Geschworene im Filesharing-Prozess wollten "ein Zeichen setzen"

Für ihren Schuldspruch haben die Geschworenen im ersten zur Verhandlung gekommenen Filesharing-Prozess nicht lange beraten müssen. Schwieriger war ein Konsens bei der Höhe des Schadensersatzes: Bis zu 3,6 Millionen US-Dollar standen zur Debatte.

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Nach nur fünf Minuten waren sich die Geschworenen einig: Jammie Thomas ist schuldig. Doch stritt die Jury noch fast fünf Stunden über das Strafmaß, erklärte einer der Geschworenen im Interview mit Wired. Am Ende kamen die zwölf Geschworenen zu einem "Kompromiss": Thomas wurde für das ihr zur Last gelegte Filesharing von 24 Musikstücken zu Schadensersatz in Höhe von 9250 US-Dollar pro Song verurteilt, insgesamt 222.000 US-Dollar (156.000 Euro). "Wir wollten ein Zeichen setzen", erklärte der 38-jährige Geschworene.

Das US-Gesetz sieht für vorsätzliche Urheberrechtsverletzung ein Minimum von 750 US-Dollar pro Verstoß vor, maximal sind 150.000 US-Dollar möglich – ebenfalls für jeden Verstoß. Im schlimmsten Fall hätte Thomas also zu 3,6 Millionen US-Dollar verurteilt werden können. Laut Jury-Mitglied Michael H. wollten mindestens zwei der Geschworenen diese Höchststrafe auch verhängen. Doch nachdem ein Jurymitglied lange auf dem Minimum bestanden habe, sei es nach einigem Gezänk zu dem Kompromiss gekommen.

Demnach war die Jury von den Argumenten der Anklage schnell überzeugt. Die Anwälte des Verbandes der US-Musikindustrie (RIAA) hatten eine IP-Adresse, die zum fraglichen Zeitpunkt dem Kabelmodem der Angeklagten zugeordnet werden konnte, und eine Momentaufnahme des Shared-Ordners des Kazaa-Mitglieds "tereastarr" vorgelegt. Die RIAA konnte zudem zeigen, dass Thomas diesen Nutzernamen offenbar seit Jahren auch für andere Internetdienste nutzt.

Thomas beteuert nach wie vor ihre Unschuld. Ihr wollten die Geschworenen ebensowenig glauben wie den Versuchen ihres Anwalts Brian Toder, die Indizienkette der Anklage mit alternativen Szenarien zu entkräften. Toder hatte auf die Möglichkeit hingewiesen, jemand anders habe den Internetzugang kapern können, zum Beispiel über einen WLAN-Router. Die Jury zeigte sich davon nicht beeindruckt. "Sie hat gelogen", meint dazu der Geschworene. "Ihre Verteidigung war schlecht."

Das Votum der Jury "ist eine sehr bedauerliche Verirrung", urteilt der Copyright-Experte Ray Beckerman, "es fällt total aus dem Rahmen". Seiner Ansicht nach hat die Anklage einen wesentlichen Nachweis nicht gebracht: Dass Thomas die fraglichen Songs tatsächlich weitergegeben hat. Das US-Copyright verlange aber genau das. "Die RIAA vertritt die Theorie, dass die reine 'Bereitstellung' von Daten eine Verletzung ihres Distributionsrechts nach Sektion 106(3) ist", erklärt der New Yorker Rechtsanwalt gegenüber heise online. "Im Gesetz steht so etwas aber nicht. Das Gesetz gilt nur für die öffentliche Verbreitung von realen Kopien." Demnach hätte Thomas auch die tatsächliche Weitergabe nachgewiesen werden müssen, wozu die Indizien der Anklage nicht ausreichend gewesen seien.

In der ursprünglichen Fassung der schriftlichen Unterweisung der Geschworenen war Richter Michael Davis dieser Auslegung noch gefolgt. In der anschließenden Debatte konnten sich die RIAA-Anwälte mit ihrer Sichtweise durchsetzen, und die Jury wurde angewiesen, dass schon die Bereitstellung von Musik eine Urheberrechtsverletzung darstelle. Doch glaubt der von Wired befragte Geschworene, dass die Jury in jedem Fall zu einem Schuldspruch gekommen wäre. "Die Entscheidung wäre sehr viel schwerer gewesen, aber wir wären zu dem gleichen Ergebnis gekommen."

Unterdessen erhält Thomas Unterstützung von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), die sich schon in vergleichbaren Fällen engagiert hatte. Die EFF will die Argumente der Verteidigung mit einer Eingabe vor der Berufungsinstanz stützen. Die Chancen für eine erfolgreiche Berufung stehen nach Beckermans Einschätzung gut. "Ich denke, das Urteil der niederen Instanz wird aufgehoben, und entweder ein neuer Prozess angeordnet oder der Fall ganz abgewiesen." (vbr)