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Geschichtskunde mit Warren Spector: Warum Deus Ex neue Maßstäbe setzte

Schleichen, ballern, Entscheidungen treffen? Vor Deus Ex schienen diese Ansätze unvereinbar. Warren Spector erzählt, wie sein Rollenspiel-Adventure-Shooter mit gängigen Konventionen brach – und warum viele Spieler damit überfordert waren.

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Warren Spector

Warren Spector ist noch heute stolz auf Deus Ex. Auf der GDC erinnert er sich an die Entstehung des Spiele-Meilensteins.

(Bild: c't)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Es begann 1978 mit einer Partie D&D: "Meine ganze 34-jährige Karriere als Spiele-Entwickler habe ich versucht, das Gefühl nachzubilden, das ich bei meiner ersten Runde Dungeons and Dragons hatte." Warren Spector, der kreative Kopf hinter Deus Ex, ist noch heute fasziniert von dem Gedanken, in einem vorgegebenen Erzählrahmen Entscheidungen treffen und eigene Wege gehen zu können. "Wir wurden alle zu Geschichtenerzählern", erinnert sich Spector bei einem Vortrag auf der GDC.

John Romero gab Warren Spector die Chance, sein Traum-Videospiel in die Tat umzusetzen.

(Bild: c't)

Dungeons und Dragons ist also die wichigste Inspiration für Deus Ex, das Spector als Mischung aus Shooter, Adventure und Rollenspiel beschreibt. "Ich wollte ein Spiel machen, das den Spieler in die Geschichte einbindet." Und mit Blick in die Runde: "Diese Geschichte sollte genauso eure wie meine sein." Ein Rollenspiel sollte es werden, mit Entscheidungen, die wirklichen Einfluss auf die Handlung haben. Jeder Spieler sollte eigene Erfahrungen sammeln – und etwas über seine Persönlichkeit lernen.

So versessen war Spector von dem Gedanken an ein solches Spiel, dass er einen hochdotierten Vertrag bei einem bekannten Studio ausschlug. "Ich musste dieses Spiel machen, oder mein gesamtes Leben als gescheitert betrachten." John Romero gab ihm schließlich die Möglichkeit, diesem Traum zu folgen. Spector wurde Teil von Ion Storm und begann mit der Entwicklung von Deus Ex.

Spector, der aktuell an System Shock 3 arbeitet, hatte genaue Vorstellungen davon, wie Deus Ex aussehen sollte: Es sollte dem Spieler die Wahl geben, ob er schleichen oder kämpfen wollte – heutzutage ist das gängig, in den späten 90er-Jahren war das anders. "Bei Thief hieß es noch: ‚Wenn wir den Spielercharakter zu stark machen, dann will er nicht mehr schleichen. Das kann man nicht verbinden.‘ Ich wollte zeigen, dass es doch geht." Tatsächlich lernte Spielcharakter JC (was für Jesus Christus steht, wie Spector überraschend offen verrät) also neben handgreiflichen Fertigkeiten auch die hohe Kunst des stummen Anpirschens. Beide Spielmechaniken wurden zur wirksamen Vorgehensweise.

Thematisch sollte Deus Ex ursprünglich in der realen Gegenwart spielen. Spector und sein Team merkten aber schnell, dass die Technologie nicht weit genug war, um die Realität glaubwürdig wiederzuspiegeln. Sie entschieden sich daher dafür, Deus Ex in eine dystopische Zukunft zu verlegen. Inspirieren ließ sich Spector von der Gegenwart trotzdem: "Damals war viel von terroristischen Angriffen die Rede, überall hat man Verschwörungstheorien gehört. Ich habe mir gedacht: Was, wenn sie alle stimmen würden?"

Seinen Mitarbeitern legte Spector mehrere Regeln auf. Es sollte in dem Spiel etwa kein aufgezwungenes Scheitern geben, die Kontrolle sollte stets beim Spieler bleiben. Außerdem sollten die Deus-Ex-Entwickler in drei Dimensionen denken und entsprechende Levels designen. "Wenn man immer nur nach links oder rechts schaut, könnte man ein Spiel auch in 2D machen." Jeder Raum sollte verbunden, jedes Problem auf unterschiedliche Arten lösbar sein.

Finanzieller Erfolg nur zweitranig: Mit Deus Ex wollte Warren Spector das Gefühl emulieren, das er bei seiner ersten D&D-Runde empfand.

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Spector berichtet von Spielern, die beim Zocken von Deus Ex überrascht die Tastatur von sich schoben – sie seien einfach nicht darauf gefasst gewesen, Entscheidungen in Videospielen treffen zu müssen. Dabei biete dieses Medium so viele Möglichkeiten, eine bemerkenswerte Geschichte zu erzählen: "Filme und Bücher treffen Aussagen oder stellen Fragen, über die man dann nachdenken kann. In Spielen kann man diese Fragen selbst beantworten und sehen, wohin die eigenen Antworten führen."

In dieser Hinsicht war Deus Ex also ein voller Erfolg: Spieler beeinflussen durch ihre Schlüsse die Geschichte, ihre Entscheidungen führen zu unterschiedlichen Spielerfahrungen. Spector erzählt von einem Extremfall: "Ich hab mal einen Kerl getroffen, der wie JC gekleidet war. Er hat mir gesagt, dass er Deus Ex 63 mal durchgespielt hat und jedes Mal ein neues Erlebnis hatte. Er meinte auch, er sei aus Deutschland und werde bald zurückfliegen. Ich war erleichtert – auf keinen Fall wollte ich auf demselben Kontinent leben wie dieser Typ." (dahe)