausgeben, aber niemand würde die Dokumente jemals wieder verwenden, um Details über Patienten zu finden und Behandlungen nicht doppelt abzurechnen. Mit GNU Health habe sich die Versorgung deutlich verbessert, da die Informationen zuverlässig in digitaler Form vorlägen. "Derzeit müssten viele Patienten für jeden Arztbesuch bezahlen, sonst bekämen sie keine Behandlung", sagte Mpassy-Nzoumba. Die Folge: Menschen sterben. Deshalb wäre es hilfreich, so Mpassy-Nzoumba und andere Mitglieder von GNU Health, die Systeme auch in anderen Ländern, vor allem in Schwellenländern, zu implementieren. Auch die Nutzung von GNU Health als Bildungsplattform sei wünschenswert, da dann jeder seine Gesundheitsdaten selbst verwalten könne. Die Implementierung in Krankenhäusern sei jedoch in vielen Krankenhäusern einiger afrikanischer Länder wie Gabun, Kamerun, Senegal und Kongo problematisch.

Eine Herausforderung sei etwa die Implementierung und kontinuierliche Finanzierung der Projekte. In diesen und anderen Ländern gebe es weder eine (stabile) Internetverbindung noch Strom. Ebenso gäbe es eine Abwehrhaltung des Gesundheitspersonals gegenüber Veränderungen, manche würden sich auch gegen eine mögliche Transparenz bei der Abrechnung der durchgeführten Behandlungen wehren. Aus dem Publikum kam daraufhin die Bemerkung, dass Mpassy-Nzoumba zumindest keine Probleme mit der Datenschutz-Grundverordnung habe.

Röntgenbilder in GNU Health mithilfe von Orthanc

(Bild: Falcón)

Der von Professor Sébastien Jodogne ins Leben gerufene quelloffene DICOM-Server Orthanc für medizinische Bildgebung dient unter anderem zur Speicherung von Tomografie-Daten (CT, PET, MRT). Ebenso können mithilfe von Orthanc auch STL-Dateien für den 3D-Druck im DICOM-File gespeichert werden. Damit wäre es möglich, dass Mediziner an 3D-Drucks von dem Patienten üben oder Implantate drucken. Jodogne gab einen Überblick über die neuesten Orthanc-Entwicklungen. Software von GNU Health könnte in Zukunft als Standard für ein frei verfügbares Radiologie Informationssystem (RIS) zum Einsatz kommen, das Ärzten zum Beispiel bei der Krebserkennung nach dem Scannen von DICOM-Bildern mit KI hilft.

Assistant Professor Jodogne stellt die FHIR-Pläne von Orthanc vor

Für mehr Interoperabilität will Jodogne Orthanc mit FHIR-Ressourcen verbinden. Eine Herausforderung sei es, jederzeit synchronisierte Dateien bereitzustellen. Dazu werde in den nächsten Wochen ein Java-Plug-in und ein FHIR-Plug-in veröffentlicht, das auf dem FHIR-Server HAPI "plain" basiert. HAPI speichert dabei alles und überträgt die Ergebnisse von Orthanc.

Orthanc wird derzeit auch für ein KI-gestütztes Programm zur Brustkrebsfrüherkennung eingesetzt, das von der Berliner Firma Vara entwickelt wurde, wie Dr. Axel Braun erläuterte. Das Programm sei derzeit in Deutschland, Ägypten, Mexiko und Indien im Einsatz und reduziere die Arbeitszeit der Radiologen. GNU Health wird dabei unter anderem für die Registrierung der Patienten und die Analyse eingesetzt. Mit Hilfe von Vara sollen die analysierten und unauffälligen Befunde automatisch herausgefiltert werden, sodass der Arzt mehr Zeit für die krebsverdächtigen Fälle hat. Darüber hinaus soll Vara Brustkrebs frühzeitig erkennen und die auffälligen Mammographien in der speziell für Radiologen angepassten Software visualisieren. Der Algorithmus wurde auf der Grundlage von 2,5 Millionen Mammographien aus Deutschland entwickelt.

Zu den weiteren Projekten gehört zum Beispiel eines des Anästhesisten und Notfallmediziners Dr. Julian Sassenscheidt von der Seenotrettungsorganisation Sea-Eye aus Hamburg. Mit GNU Health will er Geflüchtete künftig durch bessere Planung effizienter versorgen, etwa mit Lebensmitteln und Medikamenten. Technische Unterstützung erhält er dabei maßgeblich vom Chaos Computer Club.

Mitglieder der GNU-Health-Community in Hannover

Zum Abschluss der Konferenz wurde der Social Medicine Award in drei Kategorien verliehen. In der Kategorie "Outstanding Individual" ging der Preis an Professor Sébastien Jodogne für sein Engagement und die Entwicklung des Orthanc-Servers. Die Leibniz Universität Hannover erhielt den Preis in der Kategorie "Organisation". Der Preis für die "GNU Health Implementation" ging an die Fundación Jérôme Lejeune, die sich um Kinder mit Down-Syndrom kümmert.

Preisverleihung bei der internationale GNU-Health-Konferenz in Hannover (3 Bilder)

Professorin Dr.-Ing. Gabriele von Voigt und Gerald Wiese mit dem Preis für die Kategorie "Organization". Weitere GNU-Health-Mitglieder sind ebenfalls zu sehen.

Transparenzhinweis: heise online ist Medienpartner der GNU-Health-Konferenz.

(mack)