Geburtstagsfeier bei den kritischen InformatikerInnen

Vor 20 Jahren wurde das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung gegründet.

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Von
  • Detlef Borchers

Vor 20 Jahren wurde in Bonn das FIfF gegründet, das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Wie viele Gründungen der damaligen Zeit war man in der Friedensbewegung verwurzelt und wollte eine Informatik, die nicht an megalomanen "Star Wars"-Projekten mitarbeitete. Mit der Betonung von "Informatik und Gesellschaft" setzte sich das FIfF jedoch auch von der Deutschen Gesellschaft für Informatik ab, die damals betont unpolitisch agierte. Zum Jubiläum lud das FIfF in das Erwin-Schrödinger-Zentrum der Berliner Humboldt-Universität Interessierte ein, drei Tage lang über die "ReVisionen kritischer Informatik" zu diskutieren.

Der schwach besuchte Kongress zeigte, dass das FIfF sich wohl von einer Bewegung weg zu einem kleinen Verein gewandelt hat, der praktisch ohne Nachwuchs dasteht. Eine bedauerliche Entwicklung, zumal kritische Informatik auch in den nächsten 20 Jahren gefragt sein wird: "Immer und überall geben IT-Systeme Daten an andere weiter, 'Benutzer' von IT-Systemen treten in den Hintergrund, die Kontrolle darüber, was rein technischer und was potenziell personenbeziehbarer Datenaustausch ist, erodiert", so FIfF-Vertreterin Ute Bernhardt in ihrer Zukunftsschau. Noch skeptischer Dietrich Meyer-Ebrecht in seiner Beurteilung der zunehmenden IT-Verquickung von Lebens- und Arbeitswelt: "Es wird nicht mehr einer totalitären Kontrolle bedürfen, um eine Gesellschaft bis in den Privatbereich hinein zu kontrollieren und zu manipulieren."

Mit Vorträgen und Arbeitsgruppen zu Themen wie Videoüberwachung, RFID-Chips, Biometrie oder zum kreativen Umgang mit dem Urheberrecht beschäftigte sich das FIfF mit aktuellen Themen. In ihrem Vortrag "vom archimedischen Punkt in einer Zivilgesellschaft" bündelte die Münchener Informatikerin Marie-Theres Tinnefeld all diese Themen. Die urbane Videoüberwachung, der große Lauschangriff und die biometrische Gesichtserkennung erzeugten eine Verdichtung, einen archimedischen Punkt, an dem die Zivilgesellschaft ausgehebelt werden kann und in Gefahr gerät, nicht zu überleben.

Am Beispiel Hamburgs wurde in der Arbeitsgruppe Videoüberwachung thematisiert, wie die Privatsphäre systematisch ausgehöhlt wird, wenn etwa an 27 Schulen von Elternvereinen finanzierte Kamerasysteme installiert werden, um die "auf der Schattenseite des Lebens stehenden Schüler" auszuleuchten, wie sich die Schulbehörde ausdrückte. Begleitend dazu werden in Hamburg und in anderen Kommunen und Ländern Stück für Stück die Polizeirechte so ausgebaut, dass praktisch jegliche Form der Video-Überwachung gerechtfertigt ist. Wie der Jurist Helmut Pollähne ausführte, reicht schon der Verdacht, dass ein Gebäude mit Graffiti verziert werden könnte, aus, um eine entsprechende Installation zu rechtfertigen. Am Beispiel des neuen Videosystems "Susi Plus" der Hamburger Verkehrsbetriebe machte Pollähne auf groteske Relationen aufmerksam. 1700 Kameras werden installiert, während ein gravierender Vorfall auf 1 Million Fahrgastbeförderungen kommt.

Eröffnet wurde die Tagung von einem Vortrag des inzwischen in Berlin lebenden Gesellschaftskritikers Joseph Weizenbaum. Er wünschte den InformatikerInnen Rückenwind und gute Navigationskenntnisse für die Zukunft. Der Warner vor dem Kurs auf den Eisberg verglich die Rolle der kritischen Informatiker mit der eines Ingenieurs, der, mit einem Schraubenzieher bewaffnet, auf der Arbeit täglich ein Schräubchen mitgehen ließ.

Auch ausländische Gäste wurden zum FIfF-Geburtstag geladen. So referierte Robert Guerra von der Initiative Privaterra über die Schwierigkeiten, IT-Sicherheit,abhörsichere Kommunkation und Datenschutz bei Projekten in der Dritten Welt zu realisieren, die von privaten Organisationen (NGO) mit geringen Geldmitteln getragen werden. Die mit Geldern des EPIC gegründete Organisation hat es meistens mit staatlichen Hackern zu tun, die die Arbeit der Entwicklungshelfer infiltieren wollen. Die dänische Menschenrechtsaktivistin Rikke Frank Jorgensen stellte den aktuellen Stand der WSIS-Beratungen vor. Zuvor gab es, als FIfF-Arbeitsgruppe deklariert, ein Strategietreffen des zivilgesellschaftlichen Koordinationskreises (WKK) zum WSIS. (Detlef Borchers) / (anw)